Die Wahlkämpfer der Union hatten dem Wochenende mit gemischten Erwartungen entgegengeblickt. Was würden die Bürger an Wahlständen, im Haustürwahlkampf oder auf Wahlkampfveranstaltungen zum Verlauf der Berliner Bundestagsdebatte sagen?
Wie würden sie die Asyl-Resolution der Union mit den Stimmen der AfD bewerten? Wie ordnen sie die Niederlage der Union ein, deren Entwurf eines Migrationsgesetzes am Freitag nach stundenlanger Debatte in den Büros und Gängen wie im Plenum des Bundestags eine Mehrheit verfehlt hatte?
Hatte die Union damit das „Tor zur Hölle“ öffnen wollen, wie der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich es behauptete? Oder hatten die von vielen Ministerpräsidenten und Innenpolitikern geteilten Vorschläge der Union vor allem aus parteitaktischen Gründen keine Mehrheit gefunden, weil sich die SPD als letztes Bollwerk gegen eine Art schwarz-brauner Machtergreifung gerieren will?
Wahlkampf gegen Merz
„Mitte statt Merz“ stand auf SPD-Flugblättern, die am Samstag beispielsweise auf der Berliner Schloßstraße verteilt wurden und offenbar schon vor Freitagabend gedruckt waren.
Auch die Grünen plakatierten zum Wochenende mit veränderten Bildern: Unter dem Konterfei ihres Spitzenkandidaten Robert Habeck war zu lesen: „Wort statt Wortbruch. Habeck statt Merz“.
Das bezog sich auf den Vorschlag des Unionskanzlerkandidaten Friedrich Merz vom November, im Bundestag keine Anträge vorzulegen, die nur mit Stimmen der AfD durchkommen könnten. Merz hatte seine veränderte Haltung mit der Amokfahrt von Magdeburg und dem tödlichen Messerangriff von Aschaffenburg begründet.
Angeblich Zustimmung selbst bei SPD-Anhängern
Über drei Forderungen im Entwurf eines „Zustrombegrenzungsgesetzes“ der Union war am Freitag abgestimmt worden: Erstens sollte im Aufenthaltsgesetz neben der „Steuerung“ der Migration auch wieder die „Begrenzung“ erwähnt werden, wie es bis 2023 der Fall war.
Zweitens sollte der Familiennachzug für Personen mit nur zeitweiligem Schutzstatus „bis auf Weiteres“ beendet werden, weil nach einem Zuzug von 1,8 Millionen Ukraine-Flüchtlingen und Asylbewerbern seit 2022 die Aufnahmekapazitäten weitgehend erschöpft seien. Union und SPD hatten den Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte 2016 schon einmal ausgesetzt und zwei Jahre später auf 1000 Personen pro Monat beschränkt.
Drittens sah der Entwurf vor, der Bundespolizei erweiterte Zuständigkeiten zu verschaffen, um an Bahnhöfen gegen illegale Migration vorzugehen. So sollte sie selbst das Recht bekommen, Anträge auf Haft und Gewahrsam zu stellen. Einschränkend hieß es im Antrag, für das Tätigwerden der Bundespolizei sei „das Einvernehmen der zuständigen Ausländerbehörde erforderlich“, soweit diese erreichbar sei.
Aus der Union hieß es am Sonntag, die Wahlkämpfer hätten am Wochenende „überwiegend Positives“ von den Ständen berichtet. Vereinzelt sei Kritik geübt worden am angeblichen „Zusammengehen mit der AfD“. Von den Direktkandidaten, so war zu erfahren, hätten CDU-Politiker etwa vom Haustürwahlkampf in Dortmund oder von Wahlständen in Dresden von großer Zustimmung selbst bei SPD-Anhängern berichtet.
Die CDU trifft sich am Montag in Berlin bei einem Sonderparteitag zur Verabschiedung ihres Wahl- und Sofortprogramms, der gilt auch als Stimmungsbarometer für die Partei.
Merz gibt in der Asylpolitik eine „Garantie“
Zum Verhältnis zwischen Grünen und SPD auf der einen und der Union auf der anderen Seite hatte Merz nach der Bundestagsdebatte am Freitag betont, die Verhandlungen und die Debatte seien hart, aber im Ton ordentlich gewesen. Er hatte gesagt: „Der deutsche Parlamentarismus ist der eigentliche Sieger.“
Das Verhältnis etwa zwischen den beiden Generalsekretären von SPD und CDU, Matthias Miersch und Carsten Linnemann, gilt nach Auskunft aus Unionskreisen weiterhin als gut. Dessen ungeachtet bekräftigten Grüne und SPD ihre harsche Kritik an Merz.
SPD-Spitzenkandidat Olaf Scholz sagte der „Hamburger Morgenpost“ zum Amt eines Bundeskanzlers: „Da darf man nicht jemand sein, der affektgesteuert ist, keinen inneren Kompass hat und der gewissermaßen zockt“, so Scholz.
Merz sagte, er habe den Eindruck, SPD und Grüne hätten im Wahlkampf „den Hebel umgelegt, hin zu persönlicher Diffamierung und Herabsetzung meiner Person“. Damit habe er gerechnet. Auf die Frage, wie er die Kritik der früheren Bundeskanzlerin und langjährigen CDU-Vorsitzenden an seinem Vorgehen gegenüber der AfD bewerte, antwortete Merz dagegen im Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland am Samstag zahm: „Angela Merkel drückt ein Unbehagen aus, das viele – auch ich – teilen.“
Merz äußerte sich am Samstag während einer Wahlkampftour im heimischen Sauerland auch gegenüber „Bild am Sonntag“. Dabei versprach er: „Ich gebe den Wählerinnen und Wählern in Deutschland die Garantie, dass es in der Wirtschaftspolitik und in der Asylpolitik eine wirkliche Wende gibt. Wir brauchen einen Politikwechsel.“ Der CDU-Politiker fügte hinzu: Es werde nach seiner Wahl zum Bundeskanzler „über das Innenministerium“ eine Anweisung geben, „illegale Migration an den deutschen Staatsgrenzen zurückzuweisen“, so wie das andere Länder in Europa längst machten.
FDP sieht Verantwortung bei der Union
Dem Gesetzentwurf am Freitag stimmten deutlich weniger FDP-Abgeordnete zu als dem deutlich weitergehenden, aber die Regierung nicht bindenden Entschließungsantrag der Union vom vergangenen Mittwoch, der unter anderem die Zurückweisung ausnahmslos aller Ausländer ohne Einreisepapiere an der Staatsgrenze gefordert hatte.
Bei der FDP war gut ein Viertel der 90 Abgeordneten nicht da, enthielt sich oder stimmte gegen die Empfehlung von Parteichef Christian Lindner und dem Fraktionsvorsitzenden Christian Dürr. Unter den Abwesenden waren der FDP-Generalsekretär Marco Buschmann, der sagte, er sei erkrankt, und der Parlamentarische Geschäftsführer Johannes Vogel, der angab, er habe Termine im Wahlkampf wahrzunehmen gehabt.
Hingegen hatte der Grünen-Vorsitzende Felix Banaszak eine Wahlkampfreise nach Magdeburg wegen der Abstimmung abgesagt. Die Grünen hatten zudem bis auf zwei schwer erkrankte Abgeordnete alle Mandatsträger nach Berlin beordert, in der Erwartung, dass die Abstimmung knapp ausgehen würde. Das war bei 338 Ja-Stimmen aus Union, AfD, FDP und BSW und 349 Gegenstimmen aus SPD, Grünen und FDP der Fall. Auch der fraktionslose frühere FDP-Generalsekretär und gegenwärtige Verkehrsminister Volker Wissing stimmte dagegen. Merz hielt der FDP vor, sie habe das Gesetz „mit verhindert“.
Dürr, am Sonntag in Niedersachsen unterwegs, wies die Vorwürfe zurück und sagte: Die Unionsfraktion habe Verantwortung für die nötige Mehrheit und dann mehr Abweichler als am Mittwoch gehabt. „Das spricht nach den Einlassungen von Altkanzlerin Merkel Bände“, so Dürr. Die FDP habe alles versucht, damit es eine „Mehrheit in der Mitte gibt“.
Dieses Bemühen der FDP fand am Wochenende nach Auskunft von FDP-Wahlkämpfern an Ständen oder bei Veranstaltungen etwa im Emsland Anerkennung. Die Anhänger hätten die Rolle der FDP als Brückenbauer genau verfolgt und anerkannt, hieß es aus der Partei. Allerdings sei auch gefragt worden, ob es daran gelegen habe, dass Lindner etliche eigene Leute nicht mehr gefolgt seien. Dürr hatte darauf verwiesen, dass es lediglich eine Abstimmungsempfehlung gegeben habe.