Könnte Deutschland sich ohne Amerikas Truppen verteidigen?

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Die Bundeswehr rüstet gerade ihre erste Division für die vollständige Einsatzbereitschaft aus. Die 10. Panzerdivision soll noch dieses Jahr eine Art Vorabbereitschaft herstellen. Momentan wäre bei einer militärischen Auseinandersetzung also höchstens ein Teil einer Division einsatzbereit.

Frank Haun, der damalige Chef des Rüstungskonzerns KNDS, sagte im Juni 2024 zur aktuellen Situation der Bundeswehr im Interview mit der F.A.Z.: „Augsburg können wir damit noch verteidigen, München und Berlin dagegen nicht mehr.“ Deutschland wird auf absehbare Zeit also angewiesen sein auf Freunde und Partner, insbesondere auf die Einheiten der amerikanischen Armee, die in Deutschland stationiert sind.

Derzeit befinden sich in der Bundesrepublik rund 38.500 Soldaten der US-Army, davon 14.000 auf Rotationsbasis, wie das US-Europakommando der F.A.Z. mitteilte. Dazu kommen noch einmal rund 10.000 Soldaten der amerikanischen Luftstreitkräfte. Die größten Einheiten sind das genannte Europakommando in Wiesbaden, das 56. Artilleriekommando in Wiesbaden, die mit Hubschraubern ausgerüstete 12. Kampffliegerdivision in Bayern und Hessen, das 10. Luft- und Raketenkommando in Rheinland-Pfalz und das Trainingszen­trum in Bayern.

In Ramstein befindet sich die personell größte Einrichtung der amerikanischen Luftstreitkräfte außerhalb der USA, in Landstuhl wiederum das größte amerikanische Krankenhaus in Übersee. Darüber hinaus gibt es noch weitere Einheiten, die in Kasernen in Süddeutschland verteilt sind.

Jede US-Einheit in Deutschland ist „combat ready“

Wie das Europakommando feststellt, ist jede Einheit, die nach Deutschland entsandt wird, „combat ready“, also sofort einsatzfähig. Bei der Bundeswehr wird man sich schwertun, momentan eine Einheit zu finden, auf die das zutrifft. Als Russland 2022 völkerrechtswidrig in die Ukraine einfiel, äußerte sich der Inspekteur des Heeres, Alfons Mais, zum Zustand seiner Teilstreitkraft. Diese sei „mehr oder weniger blank“, schrieb er damals.

Wegen der Einsparungen nach dem Ende des Kalten Krieges schrumpfte die deutsche Armee dramatisch. Momentan verfügt die Bundeswehr über etwas mehr als 300 Panzer – von denen jedoch höchstens ein Drittel einsatzfähig ist –, 1992 waren es mehr als 4000 und 2004 noch 2400. Auch die Zahl der Haubitzen ist stark gesunken: 1992 waren es mehr als 3000, 2004 noch fast 1000, 2021 nur noch 120.

Unter den in Deutschland stationierten amerikanischen Einheiten sticht, was einen möglichen Konflikt mit Russland angeht, das 2. Gepanzerte Kavallerieregiment in Bayern hervor. Dieses ist als Stryker-Kampfbrigade strukturiert und damit vollständig für Operationen befähigt. Diese amerikanische Einheit verfügt über rund 5000 Soldaten und mehr als 300 Schützenpanzer des Typs Stryker.

Auch bei der Abschreckung ist Deutschland abhängig von den USA

Neben jenen amerikanischen Einheiten, die im aktiven Dienst in Deutschland stehen, hat die US-Army aber noch weiter für einen eventuellen Konflikt vorgesorgt. Die 405. Feldunterstützungsbrigade ist zuständig für den Unterhalt von sechs Depots in Europa. Zwei davon befinden sich in Deutschland, in Mannheim und Dülmen. Jedes dieser Depots kann die komplette Ausrüstung für eine gepanzerte Kampfbrigade aufnehmen.

Wie das US-Europakommando der F.A.Z. mitteilte, gibt es derzeit zwei Depots in Europa, die dergestalt ausgestattet sind, eines davon ist in Mannheim – das andere befindet sich in Polen. Eine gepanzerte Kampfbrigade verfügt über 85 Kampfpanzer, 190 weitere gepanzerte Fahrzeuge und 35 Artilleriegeschütze. Die Zahl der einsatzfähigen Kampfpanzer, die die amerikanische Armee zentral an einem Ort in Deutschland gelagert hat, entspricht also ungefähr jener der gesamten Bundeswehr.

Deutschland müsste sich aber nicht nur im Falle eines Konflikts auf die Vereinigten Staaten verlassen, sondern auch, wenn es um die Verhinderung eines solchen geht, insbesondere bei der Abschreckung. Nach dem Kalten Krieg haben die Vereinigten Staaten sämtliche bodenbasierten atomwaffenfähigen Raketensysteme mit einer Reichweite zwischen 500 und 5500 Kilometern aus Deutschland abgezogen. Im Juli des vergangenen Jahres einigten sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und der damalige amerikanische Präsident Joe Biden jedoch darauf, solche Systeme wieder nach Deutschland zu bringen.

Eine Drohung für höhere Verteidigungsausgaben?

Wie es in der Ankündigung hieß, soll diese Stationierung drei Systeme umfassen: Marschflugkörper vom Typ Tomahawk, die eine Reichweite von bis zu 2500 Kilometern haben sollen, die sogenannte Standard Missile, eine ballistische Rakete mit einer Reichweite von bis zu 1600 Kilometern und die noch in Entwicklung befindliche Hyperschallrakete namens Dark Eagle, die bis zu 3000 Kilometer weit fliegen soll. Unterstellt werden sollen diese der 2. Multi-Domain Task Force in Wiesbaden. Wo genau die Flugkörper stationiert werden, sei aber noch nicht entschieden, teilte das EU-Europakommando der F.A.Z. mit.

Die Zukunft der amerikanischen Truppen in Deutschland hängt aber auch vom neuen amerikanischen Präsidenten Donald Trump ab. Kurz vor Ende seiner ersten Amtszeit 2020 teilte er mit, 12.000 Soldaten aus Deutschland abziehen zu wollen, darunter auch das 2. Gepanzerte Kavallerieregiment.

Joe Biden machte diesen Beschluss nach seiner Amtsübernahme sofort rückgängig. Bislang sind aus Trumps Team für die neue Amtszeit keine offiziellen Pläne bezüglich der amerikanischen Soldaten in der Bundesrepublik bekannt geworden. Es gibt allerdings Gerüchte, Trump könne rund ein Drittel der amerikanischen Soldaten aus Europa abziehen.

Für Trump könnte die Drohung mit einem Truppenabzug vor allem auch ein Hebel sein, um die Bundesregierung zu höheren Verteidigungsausgaben zu bewegen. Andererseits würde ein Abzug amerikanischer Truppen aus Europa Trumps Stellung in Verhandlungen über ein Ende des Ukrainekriegs schwächen.

Für Wladimir Putin wäre das ein sicheres Zeichen, dass die USA nicht bereit sind, ihre Verbündeten zu verteidigen. Auch würde ein Truppenabzug, erst recht in größerem Ausmaß, längere Zeit in Anspruch nehmen, und auch die Aufgabe eines Stützpunkts wie Ramstein ist sicher nicht zu erwarten.