Für Arbeitsministerin Yolanda Díaz war es ein „historischer Tag“ Beschluss: Die linke Minderheitsregierung hat beschlossen, vom nächsten Jahr an die Wochenarbeitszeit auf 37,5 Stunden zu reduzieren. Zwölf Millionen Arbeitnehmer sollen von der Reduzierung profitieren, die eigentlich schon im Januar 2025 beginnen sollte.
Doch der Kabinettsbeschluss am Dienstag ist nur ein allererster verspäteter Schritt, trotz des angekündigten Eilverfahrens. Die Regierung des Sozialisten Pedro Sánchez hat im Parlament dafür keine Mehrheit. Zwei Parteien, deren Unterstützung nötig ist, haben schon ihren Widerstand angekündigt. Und auch die unzufriedenen Arbeitgeber wollen Druck auf die Parteien ausüben, um den Entwurf zu ändern oder gar zu kippen.
Nun stehen harte Verhandlungen bevor. Gefahr droht vor allem von der Junts-Partei des Separatistenführers Carles Puigdemont, die schon verhindert hat, dass Spanien einen Haushalt für 2025 bekommt.
Das Rückgrat der spanischen Wirtschaft
Die katalanischen Separatisten von Junts und die baskischen Nationalisten der PNV-Partei treten als Fürsprecher der arbeitsintensiven Klein- und Kleinstunternehmen auf, für die die Arbeitszeitverkürzung die größte Herausforderung darstellt. In Spanien gibt es 2,9 Millionen kleine und mittlere Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigten – ein großer Teil davon hat sogar weniger als 10 Angestellte. Sie machen 99,8 Prozent aller Firmen aus im Land und kommen für 62 Prozent der Beschäftigung auf.
Die sogenannten PYME sind vielerorts das Rückgrat der spanischen Wirtschaft und vor allem im Gast- und Baugewerbe sowie in der Landwirtschaft aktiv. Für sie ist die die Reduzierung der Wochenarbeitszeit teurer und schwieriger als für die großen Arbeitgeber. Auf Grund von Betriebsvereinbarungen und Tarifverträgen wird dort schon heute weniger als 40 Stunden gearbeitet. Das gilt längst auch für den Staatsdienst.
Vergeblich hatten die Arbeitgeber deshalb gefordert, die Verkürzung schrittweise und branchenspezifisch einzuführen. Doch Yolanda Díaz, die auch stellvertretende Ministerpräsidentin ist, brauchte einen politischen Erfolg. Ihre linke Sumar-Partei, der Juniorpartner in der Koalition mit den Sozialisten, ist in den Umfragen abgestürzt und machte zuletzt durch einen Missbrauchsskandal auf sich aufmerksam.
Sie setzte sich gegen Wirtschaftsminister Carlos Cuerpo durch, verzichtete auf eine Einigung mit dem Unternehmerverband CEOE und begnügte sich mit der Einigung mit den beiden größten Gewerkschaften. Die Unternehmer beklagten einen Eingriff in die Tarifautonomie und zusätzlichen Kosten von 20 Milliarden Euro. Früher hatte Díaz solche Alleingänge bemüht und die wichtigsten Reformen mit allen Tarifpartnern auf den Weg gebracht.
„Besser zu leben, weniger zu arbeiten“
Yolanda Díaz verteidigte ihr Projekt damit, dass es dazu führe, „besser zu leben, weniger zu arbeiten und wirtschaftlich produktiver und effizienter zu sein“. Vor allem soll die Produktivität steigen, bei der Spanien im europäischen Vergleich weit zurückliegt. In Spanien klagt man schon lange über den „presentismo laboral“: Die Angestellten verbringen mehr Zeit an ihrem Arbeitsplatz als ihre europäischen Kollegen, ohne dass sie deshalb produktiver sind.
Die Regierung verweist darauf, dass seit der Reduzierung der Arbeitszeit vor mehr als 40 Jahren die Produktivität um 53 Prozent gestiegen sei. Angesichts des Wirtschaftswachstums von 3,2 Prozent im vergangenen Jahr glaubt man in Madrid, dass es ein guter Zeitpunkt ist, diese Reform in Angriff zu nehmen.
Im europäischen Vergleich ist Spanien spät dran. Während im Nachbarland Frankreich die gesetzliche Arbeitszeit 35 Stunden beträgt, hatte Spanien zuletzt im Jahr 1983 die Wochenarbeitszeit auf 40 Stunden verringert. Die europäische Realität sieht jedoch anders aus. 37,5 Stunden tatsächliche Arbeitszeit bedeuten ein ambitioniertes Ziel. Laut der Statistikbehörde Eurostat wurde im Jahr 2023 im EU-Durchschnitt 40,4 Stunden gearbeitet. In Spanien waren es 40,3 Stunden und damit weniger als etwa in Griechenland und Österreich. In Deutschland betrug die durchschnittliche Wochenarbeitszeit im Jahr 2023 nach Angaben des Statistischen Bundesamts 39,8 Arbeitsstunden pro Woche.