Frankreich steht energiepolitisch besser da

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Wes Geistes Kind er ist, zeigte Robert Habeck, als er Frankreich wegen des Festhaltens an der Kernenergie eine „planwirtschaftliche Energieversorgung“ vorhielt. Nach seinem Paris-Besuch ätzte er coram publico über eine „altmodische Industrie“.

Die für einen Bundesminister bemerkenswert respektlosen Aussagen mögen drei Jahre zurückliegen. Doch die grünen Giftpfeile werden seither nicht weniger und zerstören immer mehr Beziehungskapital. Zunehmend hat man den Eindruck, das Abarbeiten am Nachbarn hat System. Frei nach dem Motto: Die französische Energiepolitik kann nicht richtig sein, da die Lehrmeinung doch besagt, dass Kernkraftwerke in einem Strommix mit hohem Erneuerbaren-Anteil keinen Platz haben.

Zweifelsohne steht Frankreichs Energieversorgung vor großen Herausforderungen. Viel zu lange hat man sich auf früheren Anstrengungen ausgeruht. Nachdem Ende der Neunzigerjahre die letzten Kernkraftwerke in Serie errichtet worden waren, wurden die Ingenieursausbildung eingedampft und Investitionen auf die lange Bank geschoben.

Der seither einzige Reaktorneubau in Flamanville wurde ebenso zum Fanal der kastrierten Kerntechnik wie die Korrosionsschäden, die vor drei Jahren ihre Kreise zogen. Der Schlingerkurs reichte bis in die erste Amtszeit von Präsident Emmanuel Macron. So stammen heute rund 70 Prozent des Stroms aus Reaktoren, die mit durchschnittlich 40 Jahren alles andere als brandneu sind, während die unlängst angekündigten Neubauten wohl frühestens 2037 ans Netz gehen können.

Wachsender Stromexport

Auch in Frankreich steht damit in den Sternen, wie der wachsende Strombedarf durch die Elektrifizierung von Verkehr, Industrie und Heizungen gedeckt werden soll. Das Erneuerbaren-Potential ist riesig, man denke nur an die sonnenverwöhnte Provence oder die Tausende Kilometer Küste. Doch wohl kaum ein Volk stemmt sich so erbittert gegen Windräder wie die Franzosen.

Das hat eine Regulatorik zur Folge, gegenüber der Deutschland ein Erneuerbaren-Eldorado bleibt. Mit Marine Le Pen im Nacken wagt sich niemand so recht an das Thema heran. Es sei „die Hölle, in Frankreich zu investieren“, beklagte kürzlich ausgerechnet der Chef des staatlichen Energieriesen EDF. Auch die kostspielige Modernisierung der Stromnetze rollt in Frankreich jetzt erst an.

Mit Pauschalkritik sollte man sich jedoch gerade in Deutschland zurückhalten. So ermöglicht Frankreichs Kernkraftwerkspark ein Emissionsniveau, von dem man auf der anderen Rheinseite nur träumen kann. Die jüngsten Korrosionsschäden wurden repariert. Zugleich produzieren die 56 Altreaktoren beständig Strom zu einem Preis, mit dem kein deutsches Kohle- und Gaskraftwerk mithalten kann.

Das unterstreicht der wachsende Stromexport. Vor allem in wind- und sonnenarmen Stunden greift Deutschland auf eine Technik zurück, die man bei sich zu Hause ohne Not beerdigt hat. Lieber verpestet man mit Kohle- und neuen (!) Gaskraftwerken die Umwelt. Diese Bigotterie kann in Paris praktisch niemand nachvollziehen.

Die Argumente überzeugen nicht

Viel spricht dafür, dass Frankreich energiepolitisch besser aufgestellt ist als Deutschland. Das gilt zumindest für die nahe Zukunft, in der bezahlbare Großspeicher und „grüner“ Wasserstoff en masse ein Wunschtraum bleiben. Auf deutscher Seite sollte man das nüchtern anerkennen und Komplementaritäten suchen, statt die Politik des wichtigsten Nachbarn schlechtzureden.

Zumal die Argumente nicht überzeugen: Ja, niemand betreibt Kernkraftwerke ohne staatliche Versicherung, und für den Atommüll gibt es noch keine Verwertung. Aber es gibt gute Gründe wie die Versorgungssicherheit, warum alle großen Industrienationen außer Deutschland in dieser geopolitischen Gemengelage daran festhalten.

Frankreichs Uran-Bezug wurde mit einem neuen Abkommen mit der Mongolei weiter diversifiziert. Den Kostenvergleich mit Erneuerbaren müssen alte Reaktoren nicht scheuen, erst recht nicht, wenn man die Kosten für Netzanschluss, Flächenverbrauch und Systemintegration dazurechnet. Und die Behauptung, die französischen Kernkraftwerke fielen im Sommer wegen Kühlwassermangel reihenweise aus, ist schlicht ein Märchen aus der grünen Mottenkiste.

Im Krisenjahr 2022 waren vier Standorte zwischen einem und neun Tagen von Einschränkungen betroffen. Der Netzbetreiber erwartet wegen Dürre und Hitze bis 2050 eine verlorene Jahresproduktion von durchschnittlich ein bis zwei Terawattstunden. Im Extremfall seien es etwas mehr als zehn. Frankreichs jährliche Atomstromproduktion beträgt mehr als 350 Terawattstunden.