Donald Trump hätte auch einfach zum Hörer greifen können: „Hallo Justin, ich habe da ein Problem. Wie können wir das lösen?“ So läuft das gewöhnlich in der Politik. So läuft das aber nicht mit Trump. Politik ist für ihn Kampf – und nicht die Suche nach einem Kompromiss. Ein tagtägliches Ringen, in dem es nur Gewinner und Verlierer gibt. Und wenn Trump abends ins Bett geht, will er sagen können: Ich habe wieder gewonnen. Immer als Tagessieger dastehen – das ist sein Ziel. Einen längerfristigen Plan zu verfolgen, hier etwas geben, um dort etwas zu bekommen – das ist nicht seine Sache. Eine „grand strategy“ sucht man bei ihm vergebens.
Trumps Zollstreit mit Kanada folgte einem bekannten Muster. Es fängt damit an, dass er sein Gegenüber, egal ob Freund oder Feind, im Unklaren darüber lässt, was genau eigentlich das Problem ist: Das Handelsdefizit? Die illegale Migration? Der Drogenschmuggel? Mal ist es das eine, mal das andere, mal alles zusammen. Klar ist nur: Amerika werde unfair behandelt. Und er sorge jetzt dafür, dass das aufhört. Dieses Vorgehen, irgendwelche Anschuldigungen abzufeuern, hat den Vorteil, dass Trump am Ende leichter einen Sieg für sich reklamieren kann. Bevor es dazu kommt, setzt er auf die maximale Eskalation. Im Fall der Auseinandersetzung mit Justin Trudeau: Strafzölle von 25 Prozent auf kanadische Importe. So fordert er die Gegenseite heraus: Knickt sie gleich ein? Oder hält sie dagegen?
Der scheidende kanadische Ministerpräsident entschied sich zum Gegenangriff und legte seinerseits eine Liste mit Strafzöllen vor. Das war kein Bluff. Was Trump nicht bedacht hatte: Sein Angriff auf den nördlichen Nachbarn, vor allem sein Gerede, das Land solle Amerikas 51. Bundesstaat werden, schloss die Reihen in Ottawa. So konnte Trudeau, der in der Bevölkerung und der eigenen Liberalen Partei nach fast zehn Jahren an der Macht sein Vertrauen eingebüßt hat, sich noch einmal als Anti-Trump profilieren. Das funktioniert bei Kanadiern, die sich selbst gern als die besseren Nordamerikaner betrachten.
Nur Trump kann sich so aufführen
Warum aber setzte Trump überhaupt auf das Drama? Warum ließ er sich erst wenige Stunden, bevor die Zölle wirksam geworden wären, auf ein Telefonat mit Trudeau ein? Am Ende gab es eine Lösung in letzter Minute – zumindest für eine Übergangszeit von einem Monat. So hatte Trump es kurz davor mit Mexiko gemacht. Und davor mit Kolumbien. Die Antwort lautet: Weil es Trumps Selbstverständnis entspricht. Weil Amerika nun einmal Amerika ist: die stärkste Nation der Welt, mit einem Markt, auf den jeder will. Und weil Trump Trump ist: der härteste Hund in der internationalen Politik. Einer, der sich nicht über den Tisch ziehen lässt. So sieht er sich selbst, so will er gesehen werden. Und so posaunte das Weiße Haus kurz nach der Einigung heraus, der Präsident habe Kanada in die Knie gezwungen. Aber die Wirklichkeit ist komplexer.
Richtig ist: Nur Trump kann sich so aufführen. Und so wie der Präsident nun einmal ist, spricht er es auch offen aus: Alle brauchten den amerikanischen Markt, Amerika aber brauche die Produkte der anderen nicht. Die Ansage galt nicht nur den Kanadiern, den Mexikanern und China. Sondern auch der Europäischen Union, wo man sich ebenfalls für einen Zollkrieg wappnet. Trump nutzt die Stellung der Vereinigten Staaten schamlos aus.
Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
Wäre ein Boris Johnson nach dem Brexit so aufgetreten wie nun Trump, hätten Amerika, die EU und China ihn belächelt und mit der Schulter gezuckt: Little Britain macht auf Weltmacht. Ohne den amerikanischen Exportmarkt aber sind tatsächlich alle anderen aufgeschmissen. Kein Politiker in Ottawa, Brüssel oder Berlin könnte sich leisten, es sich dauerhaft mit Amerika zu verscherzen. Die eigene Exportindustrie würde Sturm laufen. Unvergessen, wie Angela Merkel 2017 mit Vorstandsvorsitzenden deutscher Konzerne zum Antrittsbesuch nach Washington reiste und diese dann wie ängstliche kleine Jungs am Kabinettstisch im Weißen Hauses saßen und Trump Honig um den Mund schmierten.
Für Trump, der weder an eine wertegebundene Außenpolitik noch an die Idee des Westens glaubt, ist Politik auch unter Partnern reine Transaktion. Ein Nullsummenspiel. Dass Multilateralismus, Freihandel und Globalisierung zu Win-win-Situationen führen, hält er für eine Ideologie der „Globalisten“. Der Präsident nimmt da die Stimmung seiner Wählerschaft auf. Der Kern seiner Bewegung sind Amerikas Globalisierungsverlierer, die Deindustrialisierungsopfer des NAFTA-Freihandelsvertrages mit Mexiko und Kanada. Trumps Positionierung ist aber nicht nur Taktik. Schon lange vor seinem Einstieg in die Politik vertrat er merkantilistische und isolationistische Ansichten.
Ein Handelskrieg würde auch die USA treffen
Doch weiß auch Trump letztlich, dass Amerika sich nicht mit allen anlegen kann. Schließlich warnten ihn seine Berater: Ein Handelskrieg mit mehreren Wirtschaftsblöcken gleichzeitig werde auch die Vereinigten Staaten treffen – und die im internationalen Vergleich gute Wirtschaftsbilanz, die der Präsident von seinem Vorgänger Joe Biden erbte, verdüstern. Auch die Inflation, die schon der Demokrat in Teilen in den Griff bekommen hatte, würde wieder steigen. Die Börse, die Trump neben der Preissteigerung als Erfolgsindikator betrachtet, reagierte bereits. Das wäre kein guter Start in die zweite Amtszeit gewesen.
Trumps Gegenspieler wussten um dessen Zwänge. Deshalb ließ man sich von den Drohgebärden des Präsidenten nicht mehr so einfach einschüchtern. Und man baute vor. Schon bevor Trump in Washington seine Folterinstrumente präsentierte, hatte sich die mexikanische Präsidentin Claudia Sheinbaum entschlossen zu handeln: Sie verstärkte die Sicherheitskräfte an der Grenze. Die Zahl der illegalen Übertritte nahm deutlich ab, auch weil Biden im Wahljahr schon Druck gemacht hatte. Zudem ging Sheinbaum in ihren ersten Amtsmonaten gegen Fentanyl-Hersteller vor.
Trump hatte den Drogenschmuggel nicht nur gegen Mexiko ins Feld geführt, sondern auch gegen Kanada. Dabei kommt über die amerikanische Nordgrenze kaum Fentanyl ins Land. Doch auch Ottawa wappnete sich. Obwohl Trump und Trudeau nach dem 20. Januar, als der Präsident ins Weiße Haus zurückgekehrt war, bis zum vergangenen Montag nicht mehr telefoniert hatten, lief im Hintergrund eine diplomatische Initiative. Mélanie Joly, die kanadische Außenministerin, war seit der Wahl Trumps fünfmal in den Vereinigten Staaten. Wenige Tage vor dem geplanten Inkrafttreten der Zölle trafen sie und Innenminister David McGuinty Trumps Grenzbeauftragten Tom Homan in Washington und legten dar, was Ottawa alles unternommen habe, um den Grenzschutz zu verstärken. Homan war voll des Lobes, fügte aber hinzu, Trump glaube noch nicht, dass Kanada genug getan habe. Am Ende sei es dessen Entscheidung.
Es waren einfache Zugeständnisse für Sheinbaum
Während der Präsident weiter auf seine Verunsicherungstaktik setzte und Ottawa plötzlich wieder vorwarf, seine Produkte in Amerika zu verkaufen, aber zu wenig amerikanische Güter auf den kanadischen Markt zu lassen, wurde der Deal mit Mexiko verkündet. Im Gegenzug für die Aussetzung der Strafzölle verpflichtete sich der südliche Nachbar, zusätzliche 10.000 Nationalgardisten an die Grenze zu entsenden. Das war ein einfaches Zugeständnis für Sheinbaum. Die Nationalgarde wird ohnehin schon am Rio Grande eingesetzt. Die Präsidentin lobte hernach die „sehr respektvolle“ Unterhaltung mit Trump.
Kurz darauf folgten zwei Telefonate Trumps mit Trudeau. Am Ende wurden auch die Strafzölle gegen Kanada bis März ausgesetzt. Der Ministerpräsident versprach, einen Grenzbeauftragten zu ernennen. Zudem werde Ottawa wie Washington Drogenkartelle zu Terrororganisationen erklären, um den Rauschgifthandel effektiver bekämpfen zu können. Dazu soll auch der Grenzschutz verstärkt werden – sowohl durch eine Erhöhung des Personals als auch technologisch. Erst kürzlich war beschlossen worden, weitere sechzig Drohnen aus amerikanischer Produktion zur Überwachung einzusetzen. Auch Trudeau hatte keine Schwierigkeiten, den Kanadiern diese Zugeständnisse zu verkaufen.
Wer also hat wen in die Knie gezwungen? Das konservative „Wall Street Journal“ aus dem Hause Rupert Murdochs, der am Montag zufällig zu Besuch im Weißen Haus war, hatte Trump in deutlichen Tönen vor einem Zollstreit gewarnt. Es sei „der dümmste Handelskrieg der Geschichte“. Trump war „not amused“. Nach der Deeskalation schrieb das Blatt: Trump gestehe nie einen Fehler ein, aber er ändere häufig seine Meinung. Nun feierten die Führer Nordamerikas einen kleinen Deal, um ihn einen Sieg nennen zu können. Das sei besonders für Trump wichtig, schließlich habe er geprahlt, wie wirksam seine Zölle seien. Er könne es sich nicht leisten, wie ein Verlierer auszusehen.
Trumps Basis durschaut das Spiel nicht
Trump bekam kalte Füße. Noch ist die Gefahr eines Handelskrieges nicht gebannt, noch handelt es sich nur um einen Aufschub. Doch „Mr. Tough Guy“ schreckte zurück. Er hatte die Backen aufgeblasen und gesagt, Kanada würde ohne die amerikanischen „Subventionen“ (gemeint war der Handelsüberschuss des nördlichen Nachbarn) als lebensfähiger Staat nicht mehr bestehen. Und er gab vor, in Kauf zu nehmen, dass die Zölle einigen Amerikanern wehtun werden. Er aber werde Amerika wird zu alter Größe führen. Das sei den Preis wert. Am Ende reichte die Ernennung eines Grenzbeauftragten für Ottawa aus, um das Manöver abzublasen.
Wie gesagt: Wäre es Trump um die Sache gegangen, hätte er einfach früher zum Hörer greifen können. Trump aber braucht den Theaterdonner. Seine Basis durchschaut das Spiel nicht. Wenn das Weiße Haus verkündet, dass Trump Trudeau in die Knie gezwungen habe, schäumen die patriotischen Gefühle in der „Make America Great Again“-Bewegung über. Tatsachen sind da egal, man hat eigene Fakten. Der theatralische Feldzug auf der internationalen Bühne erfüllt den gleichen Zweck wie etwa der Kulturkampf gegen die Diversitätspolitik an der Heimatfront. Die Bewegung muss ständig aufgepeitscht werden. Sonst könnte sie ermüden.
Außerdem hilft Trump der Krach, um abzulenken: Während Amerika gebannt den sich anbahnenden Zollkrieg verfolgte, machten sich Elon Musk und andere im Weißen Haus daran, den Verwaltungsstaat zu zerlegen: Karrierebeamte werden versetzt und gefeuert. Und Behörden geschleift – vorbei am Kongress, der sie geschaffen hat. Hier findet gerade die eigentliche Umwälzung statt.
Und Europa? Auch in Brüssel und Berlin hat man den Zollstreit verfolgt – und ebenfalls Gegenmaßnahmen für den Fall der Fälle vorbereitet. Europa sei sich seiner eigenen Stärke bewusst, hieß es. Man könne handeln, sollte es nötig werden. In seiner ersten Amtszeit hatte es Trump mit Blick auf die Autozölle, die insbesondere die deutsche Volkswirtschaft schwer getroffen hätten, bei Drohungen belassen. Damals gab es einen kleinen Deal mit EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker. Vor allem aber beeindruckte Trump der Hinweis Merkels, ein Handelskrieg könne eine Weltwirtschaftskrise zur Folge haben, die auch Amerika treffen werde. Was diesmal anders ist: Damals betrachtete Trump Zölle als Instrumente der Handelspolitik – heute setzt er sie ein, um die andere Seite zu erpressen und politische Entscheidungen auch sachfremder Art zu erzwingen. Insbesondere Europa kann Trump auch mit dem nuklearen Schutzschirm erpressen, sollte Brüssel seine Karten überreizen. Hier liegt die neue Verwundbarkeit.