Immer häufiger werden Untersee-Datenkabel von Schiffen beschädigt – teilweise unter verdächtigen Umständen. Die Nato testet in Schweden, ob sich die ozeanischen Datenströme auf Satelliten umleiten liessen. Doch die Umsetzung stösst auch auf rechtliche Hürden.
Ohne sie gäbe es kein Internet: Mehr als 500 Datenkabel, so dick wie Gartenschläuche, durchqueren die Weltmeere und ermöglichen Video-Konferenzen, Online-Käufe und Aktienhandel rund um den Globus. Doch die Unterseekabel geraten zunehmend in den Sog geopolitischer Spannungen. Zuletzt häufen sich Berichte von Schiffen, die verdächtige Manöver über den Datenkabeln durchführen und diese mit ihren Ankern über Kilometer hinweg hinter sich herschleifen. Wohl nicht zufällig konzentrieren sich die Vorfälle in der Ostsee und im Südchinesischen Meer vor der Küste Taiwans. Die Spuren führen oft nach Russland und China.
Nun investiert die Nato in eine Absicherung für die unterseeischen Datenverbindungen. Im Forschungsprojekt Heist testet das Militärbündnis, ob sich die submarinen Datenströme im Notfall auf Satelliten umleiten liessen. Das Vorhaben ist mit zweieinhalb Millionen Euro dotiert. Bis Ende 2026 soll ein Prototyp des Umleitungssystems entstehen.
Das Projekt sei eine sinnvolle Massnahme, um die Infrastruktur der Nato-Mitgliedländer robuster zu machen, sagt Sophia Besch. Sie forscht als Senior Fellow am US-amerikanischen Carnegie Endowment for International Peace. Auf hoher See sei es schliesslich sehr schwierig, Sabotage nachzuweisen, geschweige denn zu verhindern. Da sei die Investition in die Resilienz die bessere Abwehr.
Üben für das Internet-Blackout
Kabelbrüche im Ozean passieren häufiger, als man vielleicht denkt. Gemäss Erhebungen treten sie rund 200 Mal pro Jahr auf. 98 Prozent der Schadensfälle gehen laut Gregory Falco, dem Heist-Projektleiter und Professor an der Cornell University, auf Unfälle durch Schiffsanker, Fischerei-Schleppnetze oder auf Naturgewalten wie Erdbeben oder Vulkanausbrüche zurück. Zu Unterbrüchen des Internets kommt es in Europa trotzdem selten. Denn die Kabelbetreiber können den Datenverkehr bei Ausfall eines Kabels in der Regel schnell auf andere Kabel umlenken.
Was aber, wenn mehrere Leitungen im Zuge eines koordinierten Sabotageakts gleichzeitig gekappt werden würden? Den Ernstfall probten die Telekom-Behörde und der Zivilschutz Islands letzte Woche bei der Notfallübung «Iceland Unplugged». Der Inselstaat ist Standort zahlreicher Rechenzentren, die internationale Firmen bedienen. Dabei ist das Land aber nur durch vier Unterseekabel mit seinen Nachbarn verbunden. Fallen alle Kabel gleichzeitig aus, haben die Isländer kein Internet mehr – ein Blackout, das etwa auch Bankkunden weltweit treffen könnte.
Genau einem solchen Szenario soll Heist laut Gregory Falco vorbeugen. Das Ziel sei es, Kabelbrüche zeitnah und auf wenige Meter genau zu orten und dann den Datenfluss sofort auf Satelliten umzuleiten. Dafür müssten mehrere Technologien zusammenkommen, die im Einzelnen bereits erprobt seien, nicht aber im Zusammenspiel.
Diese Systemintegration wird zurzeit am Blekinge Institute of Technology im südschwedischen Karlskrona getestet. Die technische Hochschule liegt unweit des Hauptstützpunktes der schwedischen Marine und direkt vis-à-vis von der russischen Exklave Kaliningrad.
Dunkle Fasern als Mikrofone
Um einen Kabelschaden festzustellen, will das Heist-Team sogenannte «dunkle Fasern» in den Kabeln quasi als Mikrofone nutzen. Das sind Glasfasern, die durch das Kabel verlaufen, aber keine Internetdaten transportieren. Forscher nutzen diese Fasern in ausrangierten Unterseekabeln bereits heute als Sensoren, um Erdbeben, Stürme und sogar Walgesänge aufzuspüren.
Schallwellen versetzen die Fasern nämlich in Schwingungen und verformen sie. Schickt man einen Laserstrahl durch die Faser, lässt sich die Verformung an Anomalien im zurücklaufenden Strahl ablesen. Die Abweichungen durch Walgesänge sind minimal, bei einem Kabelbruch aber beträchtlich.
Um Kabelbrüche von den Lasersignalen abzulesen, sind im Heist-Projekt aufwendige Echtzeit-Datenanalysen mittels maschinellen Lernens vorgesehen. Algorithmen dafür sind bereits von US-Forschern des Sandia National Laboratory entwickelt worden. Die grösste Schwierigkeit liegt laut dem Projektleiter Falco nun beim Zugang zu den Daten.
Die privaten Kabelbetreiber – traditionell Telekomunternehmen, vermehrt aber auch Tech-Riesen wie Microsoft, Google, Meta und Amazon – seien von der Idee, diese Daten herauszugeben, gar nicht angetan.
Falco betont, dass die Daten aus den dunklen Fasern nicht die eigentliche Kommunikation von Internetnutzern enthielten. Sie sollen vielmehr über den physischen Zustand der Kabel Auskunft geben. Trotzdem wollten die Kabelbetreiber auch diese Information geheim halten, weil sie fürchteten, häufige Kabelbrüche könnten ihrer Reputation schaden. Diese Angst sei auch der Grund, warum die Öffentlichkeit von den meisten Kabelbrüchen nie etwas erfahre.
Die ETH-Forscherin Myriam Dunn Cavelty hat Verständnis dafür, dass die Kabelbetreiber sich ungern auf einen Datenaustausch mit Regierungen, Militärs oder Nachrichtendiensten einliessen. Dunn Cavelty kümmert sich innerhalb des Heist-Projekts um Fragen der Governance und der öffentlich-privaten Partnerschaften. Sie sagt, man müsse Anreize schaffen, um die Kabelbetreiber zur Herausgabe der benötigten Daten zu bewegen. Ob das bei allen Kabelbetreibern gelinge, sei aber noch offen.
Welche Daten werden umgeleitet?
Ist eine Unterbrechung des Datenverkehrs wegen eines Kabelschadens einmal festgestellt, wollen die Heist-Forscher die Übermittlung auf Satelliten umstellen. Das geschieht in den Rechenzentren an Land, wo die Unterseekabel einlaufen. Das Heist-Team will mit automatisierten Protokollen überprüfen, ob über dem betroffenen Rechenzentrum gerade ein Satellit vorbeifliegt, der einen Teil des Datenverkehrs übernehmen kann.
Die Betonung liegt auf «einen Teil». Denn selbst die modernsten Satelliten liegen weit hinter Unterseekabeln zurück, wenn es um die Geschwindigkeit der Datenübertragung geht. So können die neuesten Unterseekabel Hunderte von Terabit pro Sekunde transportieren. Radiofrequenz-Satelliten hingegen erreichen mit maximal 1 Gigabit pro Sekunde nur einen Hunderttausendstel davon. Von der Umleitung auf Satelliten dürften also nur Daten von höchster Bedeutung im Krisenfall profitieren.
Wer soll wie darüber entscheiden, welche Daten umgeleitet werden? Das fragt sich Ferdinand Alexander Gehringer, Referent für Cybersicherheit in der Abteilung Internationale Politik und Sicherheit der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin. Für das Bundeskanzleramt zum Beispiel müsste es eine separate Leitung geben. Anders sei die Umleitung wohl gar nicht machbar. Denn es sei ja nicht so, dass Daten in den Unterseekabeln säuberlich voneinander getrennt flössen. Momentan hat das Heist-Team noch keine Antworten darauf. Mit rechtlichen Fragen werde man sich erst in späteren Phasen des Projekts beschäftigen, heisst es auf Anfrage.
Das Problem liesse sich technologisch abmildern. Eine höhere Übertragungsrate wäre nämlich mit Satelliten möglich, die mittels Laser statt Radiowellen mit den Bodenstationen kommunizieren – eine Technologie, die allerdings noch in den Anfängen steckt. Die Laserkommunikation wäre auch weniger leicht durch Cyberangriffe abzuhören und zu manipulieren.
Anbieter der Technologie sind aber laut Falco noch rar. Das Heist-Team setzt seine Hoffnungen in Firmen wie das französische Startup Cailabs. Das in Rennes ansässige Unternehmen stellt Bodenstationen her, mit denen sich Lasersignale an Satelliten senden und von ihnen empfangen lassen. Letzten Sommer wurde die Laserverbindung zwischen Boden und erdnahen Satelliten in einem Projekt mit dem Verteidigungsministerium Frankreichs und dem französischen Hersteller von Nanosatelliten Unseenlabs demonstriert.
Cailabs bestätigte auf Anfrage, dass erste Gespräche mit den Heist-Verantwortlichen stattgefunden haben. Es sei aber noch zu früh, um zu sagen, ob es zur Zusammenarbeit kommen werde.
Laser helfen nur bedingt
Der Trend zur laserbasierten Kommunikation ist auch für den Datenaustausch zwischen Satelliten zu beobachten. Die Starlink-Satelliten von Elon Musks SpaceX tauschen bereits Daten mittels Laser aus. Das sollen in den kommenden Jahren auch die Satelliten von Jeff Bezos’ Project Kuiper können. Die europäische Raumfahrtorganisation ESA und private europäische Unternehmen planen ebenfalls ähnliche, wenngleich kleinere Satellitenflotten. Und in China haben die ersten Raumfahrtunternehmen Satelliten in den Orbit gebracht, die gemäss Berichten ebenfalls mit Laserkommunikation ausgestattet sind.
Doch selbst mit Lasern kommen Satelliten heute auf Datenübertragungsraten von nur rund 100 Gigabit pro Sekunde. Die Verbindung über Untersee-Glasfaserkabel ist da immer noch tausendmal schneller. Bei der Umleitung des Internets auf Satelliten wird es also nach wie vor nötig sein, Prioritäten zu setzen. Netflix schauen liegt da eher nicht drin.