Dem neuen europäischen Spezialweltraumteleskop „Euclid“ ist in seiner Testphase im September 2023 eine erstaunliche Entdeckung gelungen: Wie Astronomen um Conor O’Riordan vom Max-Planck-Institut für Astrophysik in Garching bei München in der heute erschienenen Ausgabe von Astronomy & Astrophysics berichten, zeigten Beobachtungen mit den Bordkameras für sichtbares Licht und nahes Infrarot der 590 Millionen Lichtjahre entfernten Galaxie NGC 6505 um ihr Zentrum einen perfekten Ring.
Dabei ist NGC 6505 den Astronomen lange bekannt. Zwar steht „NGC“ für „New General Catalogue“, doch begann man dieses Verzeichnis von Sternhaufen und kosmischen Nebeln schon vor mehr als 140 Jahren zusammenzustellen – zu einer Zeit, als noch gar nicht bekannt war, dass die meisten dieser Nebel aus Sternen bestehen und andere Galaxien außerhalb der Milchstraße darstellen. Das galt auch für den 1884 entdeckten Nebel Nummer 6505 im Sternbild Drache.
Ein Reif aus weit gereistem Licht
Inzwischen ist das Objekt gut studiert. Es handelt sich um eine sogenannte elliptische Galaxie – es gibt dort also keine Spiralarme wie in unserer Milchstraße –, und sie versammelt die Masse von rund 25 Milliarden Sonnen. Da die meisten davon kleiner sind als die Sonne und die Galaxie neben Sternen auch erkleckliche Mengen sogenannter Dunkler Materie enthält, könnte NGC 6505 die Heimat von bis zu einer Billion Sternsystemen sein.
Der Ring allerdings gehört nicht dazu. Das Sternenlicht, das von dort bis in Euclids Kameras vordrang, kommt nicht aus NGC 6505, sondern von einer ganz anderen, bisher unbeobachteten und daher noch namenlosen Galaxie, die von unserem Sonnensystem aus gesehen exakt hinter dem Zentrum von NGC 6505 liegt. Und zwar weit dahinter: Nach Berechnungen von O’Riordan und Kollegen ist die Hintergrundgalaxie 4,42 Milliarden Lichtjahre von uns entfernt, also mehr als siebenmal weiter als NGC 6505.
Tausend starke Linsen
Die Hintergrundgalaxie ist nun aber selbst keineswegs ringförmig. Die eigentümliche Verteilung ihres Lichts wird vielmehr erst durch das Gravitationsfeld der Vordergrundgalaxie NGC 6505 erzeugt. Da Schwerefelder gemäß Albert Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie Lichtstrahlen auf gekrümmte Bahnen schicken, wirkt NGC 6505 wie eine gewaltige Linse, ohne die längst nicht so viel Strahlungsenergie der Hintergrundgalaxie zu uns gelangte. Mehr oder weniger kompakte Lichtquellen werden durch diesen Effekt zu multiplen Lichtflecken oder Kreisbögen verzerrt. Oder, wenn die geometrische Anordnung so ideal ist wie in diesem Fall, zu einem Ring, einem sogenannten Einstein-Ring.
Seit 1979 ist der Gravitatonslinseneffekt nicht nur eine theoretische Folge aus Einsteins Gleichungen, sondern auch ein Beobachtungsphänomen – und inzwischen auch ein wichtiges Instrument der extragalaktischen Astronomie. Oft sind es ganze Galaxienhaufen, die mit ihren enormen Massen das Licht entfernterer Objekte zu Bögen verzerren. Etwas weniger als tausend solcher „starken Linsen“ sind bislang bekannt – es gibt auch noch einen sogenannten schwachen Gravitationslinseneffekt. Komplette Einstein-Ringe sind jedoch sehr selten. Der erste wurde erst 1998 beobachtet, und eine 2005 veröffentlichte Durchmusterung des Himmels nach Gravitationslinsen fand lediglich acht.
Das Weltraumteleskop Euclid dürfte diese Datenlage nachhaltig ändern. Das Instrument wurde am 1. Juli 2023 gestartet, hat am 14. Februar 2024 seinen wissenschaftlichen Betrieb aufgenommen und ist auf die Durchmusterung des extragalaktischen Universums spezialisiert. Innerhalb von sechs Jahren soll Euclid rund zwei Milliarden Galaxien kartieren, bis hinaus zu Entfernungen von zehn Milliarden Lichtjahren. Ein erster Datensatz wurde im vergangenen Oktober publiziert, mit dem nächsten wird im kommenden Monat gerechnet.
Am Ende rechnen die Forscher auch mit der Beobachtung von 100.000 starken Gravitationslinsen. Sicher wird man dabei auf weitere Einstein-Ringe stoßen. Aber kaum einer dürfte von einer derart vergleichsweise nahen Galaxie wie NGC 6505 erzeugt werden – und daher noch einmal so prächtig sein.