Stehen FPÖ und ÖVP vor dem Aus?

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Auf Messers Schneide standen in Wien die Koalitionsverhandlungen zwischen rechter FPÖ und christdemokratischer ÖVP in der vergangenen Woche. Auf dieser unkomfortablen Position verharrten sie über Wochenende. Und auch am Montag, für den sich die Parteivorsitzenden Herbert Kickl (FPÖ) und Christian Stocker (ÖVP) wieder zu einem Gespräch im engsten Kreis verabredet hatten, war unklar, ob es sich in Richtung Abbruch oder Einigung bewegen würde. Klar war nur, dass die Differenzen nach wie vor groß waren. Und das ohnehin geringe gegenseitige Vertrauen nimmt immer mehr ab.

Ohne Angaben von Zeit und Ort hieß es am Montag, dass die Parteispitzen am Nachmittag und Abend weiter verhandeln wollten. Eine Woche zuvor war es beinahe zum Bruch gekommen. Anlass war eine Forderung zur Ressortverteilung, die Kickl vorlegte. Er beanspruchte für die FPÖ nicht nur das Bundeskanzleramt, das er selbst besetzen möchte, sondern auch die Schlüsselressorts für Finanzen und Inneres. Ferner die Zuständigkeiten für Medien und Kultur sowie Europapolitik. Die ÖVP-Seite fasste das als Provokation auf. Die Gespräche wurden ausgesetzt. Für zwei Tage herrschte Funkstille. Stocker und Kickl kamen zu getrennten Gesprächen zu Bundespräsident Alexander Van der Bellen in die Hofburg.

Sorge um das Vertrauen der westlichen Partner

Die brisanteste Ressortfrage ist das Innenministerium. Kickl war selbst Innenminister in der ÖVP-FPÖ-Regierung zwischen 2017 und 2019. Einer der ersten aufsehenerregenden Schritte war damals eine staatsanwaltschaftliche Razzia im Verfassungsschutzamt BVT, zu der die Initiative von Kickls Büro ausging: Zeugen wurden von seinen Mitarbeitern orchestriert, die Ausführung übernahm eine Polizeieinheit, die unter dem Kommando eines FPÖ-Kommunalpolitikers stand. Die Vorwürfe, wegen derer die Razzia ausgeführt wurde, fielen nach und nach in sich zusammen, die Durchsuchung wurde von einem Gericht als rechtswidrig beurteilt. Aber der Schaden, auch für die internationale Vernetzung des Nachrichtendienstes, war immens. Das BVT wurde später unter ÖVP-Ministern neu aufgestellt und heißt jetzt DSN.

Folgen für das Ansehen der österreichischen Sicherheitsdienste bei den Partnern im Westen werden auch nun befürchtet, wenn Kickl Kanzler werden und darüber hinaus die FPÖ auch noch den Innenminister stellen sollte. Das liegt nicht nur an der BVT-Affäre, sondern auch an der Nähe der rechten Partei zu Moskau. Mit der Partei des russischen Präsidenten Wladimir Putin hat die FPÖ 2016 einen Freundschaftsvertrag abgeschlossen. Kickl und seine Leute haben zwar beteuert, der Vertrag sei wieder gekündigt worden und nie „mit Leben erfüllt“ worden. Doch Kickls außenpolitische Forderungen liegen noch immer ganz auf Kreml-Linie: Ende der Russland-Sanktionen, Stopp der Ukrainehilfe, Schwächung der EU. Wie jetzt bekanntwurde, will er auch, dass Österreich aus der NATO-Partnerschaft für Frieden aussteigt.

Auch die Zuständigkeit für europäische Politik ist zwischen FPÖ und ÖVP umstritten. 2017 hatte die Volkspartei dafür gesorgt, dass die „EU-Agenden“ aus dem damals „blau“ besetzten Außenministerium ins Kanzleramt gingen. Nun, da Kickl als Sieger der Wahl vom September 2024 Anspruch auf das Amt des Regierungschefs hat, will die ÖVP die EU-Zuständigkeit zurückholen. Selbstverständlich würde Kickl auch dann noch selbst im Europäischen Rat bei den anderen EU-Regierungschefs sitzen und abstimmen. Aber die ÖVP will ihn an Regierungsbeschlüsse binden. So solle ein Alleingang, wie ihn die ÖVP in der vergangenen Regierungszeit mit der grünen Umweltministerin einmal erfahren musste, verhindert werden, heißt es.

FPÖ will Schmerzensgeld für Corona-Maßnahmen

All das zeugt von einem tiefen Misstrauen zwischen den Parteien, die angeblich eine gemeinsame Regierung bilden wollen. Nach dem Beschluss Ende voriger Woche, weiter zu verhandeln, wurde es sogar noch vertieft. Der ORF und anschließend andere Medien berichteten detailliert über den Verhandlungsstand anhand eines umfangreichen Protokolls: Wer was fordert, wo man sich einig ist und in welchen zahlreichen Punkten noch nicht. Da kamen zum Beispiel „blaue“ Forderungen ans Tageslicht, Kirchenprivilegien abzuschaffen wie die Absetzbarkeit des Beitrags oder die Befreiung von der Grundsteuer – die Christdemokraten mussten das als Affront empfinden. Auf FPÖ-Seite wurde die Durchstecherei deshalb bei der Gegenseite vermutet, um die Verhandlungen zu torpedieren. Von beiden Seiten hieß es, das Papier sei nicht auf neuesten Stand.

Einen Einblick über die (ursprünglichen) Positionen ermöglicht es dennoch: Die FPÖ will sich nicht darauf festlegen, die EU-Fahne an Amtsgebäuden zu hissen. Sie will Beschlüsse europäischer Gerichte aussitzen, so weit es geht. Sie will das Asylrecht durch ein „Notgesetz“ aussetzen. Sie will die Teilnahme am WHO-Pandemievertrag verhindern und „Schmerzensgeld“ für von Corona-Maßnahmen betroffene Bürger. Einig sind sich FPÖ und ÖVP hingegen laut dem Papier darüber, die Sozialhilfe erheblich einzuschränken. Über eine Budgetsanierung hatten sich die beiden Parteien schon im Januar geeinigt.

Am Montag berichtete zudem die Zeitung „Der Standard“ über ein Papier, das angeblich aus dem Innenministerium stammt. In der Sache greift es die bekannten Vorbehalte auf: „Eine Regierungsbeteiligung der FPÖ, insbesondere die neuerliche Übernahme des Innenministeriums, hätte direkte und negative Auswirkungen auf die Ermittlungsarbeit und die Spionageabwehr der Republik.“ Im Ministerium schien man von der Publikation überrascht zu sein, auf Anfrage hieß es, ein solches Papier sei dort „nicht bekannt“. Bezeichnend ist der Versuch eines Querschusses, woher auch immer er kommt, dennoch.