KI: Deepseek zeigt Chinas Innovationsfähigkeit

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Paul Triolo ordnet den Erfolg des chinesischen KI-Startups Deepseek ein. Und ist der Meinung, dass die Amerikaner bei künstlicher Intelligenz auch ohne Exportkontrollen vor China liegen würden.

Deepseeks Wissen könne China beim Aufbau eines unabhängigen KI-Ökosystems helfen, sagt KI-Experte Paul Triolo.

Deepseeks Wissen könne China beim Aufbau eines unabhängigen KI-Ökosystems helfen, sagt KI-Experte Paul Triolo.

Miguel Candela / Anadolu via Getty

Wer verstehen will, wie das Sprachmodell des chinesischen Startups Deepseek einzuschätzen ist, landet unweigerlich bei Paul Triolo. Er ist China- und Technologieexperte bei der amerikanischen Beratungsfirma Albright Stonebridge Group. Ausserhalb Chinas weiss kaum jemand so viel wie er über den Entwicklungsstand von künstlicher Intelligenz (KI) in China. Tech-Experten verweisen auf Triolos Arbeiten. Und selbst jene, die anderer Meinung sind, attestieren ihm, vorzüglich über die Geschehnisse in China informiert zu sein.

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Im Gespräch mit der NZZ ordnet Triolo den Erfolg von Deepseek ein. Und wehrt sich entschieden gegen die weitverbreitete Auffassung, die Entwicklung von KI als ein Wettrennen zwischen den USA und China zu betrachten.

Herr Triolo, wie schätzen Sie den Erfolg von Deepseek ein?

Für mich gibt es zwei Blickwinkel, um Deepseek einzuschätzen. Einer davon ist der Open-Source-Ansatz. All jene, die der Meinung sind, KI-Entwicklungen sollten allen offen zugänglich sein, finden das Modell von Deepseek grossartig. Dazu gehört auch Yann LeCun, der Chef der KI-Abteilung von Meta.

Und was ist die zweite Perspektive?

Wegen der amerikanischen Exportkontrollen musste Deepseek mit Nvidia-Chips arbeiten, deren Leistung gedrosselt war. Doch die Deepseek-Ingenieure fanden einen sehr innovativen Weg, diesen Leistungsverlust zu kompensieren. Es zeugt von profundem Wissen der Ingenieure über KI-Chips und von ihren Fähigkeiten, diese Chips trotzdem zu optimieren. Von dieser Entwicklung wird die gesamte chinesische KI-Branche profitieren. Und genau solches Wissen braucht China, wenn es ein eigenes KI-Ökosystem aufbauen will, das jenem von Nvidia ebenbürtig sein soll.

Paul Triolo.

Beobachter zweifeln an den offiziellen Aussagen von Deepseek dazu, wie viel Rechenleistung Deepseek zur Entwicklung seines Sprachmodells tatsächlich zur Verfügung hatte. Inwiefern erschwert diese Unsicherheit, die Bedeutung der Entwicklung von Deepseek abschliessend einzuschätzen?

Es ist tatsächlich schwierig, die Entwicklung von Deepseek einzuschätzen, weil einige Details noch immer unklar sind. Aus meiner Sicht ist es extrem unwahrscheinlich, dass Deepseek mehr leistungsfähigere Nvidia-Chips zur Verfügung hatte als die, über die die Entwickler öffentlich sprechen. Zwei Dinge sprechen für mich dagegen: Erstens schrieb Nvidia in einer Erklärung, das Modell von Deepseek basiere auf Chips, die den amerikanischen Exportkontrollen entsprächen. Und zweitens wissen wir, dass sich die Deepseek-Ingenieure die Mühe gemacht haben, schwächere Chips zu optimieren. Warum hätten sie das tun sollen, wenn sie tatsächlich auch über leistungsstärkere Chips verfügen würden?

Wie sieht denn das Geschäftsmodell von Deepseek aus?

Aus meiner Sicht ist das Geschäftsmodell von Deepseek derzeit noch unklar. Die Motivation des Unternehmens scheint vor allem darin zu bestehen, Teil der Open-Source-Community zu sein und zu zeigen, dass auch chinesische Firmen einen Beitrag zur KI-Entwicklung leisten können. Zumindest im Moment glaube ich nicht, dass Deepseek versucht, mit Meta zu konkurrieren und auch nicht mit Open AI. Wie sollte es auch, im Vergleich zu diesen Firmen ist Deepseek sehr klein. Doch nun bekommt Deepseek sehr viel Aufmerksamkeit, und erste chinesische Firmen wie etwa der Technologiekonzern Huawei beginnen mit Deepseek zusammenzuarbeiten.

Was bedeutet die Entwicklung von Deepseek für die chinesische KI-Branche?

Das hängt davon ab, inwiefern Deepseek auch künftig genügend Zugang zu leistungsfähigen KI-Chips haben wird, um seine Modelle zu trainieren. Die Deepseek-Ingenieure zeigen der Welt, wie innovativ China im KI-Bereich ist. Und sie befeuern Chinas ohnehin schon sehr dynamische KI-Branche.

Welches sind die führenden KI-Unternehmen in China?

Nachdem Deepseek sein Modell vorgestellt hatte, zogen etwa Alibaba und Bytedance mit eigenen Modellen nach. Baidu betreibt ein eigenes Modell. Huawei ebenfalls, obwohl die Stärke dieses Unternehmens wohl eher in der Hardware liegt als in seinem Modell. Aber wie es mit chinesischer KI weitergeht, ist allein schon wegen der amerikanischen Exportkontrollen schwierig zu sagen.

Wäre China ohne amerikanische Exportkontrollen in der KI-Entwicklung weiter als die USA?

Nein. Amerikanische KI-Unternehmen sind extrem stark, sie wären auch ohne Exportkontrollen führend. Allein schon die Ressourcen von Firmen wie Google, Open AI, Meta und Anthropic sind enorm. Und ich finde es sowieso unpassend zu sagen, die eine oder die andere Seite liege in Führung. KI ist eine sich ständig weiterentwickelnde Wissenschaft, und es gibt viele verschiedene Bereiche. Beispielsweise bauen die USA die besseren KI-Chips, China entwickelt Sprachmodelle, die den amerikanischen ebenbürtig sind. Und wenn es um KI-Algorithmen geht, zeigen die Chinesen mit jenem von Tiktok, wie stark sie hier sind.

Mit ihren Exportkontrollen wollen die USA sicherstellen, dass sie das KI-Wettrennen gegen China gewinnen. Lassen sich anhand des Erfolgs von Deepseek Schlüsse ziehen zum Stand des Rennens?

Ich sehe das nicht als Wettrennen. Die Massnahmen der USA zwingen die chinesischen Unternehmen, innovativ zu sein. Die Frage, die sich für mich stellt, ist: Entwickeln sich deswegen komplett voneinander unabhängige KI-Ökosysteme, ein chinesisches auf der einen und ein amerikanisch-westliches auf der anderen Seite? Man sollte KI-Entwicklung nicht als Wettrennen betrachten, als Nullsummenspiel, in dem gewinnt, wer als Erster die Ziellinie überquert.

Wie sehen Sie KI-Entwicklung dann, wenn nicht als Wettrennen?

KI ist eine Technologie, die unzählige verschiedene Dinge antreiben wird. Ich nutze täglich vier, fünf KI-Modelle für unterschiedliche Aufgaben. Manche vergleichen KI deshalb mit Elektrizität. Bei Elektrizität käme niemand auf die Idee, von einem Wettrennen zu sprechen. KI wird mehr und mehr Anwendungen antreiben in den USA, in China, rund um die Welt. Ich finde, es sollte einen weltweiten Wettbewerb zwischen KI-Anwendungen geben. Die Unternehmen sollten darum konkurrieren, wer für welche Anwendung die beste KI anbietet. Der Begriff «Wettrennen» fokussiert zu sehr auf die Perspektive der nationalen Sicherheit.

Haben Sie ein Beispiel?

Mit Blick auf die nationale Sicherheit gibt es etwa das Argument, dass KI irgendwann virtuelle Softwareentwickler hervorbringe. Dann können sich statt hundert echte Entwickler eine Million virtuelle Entwickler an einem Problem abarbeiten. Diejenigen, die den Aspekt der nationalen Sicherheit in den Vordergrund stellen, sehen diese Entwicklung als Wettrennen. Wer zuerst Millionen virtueller Entwickler zur Verfügung habe, werde als Erstes eine weit fortgeschrittene KI entwickeln. Und dieses Land gewinne. Ich finde, das ist eine sinnlose Art, KI zu betrachten.

Warum?

Zahlreiche Unternehmen forschen an der Hervorbringung dieser virtuellen Softwareentwickler. Sie werden diese zu ganz unterschiedlichen Zwecken einsetzen, und niemand weiss, was genau dabei herauskommen und was davon den grössten Effekt haben wird. Es könnte beispielsweise sein, dass ein neu entwickeltes Modell die Gesundheitsversorgung revolutioniert.

Aber es gibt doch durchaus Anwendungen, für die es wichtig sein könnte, der Erste zu sein, beispielsweise für militärische Zwecke.

Generative KI wie Sprachmodelle, Bild- und Textgeneratoren bieten dem Militär noch keinen entscheidenden Vorteil. Dennoch wird über generative KI gesprochen, als täte sie genau das. Ich verstehe, dass man besorgt ist über die Zukunft von KI. Aber dann sollte man andere Schlüsse daraus ziehen, als die Technologie als Nullsummenspiel zu sehen.

Welche Schlüsse müsste man denn ziehen?

Böswillige Akteure können Modelle wie Deepseek für ihre Zwecke missbrauchen. Regierungen sollten den Fokus auf globale Zusammenarbeit zur Bekämpfung solcher Probleme legen. China und chinesische Unternehmen wie Deepseek sollten Teil der Diskussion sein, wie man KI sicherer machen kann.

Werden China auch in Zukunft Erfolge wie jener mit Deepseek gelingen, obwohl die Unternehmen keinen Zugang haben zu modernsten KI-Chips?

Auf jeden Fall. Firmen wie Deepseek werden die Chips, zu denen sie Zugang haben, weiterhin auf möglichst innovative Weise nutzen. Die Exportkontrollen werden immer wieder zu unerwarteten Innovationen führen. Aber das grösste Problem für China bleiben zweifellos KI-Chips. Es ist unklar, wie rasch China eigene Chips entwickeln kann, die mit Nvidias modernsten mithalten können.