Gerhart Baum: Liberal und streitbar

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Für viele Politiker bedeutet ein hohes Staatsamt das Ziel und dann oft auch das Ende ihrer Laufbahn. Man will „gestalten“ – was heißt, einmal Minister sein. Danach ist es dann mit dem Leben in der Öffentlichkeit vorbei. Bei Gerhart Rudolf Baum war es andersherum: Er hat das Land nach dem Ausscheiden aus seinen Ämtern tiefer geprägt als zu seiner Zeit im Ministerium. Früh gelangte der Jurist und FDP-Politiker zu großer Verantwortung, denn zwischen 1978 und 1982 war er Bundesinnenminister der sozial-liberalen Koalition aus SPD und FDP.

Das war eine Zeit, in der linker Terror, gedeckt von der DDR, eine blutige Spur durch die Bundesrepublik zog: Die Morde der „Rote Armee Fraktion“ etwa an Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer und seinen Begleitern forderten den gerade erst liberalisierten Rechtsstaat auf das Äußerste und zwangen die Demokratie, ihre Wehrhaftigkeit auch mit Härte zu zeigen. Baum, ein freiheitlich denkender Mensch aus tiefster Überzeugung, hatte dabei im Kabinett von Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) eine schwierige Aufgabe: Er musste immer wieder Freiheitsrechte und Fahndungsmaßnahmen gegeneinander abwägen. Sein Kampf galt stets der Gerechtigkeit, nicht der Rache.

Große Karriere nach dem Ministeramt

Mit dem Wechsel seiner FDP an die Seite der Union, dann unter Kanzler Helmut Kohl, begann Baum eine rege Tätigkeit als erfolgreicher Anwalt, dann aber auch als wandelndes Rechtsinstitut zur Wahrung aller möglichen Freiheitsrechte. Gemeinsam mit seinem Parteifreund Burkhard Hirsch klagte Baum häufiger in Karlsruhe als zumindest jeder andere Ex-Bundesminister – und das äußerst erfolgreich. Polizeilichen Ausspähungen, die bis heute umstritten sind, setzte Baum damit ebenso Grenzen wie dem Luftsicherheitsgesetz und der Vorratsdatenspeicherung. Er verteidigte beispielsweise die Rechte von Berufsgeheimnisträgern, darunter Journalisten, gegen Befugnisse des Bundeskriminalamtes.

Dabei war Baum oft entschiedener, beredter und angriffslustiger als große Teile seiner Partei. In Zeiten, wo die FDP aus seiner Sicht zur Netto-Partei der Besserverdienenden wurde, schwang Baum sich auf zu einer Stimme des außerparlamentarischen Liberalismus. Das nervte seinerzeit vor allem Guido Westerwelle. Baum kam dabei die Entstehung der Talk-Show-Republik zupass, zweitweise saß er im Wochentakt auf Fernsehsofas im Studio und verteidigte mit Verve seine Sichtweise des Liberalismus. Gemeinsam mit Hirsch und der FDP-Politikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger bildete Baum den stärksten Flügel innerhalb der FDP.

Gegen jeden Totalitarismus

Sein Eintreten für die liberale Republik, sein Diskussions- und Meinungsfreude hatten tiefe Wurzeln in einem Deutschland unter totalitärer Herrschaft. Geboren 1932 in Dresden, erlebte Baum den Bombenkrieg; sein Vater starb in sowjetischer Kriegsgefangenschaft. Jeder Form des Totalitarismus hatte er schon als junger Rechtsanwalt den Kampf angesagt. Das galt auch für die braunen Süppchen, die seinerzeit noch in der FDP in Nordrhein-Westfalen gekocht wurden. In Köln hatte Baum seit seinem Jura-Studium seinen Lebensmittelpunkt gefunden, hier wurden seine Kinder geboren. Baum war der FDP 1954 beigetreten, zweitweise führte er die damalige Jugendorganisation der Partei und gehörte später viele Jahre Vorstand und Präsidium an, dem Bundestag von 1972 bis 1994.

Der FDP blieb er trotz allem Streit mit manchem Vorsitzenden – eigentlich fast allen seit Hans-Dietrich Genscher – eng verbunden. Und in Jahren des außerparlamentarischen Wirkens erinnerten Baums Bücher, seine öffentliche Präsenz und Stimme daran, dass der organisierte Liberalismus im Land und auch im Parlament gebraucht werde. Nicht der Apparat, ein Ministerium oder dergleichen war sein eigentliches Metier, sondern der offene Austausch von Meinungen, das politische Gefecht, der Rechtsstreit vor Gericht und notfalls der beherzte Kampf gegen Gegner der Demokratie. Und das bis ins hohe und höchste Lebensalter. Am 15. Februar ist Gerhart Baum im Alter von 92 Jahren gestorben.