Wieder bangt der Westen einem Treffen Donald Trumps mit Wladimir Putin entgegen. Oder vielmehr das, was vom Westen übrig ist. Im Juli 2018, in Trumps erster Amtszeit als amerikanischer Präsident, kam er schon einmal mit dem russischen Herrscher zusammen. In Helsinki war das, Finnlands Hauptstadt, die beide Männer damals mit Plakaten an die Bedeutung der Pressefreiheit erinnerte. Es wirkte wie eine Selbstvergewisserung. Als Ort für die Neuauflage des Gipfels scheidet Helsinki seit Finnlands Beitritt zur NATO aus: Russlands Überfall auf die Ukraine vor drei Jahren bewirkte, dass die Finnen das Schutzversprechen durch die Allianz ihrer Bündnisfreiheit vorzogen.
In Saudi-Arabien, das laut Trump Schauplatz seines nächsten Treffens mit Putin werden soll, wird es keine Pressefreiheitsplakate geben: Peitschenhiebe statt Pluralismus. Vor allem ist der Einsatz gestiegen, wenn mit Trump der Anführer des – so die Moskauer Darstellung – „kollektiven Westens“ auf Putin trifft, der diesem Konstrukt und dem amerikanischen „Hegemon“ den Kampf angesagt hat.
Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
Vor der Begegnung 2018 gab es im Westen Sorge, Trump könne die gut vier Jahre zuvor von Putin besetzte Krim jählings als russisch anerkennen oder ankündigen, Sanktionen aufzuheben. Nichts davon geschah, Trump düpierte bloß seine Geheimdienstler, als er in der Frage der russischen Einmischung in die Präsidentenwahl 2016 Putin öffentlich ebenso viel Glauben schenkte wie ihnen. Jetzt wiegen die Sorgen noch schwerer. 2025 geht es nicht allein um die Ukraine, die Trump wohl mit der Macht des mit Abstand größten Unterstützers in einen Waffenstillstand zwingt, der Putin weit entgegenkommt. Es könnte um die gesamte europäische Sicherheitsordnung gehen. Das will jedenfalls Putin, wenn er davon spricht, es müsse im Dialog mit Trump darum gehen, „die Grundursachen des Konflikts“ in der Ukraine zu beseitigen. So äußerte sich der russische Präsident Ende Januar, so antwortete er laut dem Kreml am Mittwochabend im Telefonat mit Trump, als der für ein Ende der Kämpfe in der Ukraine plädierte.
16 NATO-Länder sollen ihren Schutz verlieren
Putins Sprecher stellte tags darauf klar, was das bedeutet: Russland rechne damit, mit den Vereinigten Staaten alle Fragen, die mit der „Sicherheit“ Russlands und des „europäischen Kontinents“ insgesamt verbunden seien, „im Komplex zu diskutieren“. Dmitrij Peskow sagte auch: „Unsere Position ist konsequent, alle kennen sie.“ Nicht einmal Russlands größte Apologeten im Westen können glaubwürdig behaupten, dass Putin seinen Ehrgeiz mit Blick auf die Gestaltung Europas verhehle. Putin klagt nicht nur über angebliche westliche Bedrohungen: Seit Dezember 2021 liegen seine Forderungen offen vor. Damals übermittelte das russische Außenministerium Entwürfe für Verträge mit den Vereinigten Staaten und der NATO nach Washington und Brüssel, die „Sicherheitsgarantien“ für Russland vorsehen.
In den Texten, die weiter auf der Ministeriumsseite stehen, werden Frieden und Vertrauen beschworen, doch laufen die Forderungen darauf hinaus, Europa einer „Einflusssphäre“ von Putins Russland zuzuschlagen. Moskau fordert den Verzicht auf jede NATO-Erweiterung und will Staaten, die vor dem 27. Mai 1997 – als die NATO-Russland-Grundakte unterzeichnet wurde – Mitglieder des Bündnisses waren, verbieten, ohne seine Zustimmung Truppen oder Ausrüstung in Staaten zu bringen, die erst danach Mitglieder wurden. Alle 16 seit 1999 beigetretenen Staaten Mittel-, Ost- und mit Finnland und Schweden nun auch Nordeuropas stünden damit ohne militärischen Schutz der Partner da.
Außerdem will Moskau den NATO-Staaten „Manöver und andere militärische Aktivitäten oberhalb des Niveaus von Brigaden in einem Streifen vereinbarter Breite und Konfiguration“ entlang der russischen Grenze verbieten. Den drei baltischen Staaten wäre jede Bewegungsfreiheit genommen.

Die Vereinigten Staaten sollen alle Truppen und Ausrüstung aus Europa abziehen, sobald Moskau erklärt, ihre Anwesenheit als „Bedrohung seiner nationalen Sicherheit“ zu verstehen. Vorgesehene Verpflichtungen Moskaus wie Washingtons, keine Nuklearwaffen im Ausland zu stationieren, solche Waffen zurückzuholen und entsprechende Infrastruktur abzubauen, richten sich gegen die „nukleare Teilhabe“, ein Kernstück der Abschreckungspolitik der NATO. Amerika müsste seine Nuklearwaffen aus Europa zurückholen, Putin nur die von 2023 an nach Belarus verbrachten Nuklearwaffen.
Ende 2021 empfanden auch Moskauer Beobachter die Kataloge als „Ultimatum“ und „Forderung einer bedingungslosen Kapitulation“, wie etwa die Staatsnachrichtenagentur RIA kommentierte. Viele sahen sie vor dem Hintergrund des damaligen Aufmarsches russischer Truppen an den Grenzen der Ukraine als Versuch, neue Verhandlungen mit Washington zu erzwingen. Die Regierung des damaligen amerikanischen Präsidenten Joe Biden und die NATO erklärten sich bereit zu Dialog und vertrauensbildenden Maßnahmen, hoben aber hervor, man werde nicht auf Erweiterungen des Bündnisses oder Maßnahmen verzichten, um alle Verbündeten zu verteidigen und zu schützen – was Moskaus Vertretern Gelegenheit gab, neuerlich zu klagen, Russlands Sorgen würden nicht berücksichtigt.
Mit Putins Überfall vom 24. Februar 2022, der sogar seine eigenen Funktionäre überrumpelte, wirkten die beiden unannehmbaren Forderungskataloge bloß noch wie Nebelkerzen. Aber sie wurden nie zurückgezogen, wie keines von Putins Kriegszielen. Anders als Trump, der schon vor dem gewünschten Gipfel mit Putin vieles ausschließt (so die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine, die Wiedererlangung von deren territorialer Integrität und amerikanische Friedenstruppen), geht Russlands Herrscher mit Maximalforderungen in die Gespräche. Werden sie enttäuscht, gibt es einen Grund mehr, weiter Krieg zu führen, auf den Russlands Wirtschaft und Gesellschaft ausgerichtet sind. Er will nicht allein die Ukraine als Staat vernichten, was, unter anderem, Millionen Menschen in die Flucht schlagen würde, die nicht „vielleicht eines Tages russisch sein“ wollen, wie Trump in dieser Woche nonchalant sagte. Putin denkt größer, geopolitisch, und will Trump die Tagesordnung des Gipfels vorgeben, mit seiner Interpretation der „Grundursachen des Konflikts“. Dass Trump Putins Neoimperialismus als eigentlichen Kriegsgrund benennt, erscheint angesichts seines vielfachen Lobs für den russischen Herrscher kaum wahrscheinlich; schon 2018 in Helsinki fand er kein Wort der Kritik. Was will Donald Trump eigentlich?
Trump gefällt sich in der Rolle des Friedensstifters
Wer nach einer detaillierten Strategie des amerikanischen Präsidenten sucht, der kann sich nur einer Sache sicher sein: Er schreibt auch für die Lösung internationaler Konflikte das gängige Regelbuch um. Nicht nur machte er mit seinem Anruf bei Wladimir Putin in dieser Woche den Aggressor wieder hoffähig. Trump hob in seiner Darstellung des Gesprächs auch die Stärke beider Nationen hervor. Er gefällt sich in der Rolle als Friedensstifter, der die Weltgeschäfte mit einem Anruf regeln kann.

Dass er den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, einen Verbündeten der Vereinigten Staaten, erst nach dem „langen und höchst produktiven“ Telefonat mit Putin sprach, rief heftige Kritik hervor. Trump tat das später als Haarspalterei ab: Man wisse ja schließlich, dass die Ukraine ein Ende des Krieges wolle, im Falle Russlands habe man das erst herausfinden müssen. Doch auf die Frage, ob Kiew in Friedensgesprächen ein gleichberechtigter Partner sei, antwortete Trump nur, das sei eine „interessante Frage“. Die Ukraine müsse Frieden schließen. Am Donnerstag schob er hinterher, „selbstverständlich“ werde Kiew Teil der Verhandlungen sein. Wenig später forderte er, Russland wieder in die Runde der G 7 aufzunehmen – der Rauswurf sei ein „Fehler“ gewesen.
Trump hatte im Wahlkampf Hunderte Male davon gesprochen, den „sinnlosen“ Krieg in der Ukraine „sofort“ zu beenden. Dahinter dürfte zum einen der Wunsch stehen, sich ein historisches Vermächtnis zu sichern. Trump sei besessen davon, eines Tages den Friedensnobelpreis zu gewinnen, heißt es aus seinem Umfeld. Und sollte Putin ihm doch noch einen Strich durch die Rechnung machen, wird er in üblicher Manier zur Konfrontation übergehen und Moskau die Schuld zuschieben.
Von seiner Basis hat Trump wenig zu befürchten
Ein Ende des Konflikts geht außerdem mit seiner Prämisse „America First“ einher. Weniger amerikanisches Engagement bedeutete weniger amerikanisches Risiko. An seiner Basis hat Trump mit diesem Vorgehen wenig zu befürchten. Im Wahlkampf wurde er für die Ankündigung beklatscht, amerikanisches Geld künftig im eigenen Land statt in der Ukraine auszugeben. Dabei wurden Dutzende Milliarden Dollar der bewilligten Militärhilfe in den Vereinigten Staaten ausgegeben, etwa in der Rüstungsindustrie für den Bau neuer Waffen. Wenn Verteidigungsminister Pete Hegseth nun sagt, Europa müsse sich selbst um seine Sicherheit kümmern, ist das vielen nur recht.

Bemerkenswert ist, dass Trump in seiner Aufzählung des künftigen Verhandlerteams Keith Kellogg nicht erwähnte, seinen Sonderbeauftragten für die Ukraine und Russland. Der hatte in einem Aufsatz im vergangenen Jahr dargelegt, wie Trumps „Frieden durch Stärke“ in der Ukraine aussehen könnte. Demnach ist der Krieg durch eine schwache amerikanische Außenpolitik zustande gekommen und könne durch eine starke Führung beendet werden. Er lobte Trumps Sanktionen gegen Nord Stream II und die Waffenlieferungen an die Ukraine.
Doch von Drohungen gegen Moskau war nach Trumps Telefonat mit Putin bislang nichts zu hören. Stattdessen schrieb er vom „großen Nutzen“, den eine künftige Zusammenarbeit haben könne. Den Part des „bösen Cop“ übernahm Vizepräsident J.D. Vance. Der kündigte am Freitag wirtschaftliche und militärische Konsequenzen an, sollte Moskau nicht spuren. Demnach besteht doch die Möglichkeit, dass Washington Truppen in die Ukraine entsendet. Trump werde jedenfalls nicht „mit Scheuklappen“ in die Verhandlungen gehen.
Wie die Rahmenbedingungen dieser Gespräche aussehen sollen, legte Verteidigungsminister Hegseth diese Woche dar: keine Rückkehr zu den ukrainischen Grenzen von vor 2014, keine Aufnahme der Ukraine in die NATO im Zuge der Verhandlungen, keine amerikanischen Truppen in der Ukraine und „robuste Sicherheitsgarantien“. Trump hat kein Interesse daran, die Ukraine gänzlich fallen zu lassen. Würde sie danach von Russland überrannt, ließe ihn das nicht als starken Mann dastehen. Doch Trump ist immer auch Geschäftsmann. In einem Interview sagte er jüngst, die Vereinigten Staaten verdienten eine Gegenleistung für die Ukraine-Hilfen. Konkret: Bodenschätze im Wert von 500 Milliarden Dollar. Kiew habe dieser Abmachung schon „im Wesentlichen zugestimmt“.
Für Selenskyj beginnt jetzt eine Gratwanderung
Ukrainische Bodenschätze hatte Selenskyj bereits im Herbst als Teil seines „Siegesplanes“ angeboten. Nach Trumps Telefonat mit Putin jedoch verzichtete der ukrainische Präsident vorerst darauf, einen Vertrag „Sicherheit gegen Rohstoffe“, den ihm der amerikanische Finanzminister Scott Bessent sogleich am Mittwoch in Kiew präsentiert hatte, zu unterzeichnen. Stattdessen erklärte Selenskyj, der von Trump über dessen Gespräch mit Putin im Nachgang „informiert“ worden war, am Donnerstag entschieden, „jegliche bilateralen Verhandlungen über die Ukraine ohne uns nicht akzeptieren“ zu wollen.

Für Selenskyj beginnt jetzt eine Gratwanderung. Er kann für sein Land, das sich seit drei Jahren nicht nur an der Front verteidigt, sondern dessen Städte tagtäglich aus Russland mit Raketen, Bomben und Drohnen beschossen werden, kein Ergebnis akzeptieren, bei dem Russlands Forderung nach einer faktischen Aufgabe der ukrainischen Souveränität erfüllt wird. Zugleich kann er auch die USA nicht verprellen, die der größte militärische Unterstützer der Ukraine sind und als Garantiemacht nach Kriegsende gebraucht werden, weil Moskau die Europäer nicht ernst nimmt. „Ein Waffenstillstand ohne verlässliche Sicherheitsgarantien wird der Ukraine keinen dauerhaften und gerechten Frieden bringen“, wiederholte Selenskyj am Freitag nach einem Gespräch mit dem litauischen Präsidenten, der ihn wie viele europäische Staatschefs in Anrufen seiner Solidarität versicherte. Und Selenskyj fügte hinzu: „Ich betone, dass die Vereinigten Staaten eine Schlüsselrolle bei der Bereitstellung von Sicherheitsgarantien für die Ukraine spielen sollten.“
Die Ukrainer, die sich bereits seit 2014 gegen die russische Aggression zur Wehr setzen, wollen sich verständlicherweise auf keinen Waffenstillstand einlassen, den Russland bei nächster Gelegenheit abermals bricht. Wirksame Sicherheitsgarantien sind die rote Linie. Und die wirksamste für Selenskyj wie für die ukrainische Opposition ist eine NATO-Mitgliedschaft. In manch anderem hingegen ist Selenskyj von Maximalpositionen abgerückt. Dass die teilweise von Russland besetzten Gebiete Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson sowie die Krim bis auf Weiteres nicht wiederzuerlangen sein könnten, hat er bereits vor Monaten eingeräumt und zugleich betont, dass die Ukraine ihren Rechtsanspruch auf die Gebiete nicht aufgeben werde.
52 Prozent der Ukrainer wollen ein Kriegsende „so schnell wie möglich“
Das sieht auch ein wachsender Teil der Bevölkerung so. Einer repräsentativen Umfrage des Kiewer Internationalen Instituts für Soziologie (KIIS) zufolge sind inzwischen 38 Prozent der Ukrainer offen für territoriale Zugeständnisse im Gegenzug für Frieden. Das sind doppelt so viele wie noch ein Jahr zuvor. Eine knappe Mehrheit ist nach wie vor dagegen. Die Sehnsucht nach Frieden kommt auch in einer Umfrage des amerikanischen Meinungsforschungsinstituts Gallup aus dem Herbst 2024 zum Ausdruck, der zufolge sich 52 Prozent der Ukrainer Verhandlungen über ein Kriegsende „so schnell wie möglich“ wünschten, gut ein Drittel sprach sich dagegen aus.

Die Opposition ist sich mit Selenskyj einig, dass die Ukraine nicht ihren Anspruch auf die besetzten Gebiete aufgeben dürfe. Zudem könne man keine Beschränkungen der Armee, der Anzahl der Waffen oder zum Beitritt zu militärischen Bündnissen akzeptieren, sagte Wolodymyr Arjew von der Oppositionspartei Europäische Solidarität dem Portal „Kyiv Independent“. Über alles andere gebe es „einen gewissen Spielraum“.
Unabhängig davon ist auch die ukrainische Armee ein inzwischen bedeutender Machtfaktor im Land. Zugeständnisse an Russland würden zwangsläufig zur Frage führen, wofür man seit elf Jahren gekämpft und so viele Leben verloren habe. Hinzu kommt, dass ganze Brigaden über einen äußerst hohen Selbständigkeitsgrad verfügen, sich von Anfang an auch mithilfe privater Spenden finanzieren und eigenständig Männer rekrutieren, ganz zu schweigen von Soldaten, die ihren Sold für Munition und Drohnen ausgeben, weil sie über offizielle Wege zu wenig erhalten. Die Gefahr eines Aufstands bei einem in ihren Augen grob unfairen Deal für die Ukraine ist nicht zu unterschätzen.