Washington schafft bei Münchner Sicherheitskonferenz Fakten

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Friedrich Merz wird auf der Münchner Sicherheitskonferenz als Kanzler vorgestellt. Es ist nur ein Versprecher. Der Kanzlerkandidat sitzt im Bayerischen Hof auf der Bühne und schmunzelt, die Moderatorin korrigiert sich. Neben Merz sitzen aber auch nur Regierungschefs und Präsidenten. Es gibt Lacher im Publikum, dann wird es wieder Ernst, und der zumindest wahrscheinlich nächste Kanzler beginnt mit seinen Gesprächspartnern zu diskutieren, wie Europa die Ukraine unterstützen kann. Die Stimmung ist spätestens seit dem amerikanischen Aufschlag am Freitag noch angespannter als ohnehin schon.

Am Sonntag ist die Sicherheitskonferenz in München zu Ende gegangen, und wieder hat der Krieg in der Ukraine die Gespräche dominiert. Nur kam an diesem Wochenende die Sorge hinzu, wie sehr Europa sich in dieser dramatischen Lage noch auf die transatlantische Freundschaft verlassen kann. So kurz nach dem Telefonat des amerikanischen Präsidenten Donald Trump mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und nach der sehr speziellen Auftaktrede in München von US-Vizepräsident J. D. Vance. So wurde es kurz vor der Bundestagswahl auch ein außenpolitischer Balanceakt für die Kanzlerkandidaten: für Merz und für Olaf Scholz, den eigentlichen Kanzler. Klar ist jedenfalls: Viel Zeit haben Deutschland und Europa nicht, um ihre Rolle zu finden. Amerikaner und Russen werden schon in den nächsten Tagen mit persönlichen Gesprächen zum Ukrainekrieg beginnen.

Mit einem Wumms hatte Vance am Freitag das Wochenende eingeläutet. Es gab zwar Stimmen, die einen Vorteil darin erkennen wollten, dass Vance außenpolitisch keine großen Ankündigungen gemacht hatte, etwa einen von manchen befürchteten Abzug von Truppen aus Europa. Schließlich hatte Vance über Außen- und Sicherheitspolitik gar nicht gesprochen.

Trump lobt Vances „brillante Rede“

Allerdings hallten seine Worte und vor allem das, was sie über seinen Blick auf die europäischen Partner zu verraten scheinen, das ganze Wochenende nach: Er behauptete, dass in Europa Werte bedroht seien, die man mit Amerika teile. Er zielte damit auf die Meinungsfreiheit. Auch eine kaum verklausulierte Wahlempfehlung für die AfD sprach er aus, ohne die Partei zu erwähnen: „Es gibt keinen Platz für Brandmauern“, sagte Vance. Trump hatte danach von einer „sehr brillanten Rede“ geschrieben. Für die deutschen Wahlkämpfer machte es die Lage noch komplizierter. Klare Selbstbehauptung musste in Einklang gebracht werden mit dem Ziel, die Beziehungen nicht noch weiter zu belasten.

Schon am Freitag hatte Verteidigungsminister Boris Pistorius sich unter dem frischen Eindruck der Vance-Rede für eine harsche Zurückweisung entschieden. Scholz war da, anders als Merz, noch gar nicht bei der Sicherheitskonferenz. Auch Vance sollte er, ebenfalls anders als Merz, in München nicht treffen. Pistorius stellte sich minutenlang gegen die Beschuldigungen, Behauptungen und Forderungen des amerikanischen Vizepräsidenten. Dieser vergleiche Zustände in Teilen Europas mit denen in autoritären Regimen. „Das ist nicht akzeptabel“, sagte er unter Beifall. „Das ist nicht das Europa, nicht die Demokratie, in der ich lebe“. Und diese Demokratie müsse sich „wehren können gegen die Extremisten, die sie zerstören wollen“.

Am Samstagmorgen hat Scholz seinen Aufschlag. Den Einstieg passt er auf die Brandmaueräußerung von Vance an, erinnert an das nahe Konzentrationslager Dachau. Das hat auch Vance gerade besucht. Scholz weist auf die Verbrechen der Nationalsozialisten hin und die zentrale Lehre der deutschen Demokratie daraus, dass so etwas nie wieder passieren dürfe. Mit einer AfD, aus deren Reihe heraus der Nationalsozialismus als „Vogelschiss der Geschichte“ bezeichnet werde, sei das Bekenntnis „Nie wieder“ nicht in Einklang zu bringen. „Deshalb werden wir es nicht akzeptieren, wenn Außenstehende in unsere Demokratie, unsere Wahlen und unsere Meinungsbildung eingreifen“, sagt Scholz. „Das gehört sich nicht.“ Und: „Wie es mit unserer Demokratie weitergeht, entscheiden wir selbst.“

Dann leitet der Kanzler über zur Ukra­ine und stellt die Formel voran, die so viele Europäer in dieser oder ähnlicher Form fast beschwörend wiederholen in diesen Tagen: Er sei froh darüber, dass die amerikanische Regierung das gemeinsame Ziel bekräftigt habe, die souveräne Unabhängigkeit der Ukraine zu erhalten. Diese souveräne Unabhängigkeit müsse sich in Verhandlungen widerspiegeln. „Das bedeutet es, wenn wir sagen: nichts über die Ukraine ohne die Ukraine.“ Scholz sagt, die Rolle Deutschlands und Europas im Blick: Ein Diktatfrieden werde „niemals unsere Unterstützung finden“. Man werde sich auf keine Lösung einlassen, „die zu einer Entkopplung europäischer und amerikanischer Sicherheit“ führe. „Davon würde nur einer profitieren: Präsident Putin.“

Vieraugengespräch zwischen Baerbock und Rubio

Die Sorge, dass eine solche Lösung aber nicht nur droht, sondern schon nah ist, beherrscht die Gespräche in München, auf den Bühnen und abseits davon. Immer wieder kommen Europäer in verschiedenen Formaten mit der amerikanischen Seite zusammen in den Zimmern und Sälen des Bayerischen Hofs und versuchen zu ergründen, was die Ansagen aus Washington zum Ukrainekrieg zu bedeuten haben – und wer überhaupt was zu sagen hat. Außenministerin Annalena Baerbock trifft den amerikanischen Außenminister Marco Rubio zu einem Vieraugengespräch am Samstag sowie im G-7-Kreis zusammen mit dem ukrainischen Außenminister und noch mal in einer Runde mit Briten, Franzosen, Italienern und der EU. Auch den amerikanischen Sondergesandten für die Ukraine, Keith Kellogg, spricht sie. In den Gesprächen, ist zu hören, habe man durchaus Signale wahrgenommen, dass Europa bei Verhandlungen am Tisch sitzen solle, ebenso wie Bekenntnisse zum transatlantischen Bündnis.

Allerdings wird durch eintreffende Nachrichten aus Washington am Samstagabend fraglich, ob zumindest Kellogg überhaupt gehört wird im Weißen Haus. Zuerst berichten amerikanische Medien, dass ein Verhandlungsteam aus Rubio, dem Nationalen Sicherheitsberater Mike Waltz und Steve Witkoff, der eigentlich Sonderbeauftragter für den Nahen Osten ist, schon in den nächsten Tagen russische Verhandler in Saudi-Arabien treffen soll – ohne Kellogg, der wird in der Ukra­ine erwartet. Mitgeteilt wird auch, dass Rubio ein erstes Telefonat mit dem russischen Außenminister Lawrow am Samstag geführt hat. Rubio habe Trumps Aussage bekräftigt, zu einem Ende „des Konflikts in der Ukraine“ finden zu wollen.

Zu einem weiteren transatlantischen Wortgefecht kommt es am Samstag bei dem traditionellen Ukraine-Essen im Münchner Künstlerhaus. Dort treffen sich die Unterstützer des Landes seit Jahren, 2022 war das Treffen zum Scherbengericht über Deutschland und seine 5000-Helme-Politik geworden. 15 europäische Außenminister und Regierungschefs sind auch diesmal zur Stelle, von deutscher Seite ist der höchstrangige Vertreter Sebastian Schäfer, ein Haushaltspolitiker der Grünen.

Die gewichtigsten Länder Europas fehlen

Von amerikanischer Seite ist Kellogg dabei und Richard Grenell, einst US-Botschafter in Berlin und jetzt Sondergesandter für Sondermissionen. Kellogg hat für die Europäer eine weitere schlechte Nachricht: Als er auf dem Podium gefragt wird, ob bei den Gesprächen zwischen den USA und Russland die Ukrainer am Verhandlungstisch sitzen werden und ebenso die Europäer, sagt er: „Die Antwort auf die letzte Frage ist Nein, die Antwort auf den ersten Teil ist Ja, natürlich werden die Ukrainer am Tisch sitzen.“ Murmeln im Saal und die Nachfrage, ob man das richtig verstanden habe: Ohne Europäer? Kellogg sagt, er sei ein Anhänger „realistischer Diplomatie“ und nein, die Europäer nicht. „Da werden zwei Protagonisten und ein Vermittler sitzen“, die Interessen der Europäer würden aber berücksichtigt.

Im Saal erhebt sich Protest. Der kommt allerdings nicht etwa von deutschen, französischen oder britischen Spitzenpolitikern, sondern von jenen, die eben da sind, um Europa bei dem Essen zu vertreten: Estlands Präsident, Islands Premierministerin, Kroatiens Ministerpräsident oder auch die dänische Ministerpräsidentin äußert sich klar. Allerdings repräsentieren sie nicht die gewichtigsten Länder des Kontinents. Die fehlten bei diesem Aufeinandertreffen.

Die amerikanische Idee scheint zu sein: Wenn die Europäer etwas machen wollen, dann sollen sie halt 50.000 bis 100.000 Mann in eine Art Pufferzone schicken, Amerika werde aber niemanden entsenden. Der frühere US-Oberkommandierende in Europa, Ben Hodges, bemüht sich, das so zu deuten, dass keine „boots on the ground“ nicht heiße, dass es keine Luftunterstützung, keine Flugabwehr, keine Aufklärung gebe. Man könne bestimmt reden.

Die Ukrainer sprechen in München in vielen Einzelgesprächen und auf Podien von der Sehnsucht nach Frieden, aber auch davon, dass es ein gerechter sein müsse, keiner, für den man sich vor den Zehntausenden Gefallenen, Getöteten und Verwundeten schämen müsse. Hinter den Kulissen mahlen die Mühlen der Diplomatie: Gibt es Zusammenhänge zwischen Gaza und Cherson, was passiert mit Syrien, kann Russland helfen, Iran zu bändigen, wo liegen die US-Prioritäten: Gaza-Riviera oder Kiew? Warum bringt Washington alles Schlag auf Schlag auf den Tisch? Und würden, so wird oft und bang gefragt, die Deutschen am Ende Nord Stream 2 reparieren und wieder russisches Gas kaufen, so lange, bis Moskau hoch genug gerüstet wäre für den nächsten Schlag?

Merz will Regierungsvertreter (besser) kennenlernen

Ein Jahr nachdem zum Auftakt der Münchner Sicherheitskonferenz der Tod des Kreml-Kritikers Alexej Nawalnyj bekannt wurde, wird ein Drohnenangriff auf den Sarkophag des havarierten Atomkraftwerks von Tschernobyl gemeldet. Wolodymyr Selenskyj spricht bei seiner Rede am Samstag auch davon und ermahnt die Europäer, endlich aufzuwachen. „Ich kann Sie nur dazu aufrufen, zu handeln, zu Ihrem eigenen Wohl“, sagt er und verweist darauf, dass man sich auf die Hilfe der USA nicht mehr verlassen könne. „Wenn es nicht Brüssel ist, dann ist es Moskau“, sagt der ukrainische Präsident. „So funktioniert Geopolitik.“ Zur Geopolitik gehört auch, dass Kiew und Washington bereits bilateral über ein Abkommen zur Lieferung von ukra­inischen Rohstoffen beraten – unterzeichnet wird es in München aber nicht, Kiew will nachverhandeln.

Merz hat mittendrin in diesen diplomatischen Wirren einen Termin nach dem anderen in München. Den Mann, der bald im Kanzleramt sitzen könnte, wolle viele (besser) kennenlernen: vom chinesischen Außenminister Wang Yi über zahlreiche europäische Regierungschefs bis hin zu Selenskyj. Und ganz am Anfang das Gespräch mit Vance am Freitag. Danach hört man aus dem Umfeld von Merz Zuversichtliches, die Bedeutung der transatlantischen Beziehungen sei hervorgehoben worden, und Merz habe versucht, einen Vorschlag unterzubringen: Vor den Gesprächen mit Russland sollte als vertrauensbildende Maßnahme ein Waffenstillstand vereinbart werden. Kurz danach hielt Vance seine Rede.

Als Merz Samstag auf der Bühne sitzt, weist auch er die Äußerungen von Vance zurück. „Wir respektieren die Präsidentschaftswahlen (. . .) in Amerika, und wir erwarten von Amerika, hier bei uns das Gleiche zu tun“, sagt er. Mit Blick auf die Meinungsfreiheit fügt Merz an, man folge den Regeln, die durch die demokratischen Institutionen vorgegeben seien. Die freie Rede sei ein Teil unserer Demokratie, aber Fake News und Hassrede blieben rechtlichen Beschränkungen und der Kontrolle von unabhängigen Gerichten unterworfen. Dann macht Merz deutlich, dass Deutschland auch unter seiner Führung die Ukraine weiter unterstützen werde. „Wir halten zu der Ukraine, nicht nur wegen der Ukraine, sondern auch wegen unserer eigenen Sicherheit“, sagt er. Es sei „absolut inakzeptabel“, wenn Amerika und Russland verhandelten, ohne dass die Ukraine und Europa dabei seien.

Allerdings entscheidet, egal wie die Bundestagswahl ausgeht, Scholz mindestens noch einige Woche lang im Kanzleramt, wie es für Deutschland weitergeht. Hektisch wird eine europäische Antwort gesucht auf die Ansagen aus Washington. So wird am Wochenende daran gearbeitet, dass schon am Montagnachmittag einige europäische Staats- und Regierungschefs in Paris zusammenkommen, um einen europäischen Vorschlag zur Ukraine vorzubereiten. Am Sonntag bestätigte Paris die Pläne. Und bei der Bundesregierung ist wie in anderen Hauptstädten ein Fragebogen aus Washington angekommen, was man für die Sicherheitsgarantien an die Ukraine beitragen könne.