Alles beugte sich über die Hinterköpfe. Waren das die Haare von Lei Jun, dem Chef des Technikkonzerns Xiaomi? Ist das die Kopfform von Robin Zeng, dem Gründer des Batterieriesen CATL? Und sind das tatsächlich die Ohren von Jack Ma, dem einst von Peking verstoßenen Patriarchen des Internetkonzerns Alibaba? Hinterkopfstudien seien für Investoren und Analysten eine entscheidende Fähigkeit, witzelten manche. Denn wer dabei war und wer nicht, als Präsident Xi Jinping an diesem Montag Chinas Tech-Elite eingeladen hatte, war für die Börsenkurse und die Gunst der Unternehmen in Peking ein entscheidendes Indiz. Die Regierung machte es spannend und veröffentlichte erst einmal nur Fotos, die die Bosse von hinten zeigten, wie sie Xi lauschten.
Als Peking dann kurz darauf auch die Gesichter der Wirtschaftsvertreter zeigte, bestätigten sich die Gerüchte, die in den Tagen zuvor die Runde gemacht hatten. Jack Ma, gegen den Peking vor einem halben Jahrzehnt nach einer allzu aufmüpfigen Rede eine Kampagne gefahren und der Monate in einer Art Exil im Ausland verbracht hatte, war zurück im Kreis der mächtigsten Wirtschaftschefs der Volksrepublik.
Was genau Xi sagte, blieb zunächst offen. Die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua schrieb nur, er habe eine „wichtige Rede“ gehalten. Üblicherweise werden im Laufe des Tages weitere Details bekannt. Die Pekinger Denkfabrik Trivium schrieb im Vorfeld von einem Treffen, in dem es um viel gehe, das aber auch nach hinten losgehen könne. Könne er nach all den wirtschaftsfeindlichen Maßnahmen der vergangenen Jahre die „Teilnehmer und die Märkte davon überzeugen, dass er jetzt wirtschaftsfreundlich ist“, werde das der Wirtschaft Auftrieb geben.
„Wenn Xi das Symposium jedoch nutzt, um zu betonen, dass private Unternehmen nur auf Geheiß des Staates gedeihen, könnte dies die Stimmung noch weiter verschlechtern“, schrieben die Analysten. Auch die Anwesenheit von Jack Ma lässt sich schließlich in beide Richtungen interpretieren: Hat der Unternehmer kleinbeigegeben, seine Fehler eingestanden und ordnet sich jetzt unter? Oder braucht Peking ein starkes Signal an die Wirtschaft so sehr, dass man dafür sogar Jack Ma in Kauf nimmt?
Auch Deepseek-Gründer anwesend
Klar ist, dass die Wirtschaft in diesen Tagen auf der Prioritätenliste weit nach oben gerückt ist. Die Wirtschaft ist weiterhin angeschlagen, die Stimmung in der Bevölkerung schlecht. Die Handelskonflikte mit den USA drohen die Lage weiter einzutrüben. Vor einem halben Jahr stützte Peking mit einem breiten Programm die darbenden Börsen. Seitdem versucht die Führung, vor allem den Konsum anzukurbeln, auch um die Abhängigkeit vom Export zu senken. Das geht so weit, dass sie selbst den Kauf von Haushaltsgeräten mit bis zu umgerechnet 260 Euro subventioniert und zuvor schon Abwrackprämien für Autos eingeführt hat. Die Stimmung an den Börsen, die zuvor Jahr für Jahr Verluste eingefahren hatten, hob das aber nur kurzfristig.
Gleichzeitig macht das Land mit Erfolgen in der Hochtechnologie von sich reden, für die die anwesenden Wirtschaftsvertreter stehen. Dazu zählte etwa der Wang Chuanfu, der Gründer des größten Elektroautoherstellers der Welt BYD, der Gründer des Huawei-Konzern Ren Zehngfei oder Pony Ma, Gründer des Technologieriesen Tencent.
Wohl noch mehr richteten sich die Augen aber auf Liang Wenfeng, den Gründer des KI-Start-ups Deepseek, der zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen auf Chinas Staatsführung traf. Deepseek hatte im Januar zum wohl substanziellsten Stimmungsumschwung gesorgt, weil das Start-up mit vergleichsweise veralteten Computerchips und geringen Kosten ein KI-Modell gebaut hatte, das es mit der US-Konkurrenz aufnehmen konnte. Das stellte die Dominanz der USA in der Künstlichen Intelligenz infrage und sorgte im ganzen Land für neues Selbstbewusstsein.
Chinas Konzerne wollen KI-Euphorie für sich nutzen
Auch internationale Investoren setzen seitdem plötzlich wieder auf chinesische Tech-Stocks. Der Hang-Seng-China-Enterprise-Index, der in Hongkong notierte Unternehmen vom Festland bündelt, ist mit einem Plus von fast einem Fünftel weltweit einer der besten Indizes in diesem Jahr. Allein der Alibaba-Aktienkurs legte seit dem Jahreswechsel um die Hälfte zu und seit dem Tiefpunkt vor knapp einem Jahr sogar um vier Fünftel. Alibaba hatte die Deepseek-Bugwelle genutzt, um mitten in den Feiertagen des chinesischen Neujahrsfestes die neueste Version seines KI-Modells vorzustellen, das nach eigener Aussage auf dem Niveau von Deepseek war.
Chinas Konzerne versuchen seitdem, diese KI-Euphorie für sich zu nutzen und legen darin eine beeindruckende Geschwindigkeit an den Tag. Etliche Autohersteller, Telekommunikationskonzerne oder Cloudbetreiber haben das Modell in ihre Software integriert, der Social-Media-Konzern Tencent verwendet Deepseek nun in seiner in China allgegenwärtigen Wechat-App. Auch Lokalregierungen im ganzen Land gaben bekannt, das Modell zu nutzen: Ob für das Korrekturlesen von Dokumenten oder um die Überwachung auszubauen und in den Aufnahmen der unzähligen Kameras einfacher Leute zu finden. Angestellte von Konzernen berichten von einem großen Druck, möglichst intensiv KI-Modelle zu nutzen, um die Produktivität zu steigern.
Die Wirtschaftselite hofft indes, dass Peking aus dem Erfolg die richtigen Schlüsse zieht. Die Lehre aus Deepseek sei ja gerade, dass die zentrale Steuerung der Wirtschaft an ihre Grenzen gerate, sagte der Vorstandsvorsitzende eines großen chinesischen Technologiekonzerns kürzlich in einem vertraulichen Gespräch mit der F.A.Z. Das KI-Start-up war im Gegensatz zu Konkurrenten aus Großkonzernen und anderen Start-ups nicht im Fokus Pekings.
Nach allem, was bekannt ist, ist Deepseek ohne externe Investoren oder staatliche Hilfe ausgekommen. Innovation lasse sich nicht planen, die Wirtschaft brauche Freiheiten, sagte der Konzernchef. Sein Vorgesetzter hatte am Montag die Gelegenheit, dem Präsidenten diese Botschaft zu übermitteln. Er war einer der Teilnehmer an dem Treffen in Peking. Aber wird sie auch ankommen?