Schnell zu fahren kommt in Europa wieder in Mode. In den vergangenen Monaten sind gleich in mehreren europäischen Staaten Initiativen vorgestellt worden, die Tempolimits auf Autobahnen lockern sollen.
In den Niederlanden zum Beispiel hat eine neue, autofreundlichere Vier-Parteien-Regierung das zum Thema in ihrer Koalitionsvereinbarung gemacht. Das allgemeine Tempolimit soll wieder auf 130 Kilometer pro Stunde steigen – „dort, wo es möglich ist“, zuerst auf drei kurzen Teilstrecken im Norden. Damit würde eine Limitierung teilweise zurückgedreht, die 2020 aus Umweltschutzgründen in Kraft getreten war. Damals hatten die Niederlande zu viel Stickoxide in der Luft. Nach einem Urteil des obersten Verwaltungsgerichts musste die Regierung sich entscheiden, Bauprojekte einschließlich Wohnungsbau einzustellen oder ein Tempolimit zu verhängen. Die Entscheidung fiel für Tempo 100 auf Autobahnen, zumindest tagsüber von 6 bis 19 Uhr, auf manchen Strecken auch nachts.
Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
Nach der Wahl ist Barry Madlener Verkehrsminister. Er gehört der Rechts-außen-Partei PVV des bekannten Politikers Geert Wilders an, die bei der Wahl im November 2023 als stärkste Kraft hervorgegangen war. Nach Untersuchungen zu Umwelt- und Lärmschutz machte die Regierung anfangs drei Abschnitte mit zusammen 86 Kilometern aus, wenn man beide Fahrtrichtungen zählt. Sie liegen bei Lelystad, bei Winschoten und auf dem größten Teil des Damms, der das IJsselmeer abriegelt. Bis zum zweiten Quartal sollen sie freigegeben sein, in Zukunft mehr Strecken geprüft werden.
Höhere Geschwindigkeiten auf Autobahnen werden salonfähig
In Tschechien dagegen war es nicht nur eine Seite des politischen Spektrums, die für schnellere Fahrten auf Autobahnen votierte. Bei der Abstimmung im Parlament stimmte nicht nur die rechtspopulistische „Autofahrerpartei“, die bei der Wahl überraschend zehn Prozent erhalten hatte, für das Gesetz: Von 169 Abgeordneten stimmten 163 zu. Auf der ersten Autobahnstrecke ist von Sommer an Tempo 150 erlaubt.
In der Türkei wiederum haben Geschwindigkeitsvorgaben für Autofahrer erfahrungsgemäß oft eher den Charakter vager Empfehlungen. Offiziell gilt ein Tempolimit von 120 Stundenkilometern, und das wurde von der Regierung schon Mitte 2022 für ausgewählte Strecken aufgeweicht. Vor allem auf den Autobahnen rund um die Metropole Istanbul sowie auf Abschnitten nach Ankara und Izmir darf man seither, je nach Vorgabe, auf 130 oder auch 140 Stundenkilometer beschleunigen. Der Schritt ziele darauf ab, „die Reisezeiten auf modernisierten, ausgebauten Autobahnen des Landes zu verkürzen“, ließ die regierungsnahe Zeitung „Sabah“ wissen. Warnungen vor steigenden Unfallrisiken wurden mit dem Hinweis pariert, die meisten Unfälle passierten in Wohngebieten. Sie seien auf Fahrfehler und nicht auf die Straßenverhältnisse zurückzuführen.
Auch in Österreich gibt es Wünsche nach Tempo 150 auf Autobahnen, die allerdings im Moment nicht vorangehen, weil die Koalitionsverhandlungen abgebrochen sind. Unter den Bundesländern allerdings haben einige schon Geschwindigkeitsbeschränkungen von 100 Stundenkilometern auf das landesweite Limit von 130 angehoben.
Sicher ist: In Europa werden höhere Geschwindigkeiten auf Autobahnen salonfähig. Das wird zwar zum Teil von Rechtspopulisten getragen, geht aber auch weit darüber hinaus. Das läuft anders als in Deutschland und der Schweiz, wo eher Forderungen nach einer Verschärfung des Tempolimits zu hören sind.
In der Debatte geht es oft um die Sicherheit
Das Umweltbundesamt hat vor wenigen Wochen eine Studie vorgestellt, der zufolge ein Tempolimit bis zu 13 Millionen Tonnen CO2-Emissionen im Jahr einsparen könnte und jeden Deutschen bis zu 19 Stunden Reisezeit kostet. Weil den Deutschen ihre Zeit etwas wert ist, kommt man schnell auf CO2-Einsparungskosten von mehr als 1000 Euro je Tonne – weit mehr, als das Umweltbundesamt an sozialen Kosten des Treibhausgases veranschlagt. In dieser Rechnung sind Kosten enthalten wie der Lohn von Außendienstlern oder anderen Dienstreisenden – aber auch, dass für manche Leute der Besuch bei der Oma angesichts der längeren Fahrtzeiten stressiger wird und dann gelegentlich ausfällt. Dazu kommt: Die Klimawirkungen eines Tempolimits werden mit der Zeit geringer, weil mehr Elektroautos gefahren und CO2-neutral geladen werden. Mit Klimaschutz allein lässt sich ein Tempolimit also nicht rechtfertigen.
2023 war eine Studie in der Fachzeitschrift „Ecological Economics“ erschienen, die andere Faktoren wie Feinstaubbelastung und Unfälle einbezog und am Ende auf einen positiven gesellschaftlichen Nutzen eines Tempolimits kam. Diese Studie hatte allerdings einige methodische Schwächen und kam in derselben Fachzeitschrift in heftige Kritik, unter anderem weil sie die Treibstoffersparnis überschätzte. Der Zeitverlust wiederum wurde unterschätzt.
Am Ende geht es in der Debatte oft um die Sicherheit. Zwei Effekte stehen da gegeneinander: einerseits die Tatsache, dass Unfälle bei hohen Geschwindigkeiten schwerere Folgen haben – und auf der anderen Seite die Gefahr, dass bei langer gleichmäßiger, eintöniger Fahrt manche Autofahrer die Konzentration verlieren. „Das wahre Problem ist nicht die Geschwindigkeit, sondern die Aufmerksamkeit der Fahrer“, sagte in der italienischen Debatte der Rennfahrer Alex Zanardi, der selbst auf der Rennstrecke einen schweren Unfall erlitten hatte.
Blick auf das Unfallgeschehen
Wie sich das Unfallgeschehen am Schluss tatsächlich verhält, dazu fehlen aktuelle Daten. Nur in Österreich gab es 2018 einen vorzeitig abgebrochenen Versuch, ein Tempolimit anzuheben, der auf stagnierende bis leicht sinkende Unfallzahlen hindeutet.
In Deutschland wiederum wurden Anfang 2023 auf zwei längeren Autobahnabschnitten in Brandenburg die Tempolimits aufgehoben. Einer der Abschnitte, auf der Autobahn A 24, hatte 20 Jahre zuvor nach der Einführung einer Begrenzung deutlich sinkende Unfallzahlen gesehen. Von 2018 an war Baustelle, danach wurde das Limit aufgehoben. Damals gab es große Sorgen vor neuen Unfällen. Tatsächlich sind die Unfallzahlen aber bisher in der Größenordnung geblieben, in der sie zuvor gelegen hatten. Zwischen 2002 und Baustellenbeginn im Jahr 2018 lag die Zahl der Verletzten auf dieser Strecke zwischen 60 und 140 im Jahr, im Jahr 2023 waren es 110. In fast jedem Jahr waren ein bis zwei Todesfälle zu beklagen. Die Zahlen für 2024 werden noch veröffentlicht, die Polizei teilt aber auf Anfrage schon mit, „dass sich der Trend der nicht steigenden Zahlen weiter fortsetzen wird“.
Die Versuche in anderen Ländern geben neue Chancen, die Auswirkungen zu beobachten. Tschechien zum Beispiel will sie genau untersuchen. Erst mal geht es dort auf einer geraden Strecke mit wenigen Lastwagen los. Sie soll mit elektronischen Schildern ausgestattet werden, die dynamisch auf Wind und Wetter reagieren – bei Regen und Nebel wird das erlaubte Tempo gesenkt.
Nur in Italien ist das Projekt erst mal ganz beendet. Der stellvertretende Ministerpräsident Matteo Salvini ist von seiner früheren Forderung nach schnellerem Fahren auf den Autobahnen wieder abgerückt, wie ein Sprecher auf Anfrage bestätigt. Im Jahr 2023 hatte der Minister noch verlangt, die Möglichkeit zu prüfen, auf einzelnen Autobahnstrecken das Tempolimit von 130 auf 150 Stundenkilometer zu erhöhen. In der gerade neu überarbeiteten Straßenverkehrsordnung findet sich allerdings nichts davon wieder. Im Gegenteil werden die Strafen bei Geschwindigkeitsübertretungen stark erhöht, und es gibt mehr Blitzer. Vor allem soll die Handynutzung am Steuer hart bestraft werden – eine der häufigsten Unfallursachen.