Wie der Trump-Kurs die Krebsforschung in Deutschland verlangsamt

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Die neue Trump-Administration baut den Wissenschaftsbetrieb um: Die USA werden die Weltgesundheitsorganisation (WHO) verlassen, Hilfsprogramme wurden gestoppt, Internetseiten von unliebsamen Themen wie dem menschgemachten Klimawandel bereinigt, Aids-Aufklärung für junge Leute wurde aus dem Netz gelöscht. Auch deutsche Forschung ist bereits betroffen. Der Kinderonkologe Stefan Pfister vom Hopp-Kindertumorzentrum (KiTZ), dem Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg (DKFZ) und dem Universitätsklinikum in Heidelberg erklärt, was passiert.

Herr Pfister, Sie forschen an neuen Medikamenten für krebskranke Kinder. Wie wirkt sich die wissenschaftsfeindliche Linie der neuen US-Regierung auf Ihre Arbeit aus?

Wir sind auch in der Kinderonkologie direkt betroffen. Im Rahmen unserer Cancer Grand Challenge hatten wir im vergangenen Jahr eine Förderzusage für ein Projekt in Höhe von 20 Millionen Euro durch die amerikanischen National Institutes of Health, das Cancer Research UK und einige weitere Förderer bekommen. Bisher ist aus den USA noch kein Geld angekommen, und wir haben Zweifel, dass das nun noch passiert.

Wir haben vor einer Woche die Nachricht bekommen, dass unser Zugang zum administrativen System, über das diese Förderung finanziell, aber auch inhaltlich abgewickelt wird, nicht mehr aufrechterhalten wird. Der Austausch ist also unterbunden worden, der Zugang ist auf Eis gelegt. Wir hoffen natürlich immer noch, dass es sich nur um einen vorübergehenden Eingriff handelt.

Worum geht es in diesem Projekt?

Wir wollen neuartige Medikamente gegen Krebs bei Kindern entwickeln: Mittel, die zielgenauer wirken und günstiger entwickelt werden können als bisher. Es geht um Wirkstoffe gegen Zielstrukturen, die bisher therapeutisch nicht angreifbar sind. Für Kinder mit schwer behandelbaren Tumoren wären sie ein großer Gewinn.

Auch krebskranke Kinder in den USA würden davon profitieren.

Ja, aber die Trump-Administration sieht das leider nicht und somit offenbar auch keinen Grund, europäische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei der Entwicklung moderner Medikamente für Kinder mit Krebserkrankungen zu unterstützen.

Wird sich ein anderer Geldgeber finden?

Nein, solche hohen Fördersummen lassen sich nicht einfach ersetzen.

Was hören Sie von Ihren Kollegen in den USA?

Sie sind völlig konsterniert, weil selbst die pessimistischsten von ihnen nicht damit gerechnet haben, dass innerhalb von wenigen Wochen der gesamte Wissenschaftsbereich in seinen Grundfesten erschüttert wird. Die USA waren bislang weltweit führend in den Bereichen der Naturwissenschaften und der Biomedizin, das könnte sich nun schnell ändern.

Der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, Patrick Cramer, hat in einem Interview mit dem „Spiegel“ gesagt, dass sich die Zahl der Bewerber aus den USA zuletzt verdoppelt hat …

Wir sehen das auch bei uns. Und wir freuen uns darüber einerseits natürlich: Nie zuvor sind wir in Europa leichter an amerikanische Spitzenforscher herangekommen. Aber für die Wissenschaft und für unsere Patienten ist diese Entwicklung andererseits alles andere als positiv: Die USA waren beispielsweise im Bereich der Krebsforschung bislang weltweit extrem aktiv und erfolgreich. Bricht diese Forschung weg, wird es länger dauern, bis neue Medikamente bei den Patienten ankommen. Die Schlagkraft der internationalen Community wird ganz erheblich geschwächt.

Sie haben vor einigen Wochen die Petition „Aufstehen für Demokratie” ins Leben gerufen, mittlerweile haben über 4000 Personen unterzeichnet, darunter mindestens 600 Wissenschaftler. Worum geht es?

Viele Wissenschaftler treibt die Sorge um, dass wissenschaftsfeindliche Tendenzen sich nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland ausbreiten. Wir sehen dazu bereits erste Anzeichen. Vor der Bundestagswahl, aber auch wegen der Entwicklung in den USA und des Erstarkens rechtsradikaler Parteien in ganz Europa hat sich das zugespitzt.

Wir sehen, dass Fakten und Meinungen immer mehr vermischt werden. Es ist die Aufgabe der Wissenschaft, der Wahrheit möglichst nahe zu kommen, Erkenntnisse zu gewinnen und auch immer wieder zu hinterfragen. Darauf basierte bislang unsere Gesellschaft. Aber der Konsens, wonach Fakten und Wahrheiten die Grundlage von politischen Diskussionen und Entscheidungen sein sollten, scheint massiv ins Wanken geraten zu sein.

Sind das Nachwehen der Pandemie?

Sie war ein Katalysator, aber nicht der einzige. Sie ist aber auch ein erschreckendes Beispiel. In der Pandemie hat die Wissenschaft sehr gut funktioniert, viele Menschenleben wurden durch Maßnahmen und durch die herausragend schnelle Entwicklung von Impfstoffen gerettet, meines Erachtens eine der größten Leistungen der Wissenschaft in den letzten Jahrzehnten …

… stattdessen wird häufig das Narrativ vom Versagen der Wissenschaft in der Pandemie verbreitet.

Natürlich sollte man manche Entscheidungen der Politik und auch manche Akteure und Aktivitäten aus der Wissenschaft selbstkritisch hinterfragen, gerade auch, um für künftige Pandemien besser vorbereitet zu sein. Aber in der Pandemie hat die Wissenschaft auch gezeigt, wie wertvoll sie ist. Die großen Wissenschaftsgesellschaften wie die Leopoldina haben als Politikberater in dieser Zeit eine viel größere Rolle gespielt. Für Menschen, die einfache Wahrheiten haben wollen, mag das bedrohlich gewirkt haben. Aber Wissenschaft ist auch immer ein Abwägen von Evidenzen. Uns ist es wohl trotz großer Anstrengungen nicht ausreichend gut gelungen, zu kommunizieren, warum es bei einer bislang nie da gewesenen Pandemie nicht immer schnelle, eindeutige Antworten und einfache Entscheidungen gibt.

Wie stehen Wissenschaftsorganisationen zu Ihrer Petition?

Bislang ist es eine Aktion von einzelnen Personen. Wissenschaftsorganisationen, Universitäten und Fachhochschulen weisen, mit wenigen Ausnahmen, auf das Neutralitätsgebot hin. Das hat sicherlich seine Berechtigung. Aber wenn die Grundsätze unserer Gesellschaft und unserer Demokratie in Gefahr geraten, dann muss man feststellen: Öffentliche Einrichtungen haben nicht nur das Recht, sondern meines Erachtens die Pflicht, unsere verfassungsmäßige Ordnung mit zu verteidigen. In den USA wird schon länger über die Einführung eines Scientific Integrity Act diskutiert: Da geht es im Prinzip darum, politische Eingriffe auf die Wissenschaftsfreiheit zu verhindern. Für die USA ist das aber vermutlich jetzt zu spät. Und wir sorgen uns, dass der überparteiliche Konsens, dass die Wissenschaftsfreiheit zu schützen ist, auch in Europa bröckelt.

Warum glauben Sie, dass das auch hierzulande passieren kann?

Wenn Sie in das AfD-Parteiprogramm schauen, dann ist da zum Beispiel die Rede von „sogenannten Klimawissenschaftlern“, die über diese Formulierung mit Klimaideologen gleichgesetzt werden. Es wird suggeriert, dass diese Kolleginnen und Kollegen nicht den Fakten verpflichtet sind. Die Konsequenz lautet zum Beispiel, dass man aus dem Pariser Klimaabkommen austreten möchte. Im AfD-Wahlprogramm wird auch der Austritt aus der WHO als Option diskutiert. Wird eine solche Partei zweitstärkste Kraft, befürchten wir Einflussversuche auch auf die Integrität der Wissenschaft.

Sollten Wissenschaftler politisch aktiv sein?

Unbedingt, denn die Wissenschaft hat eine viel zu kleine Lobby. Wissenschaft ist für die Parteien kein Gewinnerthema. Deshalb finde ich es richtig und wichtig, sich politisch zu engagieren. Viele Wissenschaftler, die ich kenne, sind zuletzt auch in Parteien eingetreten, übrigens des gesamten demokratischen politischen Spektrums.

In einer Woche wird gewählt, ist es nun nicht zu spät?

Egal wie die Bundestagswahl ausgeht, die Bedrohung der Wissenschaft bleibt bestehen. Wir müssen deshalb als Wissenschaftler mehr in die Gesellschaft hineinwirken und niedrigschwellige Angebote machen, um ins Gespräch zu kommen. Wir müssen den gesellschaftlichen Nutzen von Wissenschaft immer wieder erklären. Innovationen, die in Produkte und Anwendungen umgewandelt werden, waren und sind zudem der Grundpfeiler unserer Wirtschaftsentwicklung. In den Koalitionsverhandlungen müssen Wissenschaft und Innovation als vielleicht wichtigste Ressourcen unseres Landes eine zentrale Rolle spielen. Am Beispiel der USA sehen wir plastisch, wie fragil ein System sein kann. Wir können nicht darauf vertrauen, dass unsere Wissenschaft resilienter ist.