Mutmaßliche Linksextremistin Hanna S. in München vor Gericht

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Der Prozess gegen die mutmaßliche Linksextremistin Hanna S. vor dem Oberlandesgericht München beginnt am Mittwoch später als vorgesehen: Die Kontrolle all ihrer Unterstützer, die Einlass begehren, dauert. Als die Angeklagte schließlich in den mit etwa hundert Zuschauern voll besetzten Gerichtssaal auf dem Gelände der JVA Stadelheim geführt wird, erheben sich – von der Presse abgesehen – die Anwesenden, unter ihnen zahlreiche Frauen und auch Martin Schirdewan, Europaparlamentarier und bis 2024 Ko-Vorsitzender der Linkspartei. Rufe erschallen: „You are not alone! You are not alone!“

Die 30 Jahre alte Angeklagte, in Schwarz gekleidet, lächelt verhalten, nickt hin und wieder einem ihr offenbar bekannten Gesicht zu. Ihre schmächtige Statur wirkt wie eine Antithese zu dem, was die Vertreterinnen des Generalbundesanwalts in ihrer Anklage vortragen. Hanna S., Tochter eines Kinder- und Jugendpsychologen und einer Krankenschwester, soll Mitglied einer Vereinigung sein, „deren Zweck und Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist“. In einem Fall soll sie zusammen mit anderen Beteiligten sogar „dazu angesetzt haben“, das Opfer „aus niedrigen Beweggründen heimtückisch zu töten“. Das „handlungsleitende Motiv“ der Gruppe, die nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft „in Kontinuität“ zu der Leipziger Gruppe um Lina E. steht, sei „ein militanter Antifaschismus und die Ablehnung des demokratischen Rechtsstaats, insbesondere des staatlichen Gewaltmonopols“.

Angriffe auf Rechtsextremisten in Budapest

Konkret verhandelt werden in München mutmaßliche Angriffe auf von der Gruppe als Rechtsextremisten gelesene Personen – genauer gesagt: die beiden Angriffe, an denen Hanna S. beteiligt gewesen sein soll. Sie fanden im Februar 2023 in Budapest statt, um den „Tag der Ehre“ herum. Zu diesem gedenken jährlich Rechtsextremisten aus ganz Europa des Ausbruchsversuchs der deutschen Wehrmacht, der Waffen-SS und ihrer ungarischen Kollaborateure aus der von der Roten Armee belagerten Stadt 1945.

Zumindest die Schilderungen der Anklage lassen auf große Brutalität im Vorgehen und intensive Vorbereitung schließen. Einen ungarischen Staatsbürger griff einer aus der Gruppe nach Ansicht der Bundesanwaltschaft unvermittelt mit einem Teleskopschlagstock an und platzierte mindestens vier Schläge im Nacken- und Kopfbereich. Nachdem der Mann zu Boden gegangen war, habe der Angreifer noch mehrfach mit dem Schlagstock auf Kopf, Rücken und Brust eingeschlagen.

Derweil hätten die Angeschuldigte sowie weitere Gruppenmitglieder, gegen die gesondert der Prozess gemacht werden soll, versucht, Beine und Arme des am Boden Liegenden zu fixieren, damit er sich nicht schützen konnte. Der Mann erlitt mehrfache Prellungen an Schädel, Brustkorb, Knie und neben der Wirbelsäule sowie diverse Kopfplatzwunden, die genäht werden mussten. Ein weiterer Angriff soll sich gegen zwei Deutsche gerichtet haben, einen Mann und eine Frau, jeweils mutmaßlich rechtsextrem. Auch hier sollen Schlagwerkzeuge eingesetzt worden sein, mit erheblichen Verletzungen als Folge.

Hochsicherheitssaal im Untergrund

Zu Beginn des Prozesses versichert der Vorsitzende Richter, bei dessen Erscheinen viele Zuschauer sitzen bleiben (die Presse steht), dass der unterirdische Hochsicherheitssaal auf dem JVA-Gelände als Verhandlungsort „vielleicht merkwürdig“ sei, aber „keine Stigmatisierung“ darstellen solle; auch Betäubungsmittelverfahren hätten hier schon stattgefunden, außerdem der Audi-Prozess. Man gehe jedenfalls nicht davon aus, dass S. eine besondere Gefahr für die Allgemeinheit sei. Vielmehr habe die polizeiliche Einschätzung der Sicherheitslage zur Wahl des Saals geführt, auch das erwartete Zuschaueraufkommen. In Stadelheim könnten mehr Leute dem Prozess beiwohnen, „um Ihnen die Solidarität zu bekunden“.

Eine Erklärung der beiden Verteidiger macht später deutlich, dass sie durchaus von einer Stigmatisierung ausgehen. Das Wort Stammheim fällt, womöglich um eine Parallele zum RAF-Prozess zu insinuieren. Laut Verteidigung werden Körperverletzungsdelikte – den Anklagepunkt „versuchter Mord“ weisen die Anwälte zurück – üblicherweise vor Amts- oder maximal Landgerichten verhandelt. Durch die Befassung des OLG mit dem Fall werde eine „besondere Bedeutung des Falls konstruiert“. Sie prangern an, dass ihre Mandantin schon seit neun Monaten in Untersuchungshaft ist, obwohl eine Fluchtgefahr nicht ersichtlich sei und sie diverse gesundheitliche Beschwerden habe. Im Übrigen habe man sie aus einem stabilen Leben gerissen.

Die ausschweifende Verlesung der Vita von Hanna S. lässt zumindest diesen Punkt nicht abwegig erscheinen. In ihrem Vorleben gab sie zeitweise Voltigierunterricht für Kinder, hatte einen Hund und einen Verlobten. Sie machte eine Ausbildung zur Schreinerin am Staatstheater Nürnberg und studierte zuletzt an der dortigen Akademie der Bildenden Künste. Als ihre guten Noten aus der Fachoberschule verlesen werden, ist ihr das sichtlich peinlich. Im Saal wird geklatscht. Der Richter sagt, das sei eigentlich nicht gestattet – „aber ich bin da mal großzügig“.