Europas Rüstungsunternehmen erwarten einen weiteren Auftragsschub, weil die europäischen Schuldenregeln für Verteidigungsausgaben in Zukunft gelockert werden könnten. Das sagte der Vorstandsvorsitzende des italienischen Konzerns Leonardo und frühere Minister, Roberto Cingolani, am Donnerstagabend vor Analysten. „Für Italien kann ich sagen, dass die Verteidigungsausgaben steigen werden, denn Europa erscheint akzeptiert zu haben, dass zusätzliche Ausgaben nicht im europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt berücksichtigt werden“.
Das hoch verschuldete Italien mit einem Gesamtschuldenstand von rund 135 Prozent des Bruttoinlandsproduktes hätte also die Freiheit die nationalen Verbindlichkeiten zu erhöhen. Andere Länder würden ähnlich handeln, vermutet Cingolani. „Wir können uns massive Investitionen in die Verteidigung durch verschiedene Länder vorstellen“. Gerade nordeuropäische Staaten mit einer Grenze zu Russland würden ihre Anstrengungen erheblich verstärken, „weil sie eine Invasion durch Russland befürchten“. Die jüngsten geopolitischen Entwicklungen um Donald Trump und Wladimir Putin seien ein „Weckruf“ für Europa.
Cingolani zeigte sich auch zuversichtlich, dass die europäische Rüstungsbranche relativ rasch neues Gerät zur Verfügung stellen könne. Plattformen wie Kampf- oder Schützenpanzer, wie sie Leonardo mit dem deutschen Hersteller Rheinmetall bauen will, sowie auch Flugzeuge seien zwar erst in zwei bis drei Jahren lieferbar, doch andere Technologien wie Sensoren, Laser, Radar, leichte Waffen oder militärische Satelliten-Dienstleistungen könnten „viel früher“ bereit stehen.
Leonardo hofft auf Saudi-Arabien
Cingolani plädierte dafür, dabei auch mit außereuropäischen Ländern zu kooperieren. Leonardo hofft beispielsweise auf den Eintritt von Saudi-Arabien beim Projekt eines künftigen Kampfflugzeuges namens GCAP, bei dem die Firma derzeit mit BAE Systems aus Großbritannien und Mitsubishi aus Japan zusammenarbeitet. Bisher wird diese Idee von Japan gebremst. Leonardo hat zudem ein Kooperationsabkommen mit dem Technologie-Anbieter Edge aus den Vereinigten Arabischen Emiraten abgeschlossen. Italien und Leonardo wollten dabei „ein starker und verlässlicher Akteur im NATO-Team sein“, betonte Cingolani. Neue europäische Allianzen unter den Rüstungsherstellern müssten beschleunigt werden.
Der Manager sprach bei der Vorstellung der Jahreszahlen für 2024. Demnach stieg der Umsatz um gut 11 Prozent auf 17,8 Milliarden Euro und der Gewinn vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen um fast 13 Prozent auf 1,5 Milliarden Euro. Die Börse reagierte jedoch enttäuscht und ließ den Aktienkurs von Leonardo bis zum Abend um 3 Prozent fallen. Das ist zwar nur ein kleiner Rückschlag, wenn man die Kurssteigerung von einem Drittel seit Jahresbeginn und von gut 80 Prozent in den vergangenen zwölf Monaten zugrunde legt.
Herausforderungen im Zivilgeschäft
Doch die Herausforderungen für das Unternehmen lassen sich nicht verheimlichen: Sie entstehen daraus, dass Leonardo auch im Zivilgeschäft tätig ist. Dort leidet das Unternehmen als Lieferant von Boeing unter der Krise des Langstreckenflugzeuges „787“. Zudem läuft das Satellitengeschäft schlecht, weil Leonardo dort anders als Elon Musk kaum in dem Bereich niedrig fliegender Kleinsatelliten für schnelles Internet tätig ist, sondern bei schweren Erdbeobachtungs- und Telekomsatelliten, die ebenfalls in einem Nachfrageloch stecken. Das Unternehmen sucht nach Lösungen und will neue Partner ins Boot nehmen; konkretere Antworten soll es am 11. März geben.
Mit der Zulieferung von Flugzeug-Rumpfteilen hat Leonardo im vergangenen Jahr wie auch 2023 einen Verlust von 151 Millionen Euro erlitten. Im Satellitenbau, der zusammen mit dem französischen Anbieter Thales erfolgt, ging der operative Gewinn um 43 Prozent auf 31 Millionen Euro zurück. Viel besser läuft es mit zweistelligen Umsatzrenditen dagegen in den größeren Konzernbereichen der Verteidigungselektronik sowie dem Bau von Kampfjets und Hubschraubern.
Weitmaschiges Netzwerk auf beiden Seiten des Atlantiks
Wie andere Verteidigungsunternehmen profitiert Leonardo schon jetzt vom Auftragsboom durch die erhöhten Rüstungsbudgets. Wenn Italien wegen seiner Staatsverschuldung bisher weniger Spielraum hatte als andere Länder, so halfen dafür die internationalen Programme, mit denen sich die Italiener ein weitmaschiges, teilweise schwer zu übersehendes Netzwerk aufgebaut haben – auf beiden Seiten des Atlantiks: So ist das Unternehmen am Bau der Kampflugzeuge Eurofighter sowie der amerikanischen F-35 beteiligt, es liefert Teile für Zivilmaschinen nicht nur an Boeing, sondern auch an Airbus, es arbeitet an Satelliten-Dienstleistungen für Elon Musks Gesellschaft Starlink und ist am europäischen Raketenhersteller-Konsortium MBDA (mit Airbus und BAE Systems aus Großbritannien) beteiligt.
Die Zusammenarbeit mit Rheinmetall aus Deutschland im Panzergeschäft soll bald beginnen, die Kooperation mit dem deutschen Elektronikhersteller Hensoldt ist schon Realität. Im Bau von Hubschraubern ist Leonardo mit der Tochtergesellschaft Agusta Westland ein besonders wichtiger Akteur; sie hat vor einem Jahr eine Absichtserklärung zur Erforschung von sogenannten Wandelflugzeugen mit Kipprotoren unterzeichnet, die wie Helikopter senkrecht starten oder landen können und sich während des Fluges wie Propellerflugzeuge fortbewegen.
Das italienische Unternehmen ist nach dem Renaissance-Künstler benannt, der einst die Mona Lisa gemalt hat. Leonardo da Vinci entwarf jedoch auch Pläne für den Prototyp eines Hubschraubers, für gepanzerte Kampffahrzeuge und Belagerungsmaschinen. In dieser Tradition hat sich der Konzern schon vor fast zehn Jahren von Finmeccanica in Leonardo umgetauft. Mit den jüngsten Jahreszahlen will das Unternehmen zeigen, dass mit ihm auch im Rahmen einer europäischen Zeitenwende zu rechnen ist.