Der Wahlkampf hat noch nicht richtig begonnen, da kommt Friedrich Merz im November zum Tee. Christian Lindner unterhält sich im Dezember mit Christina Diem-Puello über Wirtschaftspolitik. Und Olaf Scholz feiert ein paar Monate zuvor den 70. Geburtstag des Verbandes der Unternehmerinnen in Deutschland (VdU) – am Tag, an dem Diem-Puello zur Präsidentin gewählt wird.
Die hohe Politik gibt sich die Klinke in die Hand bei der 36-Jährigen. Sie vertritt zwar eine Industrieorganisation, die zu den kleineren Lobbyisten hierzulande gehört. Aber die Zahlen sind trotzdem bemerkenswert: Im VdU sind mehr als 1800 frauengeführte Betriebe verbunden, die rund eine halbe Million Menschen beschäftigen und addiert einen Jahresumsatz von 85 Milliarden Euro ausweisen. Und das Thema „Frauen in Führungspositionen“ ist gesellschaftlich und politisch längst in voller Breite angekommen.
Diem-Puello trägt ihren Teil dazu bei. Sie habe das nötige „Rampensau-Gen“, bescheinigte ihr einst ein Verbandsmitglied, um die Organisation auf vorderster Ebene zu repräsentieren. Keine Entscheidungen politischer Natur sollen mehr ohne weibliche Stimmen aus der Wirtschaft getroffen werden, dafür stehe der Verband. In den sozialen Medien teilt die Unternehmerin, was das Zeug hält. Mehr als 30.000 Follower beobachten auf Instagram und Linkedin ihren rührigen Terminkalender.
Vor vier Jahren gründete sie ihr eigenes Unternehmen
Einen Hauptberuf neben dem Verbandsehrenamt hat sie natürlich auch. Diem-Puello ist Gründerin und Chefin des Leasinganbieters Deutsche Dienstrad. Dienstradleasing wird für viele Unternehmen immer attraktiver. Es handelt sich um ein steuerlich gefördertes Modell ohne Kosten für den Arbeitgeber. Der Dienstradleasingmarkt wächst laut einer Deloitte-Studie seit 2019 kontinuierlich. Die Anzahl der Nutzer hat sich demnach seitdem fast verfünffacht.
Vor vier Jahren gründete sie dann ihr eigenes Unternehmen in Schweinfurt, zusammen mit Ehemann Maximilian und dort, wo die familiäre Fahrradgeschichte vor gut 100 Jahren ihren Anfang nahm. Zuletzt erreichte die Deutsche Dienstrad mit 140 Mitarbeitern einen Umsatz von rund 280 Millionen Euro. Doch anfangs sei die Gründung eine Achterbahn der Gefühle gewesen, sagt Diem-Puello. Mitten in der Pandemie plagten Existenzängste, schlaflose Nächte, lange Arbeitstage und Lieferengpässe das Gründerpaar. Und man war nicht allein: Konkurrenten wie Jobrad dominierten 2020 schon seit Jahren den Markt.
Als Baby wurde sie im Büro gewickelt
Doch letztlich blieb der Erfolg nicht aus. Heute arbeiten rund 6000 Fahrradhändler mit der Deutschen Dienstrad zusammen. Schon im ersten Jahr schaffte das Unternehmen, das komplett dem Gründerpaar gehört, den Sprung in die Profitabilität. Für jedes vermittelte Fahrrad, vom Gravel- bis zum E-Bike, erhält das Unternehmen eine Provision. Arbeitnehmer können auf dem firmeneigenen Onlinemarktplatz Mobility Hub die Produktpalette sowie den nächstgelegenen Händler sehen und ein Rad auswählen. Zu den Kunden gehört inzwischen jedes fünfte Dax-Unternehmen, darunter Siemens und MTU, sowie Familienunternehmen wie Brose, außerdem die Bundesländer Rheinland-Pfalz und Bayern. Das Unternehmen wirbt mit einfachen Prozessen, unter anderem mit Schnittstellenlösungen zur direkten Integration in die Abrechnungssysteme der Personalabteilungen.
Diem-Puello verfügt offenbar nicht nur über Talent für Repräsentationsaufgaben: Neben der Deutschen Dienstrad hat sie – als Fränkin, wie sie betont – eine Marke für alkoholfreie Weine, Senzo, mitgegründet. Daneben unterstützt sie als Beraterin und Beirätin Start-ups. Das Unternehmergen kommt mutmaßlich von der geschäftstüchtigen Mutter. Sie sei ihr großes Vorbild, ihr Sparringspartner, ihr Risikoradar. Diem-Puello war stets dabei, musste stets dabei sein: Als Baby wurde sie im Büro gewickelt, als Jugendliche verteilte sie Lutscher auf Messen, nach dem Studium war sie erst für den Personalbereich zuständig, um dann in Amerika den Vertrieb von Haibike aufzubauen.
„Isst du Nutella mit Butter oder ohne“
In ihrer zweigleisigen Karriere als Unternehmerin und als Frauenlobbyistin hat Christina Diem-Puello vor allem eine Erkenntnis gewonnen: Ohne Netzwerken geht es nicht. Für die Beschäftigten der Deutschen Dienstrad – 50 Prozent sind Frauen – veranstaltet sie regelmäßig Netzwerkabende. Dort lernen die Teilnehmerinnen (die Netzwerkabende betreffen nur die Mitarbeiterinnen, um die Frauen untereinander zu vernetzen): Nachfragen, zuhören, etwas Persönliches von sich erzählen, und sei es nur „Isst du Nutella mit Butter oder ohne“ – das helfe im Job. Die Dienstrad-Chefin hält nichts von Klischees, dass Frauen Haare auf den Zähnen haben und immer zu 120 Prozent vorbereitet sein müssen, um sich in einer Männerwelt zu behaupten. „Wir dürfen sein, wie wir sind, empathisch und menschenbezogen. Ändern müssen sich Strukturen und Rahmenbedingungen in der Gesellschaft.“ Untereinander auf ein Netzwerk zurückgreifen zu können spiele dabei eine wichtige Rolle.
Für den VdU steht ohnehin Netzwerken ganz oben auf der Agenda. Der Verband sieht es als sein zentrales Anliegen, erfolgreiche Unternehmerinnen als Vorbilder sichtbarer zu machen und sie mit jungen Unternehmerinnen, die am Beginn ihrer unternehmerischen Tätigkeit stehen, zu vernetzen. Dass ausgerechnet eine Frau wie Christina Diem-Puello an der Spitze steht, ist da kein Wunder. In einem Gastbeitrag schrieb sie mal, dass Boomer und Generation Z voneinander lernen können, unterstützt von vermittelnden Millennials. Keine Frage, wo sich die passionierte Langstreckenläuferin da sieht.