Meeresschildkröten orientieren sich am Magnetfeld der Erde, ähnlich wie ein Kompass. Forschende konnten zeigen, wie die Tiere ihre Fähigkeit nutzen, um spezifische Orte wiederzufinden.
Eine neue Studie von Forschern der University of North Carolina liefert den ersten empirischen Beweis dafür, dass sich Meeresschildkröten – genauer, die Unechten Karettschildkröten – nicht nur am Magnetfeld orientieren, sondern sich sogar magnetische “Signaturen” von Orten merken können.
Diese Entdeckung zeigt, wie Schildkröten und andere Wandertiere mit diesem Magnetsinn weite Distanzen überwinden können, um spezifische Nahrungs- und Brutgebiete zu erreichen. Wenn das Magnetfeld in ihrer Umgebung Leckerbissen verspricht, führt die Unechte Karettschildkröte sogar einen regelrechten Freudentanz auf, wie die Forschenden in der Fachzeitschrift Nature berichten.
Tiere können sich Unterschiede im Magnetfeld merken
Thomas Reischig, wissenschaftlicher Leiter der Turtle Foundation International, sieht die Studie als einen Meilenstein. Er erklärt, dass im Magnetfeld der Erde weitaus mehr Informationen vorhanden sind als nur die pure Richtungsinformation. “Eine dieser Informationen ist zum Beispiel die sogenannte Inklination, das heißt der Winkel, mit dem die Magnetfeldlinien die Erdoberfläche treffen.” Diese Inklination sei ungefähr waagerecht im Bereich des Äquators und praktisch senkrecht im Bereich der Pole. “Dazwischen nehmen die Magnetfeldlinien natürlich unterschiedliche Winkel ein, die ortsabhängig sind. Damit haben wir nicht nur eine Richtung, sondern auch eine gewisse Ortsinformation.”
Im Laufe des Experiments wurden die Gruppen von Unechten Karettschildkröten in zwei künstlich erzeugte Magnetfelder gesetzt, jedoch nur in einem davon gefüttert. Die Felder unterschieden sich in ihrem Neigungswinkel und in ihrer Intensität. Da die Schildkröten in Erwartung des Futters eine Art Tanz zeigten, war es für die Wissenschaftler einfach zu erkennen, ob sie die Felder unterscheiden konnten. Eine der Gruppen konnte zwei zusätzliche Magnetfelder unterscheiden – das bedeutet, dass die Unechten Karettschildkröten in der Lage sind, Nahrung mit bestimmten Magnetfeldern zu assoziieren.
Meeresschildkröten erstellen “magnetische Karte”
Die Fähigkeit, geomagnetische Koordinaten zu erkennen und ähnlich einer Karte zusammenzufügen, ist für Meeresschildkröten von entscheidender Bedeutung, um Nahrungsquellen zu finden.
Reischig sagt, dass diese Orte Tausende von Kilometern auseinander liegen können, sie aber auch relativ nahe beieinander liegen können. Die kürzeste Distanz, die in diesem experimentellen Ansatz gemessen wurde, lag bei 300 Kilometern. “Das kann man also als Mindestauflösung dieser Magnetfeldkarte, die die Schildkröten haben, ansetzen.”
Zwei unabhängige Sinne
Die Studie zeigt, dass der magnetische Karten- und der Kompasssinn der Schildkröten auf zwei verschiedenen Fähigkeiten bei diesen Tieren beruht. Die Studie liefert einen wichtigen Beitrag, um zu verstehen, wie Tiere das Magnetfeld der Erde nutzen, um sich zu orientieren und spezifische Orte wiederzufinden.
Das Magnetkompassgefühl der Schildkröten basiert offenbar auf chemischer Magnetorezeption, während das Kartengefühl auf einem anderen Mechanismus beruht. Interessanterweise konnten sich die Schildkröten im Experiment weiterhin orientieren, selbst nachdem das Licht ausgeschaltet wurde, obwohl für die chemische Magnetorezeption Licht notwendig ist.
Magnetsinn von Tieren bleibt rätselhaft
Thomas Reischig betont, dass der Magnetsinn ein sehr geheimnisvoller Sinn sei. Man kann ihn nicht unmittelbar nachvollziehen, weil der Mensch selbst keinen Sinn für Magnetfelder hat. Es ist schwierig, ein bestimmtes Organ oder eine anatomische Struktur zu identifizieren, die den Kompasssinn oder das Kartengefühl ausmacht. Thomas Reischig meint, “Vögel müssen Licht sehen, damit diese Magnetwahrnehmung stattfinden kann. Bei den Meeresschildkröten gibt es auch den Kompass, der wohl auch magnetochemisch funktioniert. Allerdings funktioniert der in Dunkelheit.”
Die Autoren der Studie wollten außerdem herausfinden, ob die Fähigkeit der magnetischen Kartierung von Meeresschildkröten mit ihrem inneren Magnetkompass für Orientierung verbunden sind. Die Forscher fügten Funkwellen hinzu, die die Fähigkeit der Tiere, sich mithilfe von Magnetfeldern zu orientieren, störten. Doch die Schildkröten waren immer noch in der Lage, bestimmte magnetische Koordinaten zu erkennen. Das bedeutet, dass sie sich auf dem Weg zu ihrer “Lieblingspizzeria” verlaufen könnten, diese aber niemals mit einer anderen verwechseln würden.
Auch einige Vögel und Amphibien verfügen über eine doppelte Magnetrezeption. Die Forschenden betonen, dass noch weitere Untersuchungen nötig sind, um den geheimnisvollen Magnetsinn der Tiere zu entschlüsseln.