Die Ergebnis-Balken der 18-Uhr-Prognose waren kaum verschwunden, da standen die Kanzlerkandidatin und AfD-Parteichefin Alice Weidel und der Ko-Vorsitzende der Partei, Tino Chrupalla, schon auf der Bühne in der Bundesgeschäftsstelle in Berlin und sprachen von einem „historischen Ergebnis“. Sie hatten sich mehr versprochen, allseits war ein Resultat von deutlich über 20 Prozent erwartet worden – und das spürte man auch im Raum. Die Begeisterung hielt sich in Grenzen; eher pflichtschuldig stimmten ein paar Teilnehmer „AfD!“-Rufe an, als die beiden wieder abgetreten waren. Sie verpufften rasch, und die Deutschlandfahnen wurden nicht eingerollt, aber doch ein bisschen schlaff geschwenkt.
Und doch passten die offenbar vorbereiteten Worte zur Situation. „Man wollte uns halbieren – das Gegenteil ist eingetreten“, sagte die AfD-Vorsitzende. Die AfD sei „nun als Volkspartei verankert“, fuhr sie fort, während Chrupalla proklamierte: „Wir sind jetzt die politische Mitte!“ Weidel blickte nach vorne und sagte einen „Wählerbetrug“ des voraussichtlichen nächsten Bundeskanzlers Friedrich Merz (CDU) voraus, da er einen Politikwechsel versprochen habe, aber voraussichtlich mit linken Parteien zusammen regieren werde. Wenn es so kommen sollte, würden „die nächsten Wahlen schneller kommen, als man denkt“, sagte Weidel. Dann würde die AfD zur stärksten Partei. Weidel wiederholte ihr Angebot, dass „die Hand für eine Regierungsbildung ausgestreckt“ bleibe, „um den Willen des Volkes umzusetzen“.
Brandner hofft auf „österreichische Verhältnisse“
Viele Gäste blickten an diesem Abend in die kommenden Wochen hinein. Der AfD-Abgeordnete Stephan Brandner, einer der stellvertretenden Parteivorsitzenden, wollte der F.A.Z. gegenüber nicht ausschließen, dass es in Deutschland zu „österreichischen Verhältnissen“ komme und die Union nach geplatzten Sondierungsgesprächen mit anderen Parteien auf die AfD zukomme. „Wir sind zu allen Schandtaten bereit“, sagte Brandner. Allerdings könne er sich nicht vorstellen, dass eine solche Offerte von Merz ausgehen würde. Dafür müsse wohl ein anderer Unionsmann das Heft übernehmen.
Insgesamt war die Stimmung aufgekratzt in der Bundesgeschäftsstelle, die nicht wie die anderen Parteizentralen in der Stadtmitte liegt, sondern am nördlichen Rand Berlins, umgeben von Kfz-Reparaturwerkstätten, Gewerbe und Industrie. Nur ein paar Gegendemonstranten hatten sich nach Reinickendorf verirrt, abgeschirmt von einem beachtlichen Polizeiaufgebot. Manche sahen darin ein weiteres Zeichen der Normalisierung.
Der AfD-Politiker Peter Bohnhof, der wohl über die nordrhein-westfälische Landesliste in den nächsten Bundestag einziehen wird, stellte auch für seine Heimat Dortmund fest, dass „sich etwas bewegt“. So sei die AfD unlängst zum ersten Mal zu einer Tagung der örtlichen Industrie- und Handelskammer eingeladen worden. „Man redet jetzt mit uns, und das ist gut“, sagte Bohnhof.