Deutschland galt lange als innovatives Land. Aber dieses Label ist angekratzt, sagt die Expertenkommission Forschung und Innovation in einem Gutachten. Sie fordert die kommende Regierung auf, zu handeln.
Deutschlands Wirtschaft schwächelt. So steht es im Jahresgutachten der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI). Um deutsche Unternehmen wieder wettbewerbsfähig zu machen, brauche es auch Forschung und Innovation – aber dort sei die Politik in den vergangenen Jahren auf der Stelle getreten. Heute haben sie ihr Jahresgutachten der Bundesregierung übergeben.
“Wir fallen hinten runter”, sagt Professor Uwe Cantner von der Universität Jena und Vorsitzender der EFI. Deutschland liege derzeit unter dem EU-Durchschnitt. “Und die Kraftmaschine der Vergangenheit – also die Kreativität und Innovationsfähigkeit, die in Deutschland immer hervorragend war – auch die ist angeschlagen.”
Mehr Fokus auf Innovation und Forschung
Der Forschungs- und Innovationspolitik sei es die vergangenen Jahre nicht gelungen, da herauszukommen und die kreativen Potenziale zu aktivieren, sagt Cantner. Erst wenn die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen wieder oben ist, könne sich Deutschland zum einen international wieder gut positionieren. Zum anderen könne all das was Deutschland etwa bei Infrastruktur und Bildung nachzuholen hätte, auch finanziert werden. “Ohne ökonomische Stärke wird das alles schwierig bis unmöglich”, so der Wirtschaftswissenschaftler.
Die Kommission fordert: Forschungs- und Innovationspolitik müsse in der kommenden Legislaturperiode ins Zentrum des Regierungshandelns gerückt werden.
Mehr Freiheiten, Effektivität und Effizienz
Und wie könnte das gelingen? “Erstens: Wir brauchen verbesserte innovationsförderliche Rahmenbedingungen. Nicht so viel regulieren, viel mehr Freiheiten geben für die innovationsrelevanten Akteure”, sagt Cantner. Darunter fallen etwa Universitäten, Forschungseinrichtungen, Unternehmen aber auch Sozialverbände.
“Zum Zweiten muss die Effektivität und Effizienz von Politikmaßnahmen viel stärker in den Blick genommen werden”, sagt der Experte. Bedeutet: “Wir geben oftmals auf politischer Seite Geld für etwas aus, wo wir gar nicht wissen, ob das wirklich wirkt. Das ist doch sinnlos.”
Der dritte Punkt: Die Kommission fordert zwei neue Bundesministerien zu schaffen – zum einen eines für Forschung, Innovation und Technologie (BMFIT). Derzeit lägen die Zuständigkeiten in dem Bereich teils beim Ministerium für Bildung und Forschung und teils beim Wirtschaftsministerium. “Dies ist nicht sachgerecht”, so das Gutachten. Außerdem brauche es ein eigenes Digitalministerium, um die – noch schleppende – Digitalisierung voranzutreiben.
Von der Theorie in die Praxis
Der letzte Punkt: die sogenannte Missionsorientierung. Ein Politikansatz, mit dem große Transformationen – wie Digitalisierung, Dekarbonisierung, Energiewende oder autonomes Fahren – umgesetzt werden könnten, erklärt Cantner. “Die aktuelle Bundesregierung hat das ja auf den Weg gebracht, es aber nicht richtig weiterentwickelt.” Das müsse unbedingt passieren, fordert er. “Damit kann man sehr erfolgversprechend die Akteure, die jetzt nicht wissen, wo sie investieren wollen, in die richtige Richtung bringen.”
Ihre Vorschläge übergab die Expertenkommission dem amtierenden Kanzler – gerichtet ist es allerdings eher an seinen Nachfolger. Denn Scholz ist voraussichtlich nur noch wenige Wochen im Amt.
Was macht die Expertenkommission?
Die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) mit Sitz in Berlin leistet seit 2008 wissenschaftliche Politikberatung für die Bundesregierung und legt jährlich ein Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands vor. Wesentliche Aufgabe der EFI ist es dabei, die Stärken und Schwächen des deutschen Innovationssystems im internationalen und zeitlichen Vergleich zu analysieren und die Perspektiven des Forschungs- und Innovationsstandorts Deutschland zu bewerten. Auf dieser Basis entwickelt die EFI Vorschläge für die nationale Forschungs- und Innovationspolitik.
Quelle: EFI