Sollen wir in Europa wirklich werden wie Donald Trump?

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Eltern erzählen ihren Kindern gern, wichtiger, als Geld und Macht anzuhäufen, sei es, ein guter Mensch zu werden. Manche behaupten auch, das eine hänge mit dem anderen zusammen. Wer im Leben nicht nett sei, zu dem sei irgendwann auch das Leben nicht mehr nett: Karma is a bitch.

Nicht nur die neuerliche Wahl Donald Trumps scheint dieses Gesetz infrage zu stellen. Der Schulhofrabauke hat sich durchgesetzt. Auch an der Spitze vieler anderer Staaten stehen Männer wie Frauen, die man in Trump’scher Diktion als „bad hombres“ bezeichnen könnte. Auch für sie gibt es Sprichwörter. Etwa: „Gute Mädchen kommen in den Himmel, böse Mädchen kommen überallhin.“

War es je anders? Zumindest scheinen in den vergangenen Jahren Themen wie Achtsamkeit oder Inklusion so en vogue gewesen zu sein, dass sich Meta-CEO Mark Zuckerberg nun dazu veranlasst sah, die Rückkehr zu „maskulinen Energien“ und zur Aggression zu verlangen. Jeder, der mal Fußball gespielt hat, weiß, dass es ohne Aggressivität im Zweikampf nicht geht.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.


Und jeder, der an einem Wahlplakat der Grünen vorbeiradelt, spürt, dass auch ostentative Mitmenschlichkeit aggressiv machen kann. Aber es gibt eben auch den Gegenbefund: Farin Urlaub von der Band Die Ärzte hat mal erzählt, er trage auf seinen Reisen durch Afrika nie eine Waffe: „Wenn man eine Waffe dabei hat, stirbt man.“ Ähnlich die Erfahrung des Architekten Renzo Piano, der jüngst in der „Süddeutschen Zeitung“ sagte, der beste Schutz vor Terror sei nicht Abschottung, sondern Transparenz. „Wenn man sichtbar ist, ist man sicherer.“

„Worauf sollte ich neidisch sein?“

Piano wies auch darauf hin, dass es in seiner Sprache nicht ohne Grund seit der Antike ein und dasselbe Wort für gut und schön gebe: bello. Die alten Philosophen wussten, dass Güte, Ästhetik und Exzellenz zusammengehören. Im Sehnen nach Ruhm und Macht sahen sie degenerative Stufen in der Entwicklung von Zivilisationen. Umso mehr gilt das für das Streben nach Reichtum. Trump und die Seinen berufen sich auch dabei auf Gott. Aber ihr Gott ist nur der, der denen gibt, die haben. Es ist nicht der, der als Kind in der Krippe zu uns gekommen ist. Es ist auch nicht der, der zu Pilatus sagt: „Du hättest keine Macht über mich, wenn sie dir nicht von oben gegeben wäre.“

Max Horkheimer klagte mal über die Jugend: „Die wollen lieber unter abgebrühten Barbarenführern das Weltall erobern als einmal Philemon und Baucis sein.“ Ahnte er schon, dass dereinst Elon Musk auf die Erde niederfahren und sich anschicken würde, von dort aus den Mars zu kolonisieren? Leute, die derlei als Selbstermächtigung kritisieren, bekommen heute zu hören, sie seien schwach. Dächten nicht groß. Oder seien schlicht neidisch. Da kann man mit dem Abenteurer Hans Saler erwidern: „Ich habe ein Jahr in einer einsamen Blockhütte (…) gelebt, bin fast neun Jahre über die Weltmeere gesegelt und habe drei Wochen an einer Wegkreuzung unter dem Sternenhimmel auf einen Freund gewartet. Worauf sollte ich neidisch sein?“

Despoten wollen, was wir haben

Drei Wochen auf einen Freund zu warten bedeutet allerdings drei Wochen nichts für den Wirtschaftsstandort Deutschland zu tun. Und ohne den ist doch angeblich alles nichts. Was also tun? Versuchen, wie Trump zu werden? Zumindest ein bisschen mehr Trump wagen? Das wäre zweifelhaft. Denn dann würden wir aufgeben, worum er uns in Wahrheit beneidet. Gleich zu Beginn seines Buchs „The Art of the Deal“ heißt es: „I don’t do it for the money.“ Deals seien vielmehr seine Form der Kunst. Andere malten schöne Bilder oder schrieben wundervolle Poesie – er liebe es, Deals zu machen.

Der irakische Diktator Saddam Hussein mit einer Herde Schafe
Der irakische Diktator Saddam Hussein mit einer Herde SchafeREUTERS

Reichtum und Macht haben das Problem, dass sie schnöde und unpoetisch sind, sich nicht selbst genügen. Sie bedürfen der Veredelung. Der Literaturwissenschaftler Albrecht Koschorke hat darauf hingewiesen, dass viele Despoten ein breites literarisches Werk hinterlassen haben, das weit über bloße Propaganda hinausreicht. Saddam Hussein etwa soll noch kurz vor Kriegsausbruch 2003 eifrig an seinem letzten Roman gearbeitet haben. Nun ist Donald Trump nicht Saddam Hussein. Aber auch er scheint eine Sehnsucht zu haben, als Künstler wahrgenommen oder zumindest von Künstlern wahrgenommen zu werden. Man denke nur an sein Buhlen um die Gunst Hollywoods.

Wir fragen immer, was wir, das alte Europa, wie Donald Rumsfeld es einmal nannte, überhaupt noch zu bieten haben. Dabei sollten wir nicht vergessen: Kultur und Kultiviertheit sind auch Kapital, das man einsetzen kann, das aber auch ein Wert an sich ist. Wie sagte die dissidente Liz Cheney an ihre Parteifreunde, die republikanischen Steigbügelhalter gerichtet: „Eines Tages wird Donald Trump Vergangenheit sein, aber Ihre Ehrlosigkeit wird bleiben.“