Syrer in Deutschland über Assad und die Rückkehr nach Syrien

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Egal, mit wem man aus der syrischen Gemeinde in Deutschland derzeit spricht – die Freude über die Entwicklung in der Heimat nach der Schreckensherrschaft von Baschar al-Assad ist groß. Dennoch gibt es auch viele Sorgen darüber, wohin sich das Land nun entwickeln wird. „Wir sind sehr glücklich, aber wir haben auch Angst“, sagt etwa Hajar Issa, ein syrischer Künstler, der 2015 nach Deutschland floh und mit seiner Frau und den beiden gemeinsamen Söhnen in der Nähe von Hamburg lebt. Alle seien glücklich, weil Assad endlich weg sei, sagt Issa. Die Assad-Familie habe das Land geplündert, als wäre es ihr eigener Garten.

Der Künstler ist einer von rund einer Million Syrer, die in Deutschland leben. Die meisten von ihnen flohen vor dem Assad-Regime, sie kamen als Asylbewerber ins Land und erhielten hier Schutz. Wie froh sie über den Sturz des Machthabers sind, zeigte sich am Wochenende auf Deutschlands Straßen. In vielen Großstädten feierten Tausende friedlich den Sturz Assads. Rund 5000 Menschen waren es nach Polizeiangaben in Berlin, etwa 3000 in Hamburg. In Essen hatten Syrer eine Demonstration mit 300 Teilnehmern angemeldet – am Ende kamen 11.000. Autofahrer fuhren hupend durch die Innenstadt, ein zentraler Kreisverkehr war zeitweise verstopft. Teilnehmer schwenkten syrische Flaggen mit dem Aufdruck „Freedom“.

Auch in Mainz und Koblenz zogen Autokorsos hupend durch die Stadt, aus den Fenstern wurden Fahnen geschwenkt. Auf dem Mainzer Schillerplatz fanden sich statt der angekündigten 100 Teilnehmer rund 5000 feiernde Menschen ein. In Darmstadt feierten am Sonntag 350 Leute auf dem Luisenplatz. Unter ihnen war auch Nahla Osman vom deutsch-syrischen Verein. „Das ist der erste Morgen für die Syrer in Freiheit und ohne Diktator“, sagte sie dem HR. Die Deutsch-Syrer seien „der festen Überzeugung, dass es nicht schlimmer sein kann als Assad“.

Wie geht es weiter in Syrien?

So groß die Freude der Syrer ist, viele machen sich auch Sorgen darüber, wie es in ihrer Heimat nun weitergeht. Abu Muhammad al-Golani, der Anführer jener, die Assad nun stürzten, wird als radikaler Ideologe beschrieben. Es gibt die Befürchtung, dass sich Syrien in eine Richtung entwickeln könnte wie Afghanistan unter den Taliban. Der erste Tag in Syrien seit dem Sturz sei gut verlaufen, heißt es. Doch was kommt jetzt? Niemand weiß, ob es gelingen kann, Alawiten, Christen, Sunniten, Kurden und andere an einen Tisch zu bekommen. Zudem befürchten viele, die Türkei könnte versuchen, die Situation auszunutzen, um verstärkt gegen die Kurden im Land vorzugehen.

Unterdessen beginnt in Deutschland die Debatte darüber, ob viele der syrischen Flüchtlinge nun zurückkehren (müssen). Gari Pavkovic, Integrationsbeauftragter der Stadt Stuttgart, in der etwa 5500 Syrer leben, hält die Diskussion für verfrüht. Die Machtverhältnisse in Syrien seien unklar, die Infrastruktur sei zerstört, deshalb sei es vernünftig, noch etwas abzuwarten, findet er. Viele Syrer würden jetzt ihren Rückkehrwillen „deklarieren“, die Flüchtlinge in Sammelunterkünften würden davon sicher Gebrauch machen, man sollte das aber nicht überbewerten. „Die Diskussion hat auch mit dem Bundestagswahlkampf zu tun. Wer mit der Familie hier ist und eine Arbeit hat, der packt nicht so schnell die Koffer“, sagt Pavkovic. Die Menschen bräuchten eine „Mindestsicherheit“.

Rückkehr ist ein großes Thema in der syrischen Community

Auch Ryyan Alshebl, syrischstämmiger Bürgermeister im baden-württembergischen Ostelsheim (Landkreis Calw), hält die Diskussion über die Rückkehr der syrischen Flüchtlinge für etwas verfrüht, da renne die „Union der AfD hinterher“. Nichtsdestotrotz schließt Alshebl, der 2015 nach Deutschland kam, eine Verwaltungsausbildung machte und inzwischen auch die deutsche Staatsbürgerschaft hat, eine Rückkehr für sich selbst „nicht kategorisch“ aus. Er könne sich vorstellen, in Syrien beim Wiederaufbau zu helfen.

Er habe die Hoffnung, dass sich das Land gut entwickle; die syrischen Islamisten seien weniger radikal als andere in der Region. „Man muss sehen, wie sich die Lage entwickelt. Die EU und auch Deutschland müssen sich mit humanitärer Hilfe am Wiederaufbau des Staatswesens beteiligen“, fordert er. In anderthalb Jahren könne man wahrscheinlich seriös über die Situation syrischer Flüchtlinge und die Rückkehr reden.

Die Frage nach einer möglichen Rückkehr beschäftigt derzeit viele Syrer in Deutschland. Auch, weil viele Verwandte im Land haben. Hajar Issa, der syrische Künstler aus der Nähe von Hamburg, hat mit seinen beiden Söhnen über eine Rückkehr gesprochen. „Aber Papa, wir sind Deutsche“, hätten diese ihm gesagt; dennoch würden beide gerne mal Damaskus sehen. Issa ist zuversichtlich, dass seine Söhne bald die vor etwa einem Jahr beantragte deutsche Staatsbürgerschaft erhielten; seine Frau und er selbst hätten schon seit einigen Jahren deutsche Pässe.

Viele Syrer wollen bleiben

Auch der Syrer Merie Khalil sagt: „Ich will bleiben, ich schätze aber, dass etwa 50 Prozent der in Deutschland lebenden Syrer zurückkehren werden.“ Viele wollten sogar sofort zurück, obwohl sie hier erfolgreich ein neues Leben begonnen hätten. Mohammed Al Odat geht davon aus, dass besonders die Syrer mit befristetem, subsidiärem Schutz zurückgehen würden. Für ihn selbst ist eine Rückkehr indes keine Option. „Meine Frau und ich haben gute Jobs, der Sohn macht eine Ausbildung, die Tochter ist auf dem Gymnasium, wir werden in jedem Fall bleiben“, sagt der Sozialarbeiter, der bei der Caritas Flüchtlinge in Gemeinschaftsunterkünften im Landkreis Ludwigsburg betreut. Er kam 2015 als Flüchtling nach Deutschland, inzwischen besitzt er, wie seine Frau und die gemeinsamen Kinder, auch die deutsche Staatsbürgerschaft.

Auch in Essen haben viele Syrer mittlerweile die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen, dort lebt die größte syrische Community in NRW – insgesamt rund 19.280 Menschen, inklusive 4000 Personen mit doppelter Staatsbürgerschaft. Durch eine 2021 veröffentlichte Studie des Zentrums für Türkeistudien und Integrationsforschung (ZfTI) ist die syrische Community in Essen vergleichsweise gut erforscht; damals hieß es, die syrische Community sei „nachhaltig integrationsorientiert“, man stelle einen „fortschreitenden Eingliederungsprozess“ fest. Zwei Drittel der 1500 Studienteilnehmer gaben zudem an, bleiben zu wollen. Ziel der Flüchtlinge war der Studie zufolge nicht, lediglich die Zeit bis zur Rückkehr zu überbrücken; vielmehr erhofften sich die Befragten einen dauerhaften Aufenthalt in Deutschland.

„In der damaligen Untersuchung stellten wir einen ausgeprägten Bleibewillen fest“, sagt der Vorstand des ZfTI, Dirk Halm, der F.A.Z. „Wir haben keinerlei Anhaltspunkt dafür, dass sich das seither geändert hätte.“ Der Migrationsforscher weist zudem darauf hin, dass viele nicht mit einer syrischen Identität nach Deutschland gekommen seien. Die syrische Gemeinde in Deutschland sei eine zersplitterte Gruppe. „Viele von ihnen sind sich in Deutschland das erste Mal begegnet, denn Syrien ist ein religiös, ethnisch und auch geographisch höchst diverses Land, die Gesellschaft ist dort wenig vernetzt.“