Trump sagt, Putin wolle Frieden. Stimmt das?

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Angesichts der amerikanisch-russischen Gespräche über die Beziehungen beider Länder im Allgemeinen und den Ukrain­ekrieg im Besonderen stellt sich eine Frage: Ist Wladimir Putin willens und in der Lage, auf Krieg als Mittel der Politik zu verzichten? Der amerikanische Präsident Donald Trump gibt sich überzeugt davon, dass Russlands Präsident das Blutvergießen beenden wolle. Putin selbst erklärt sich für dialogbereit, lässt aber keinen Zweifel daran, dass er „alle Ziele“ seines Angriffskriegs gegen die Ukraine erreichen will. In den vergangenen drei Jahren hat er viele Kriegsziele genannt, keines davon zurückgenommen und neue hinzugefügt.

In seiner Ansprache am Morgen des Überfalls sagte er noch, eine Besetzung ukrainischer Territorien sei nicht geplant. Doch schon im Herbst 2022 schloss er zusätzlich zur 2014 annektierten Krim vier weitere Regionen der Ukraine an Russland an. Obwohl ein Teil davon unter ukrainischer Kontrolle steht, erhebt Moskau Anspruch auf die ganzen Gebiete. Putin spricht von einer „Rückkehr“ angeblich „historisch russischer“ Territorien. Nach dieser Logik, die neben dem Zarenreich auch die Sowjetunion als russisch definiert, könnten weitere Annexionen folgen.

Daneben zeigen Äußerungen Putins, dass ihm die Idee eines prorussischen Machtwechsels in Kiew vorschwebt. Diesem Ziel soll das – derzeit auch in Washington befürwortete – Projekt von Neuwahlen in der Ukraine dienen. Hinter der Forderung nach „Entnazifizierung“ der Ukraine steht die Vorstellung, Ukrainer seien eigentlich Russen, die man auf den aus Kreml-Sicht rechten Weg zurückbringen müsse.

Die faktische Neutralisierung großer Teile Europas

Dass sich diese Vorstellung in den elf Jahren des zunächst verdeckten Kriegs als Irrglauben erwiesen hat, ist in Russland ebenso ein Tabu wie die militärisch desaströsen Folgen der damit verbundenen Fehleinschätzungen zur Widerstandsfähigkeit der Ukraine im Frühjahr 2022. Ein ukrainischer Rumpfstaat soll nach Putins Willen überdies „demilitarisiert“ sein. Das würde eine vergleichsweise reibungsarme neue Invasion erlauben, etwa in dem Fall, dass es dem Kreml nicht gelingen sollte, eine prorussische Führung in Kiew zu installieren.

Darüber hinaus geht es Putin um den Rückzug der NATO und eine faktische Neutralisierung großer Teile Europas. Eine rumänische Darstellung, Russland habe eine solche Forderung bei der ersten Runde der Gespräche mit den Amerikanern in Riad gestellt, die von Trumps Emissären aber abgelehnt worden sei, wies Putins Sprecher Dmitrij Peskow zwar zurück. Er sagte aber auch, „unsere Besorgnis“ mit Blick auf die früheren NATO-Erweiterungen sei „für niemanden ein Geheimnis“. Putin selbst beschreibt den Ukrainekrieg stets als Schauplatz in einem globalen Ringen gegen einen amerikanischen „Hegemon“. Auch mit Blick auf seine geopolitischen Ziele, die Ende 2021 in ultimative Forderungskataloge an USA und NATO mündeten, scheint er nicht willens zu sein, zurückzustecken.

Kriegswirtschaft und Repression

Unabhängig von Putins Zielen stellt sich zudem die Frage, vor welche praktischen Probleme ihn ein Friedensprozess stellen würde. Etwa für die von ihm auf Krieg eingestellte russische Wirtschaft. „Ohne einen ständigen Strom von Staatsaufträgen für die Kriegsindustrie wird sich der Zustand der russischen Wirtschaft unweigerlich ernstlich verschlechtern“, heißt es in einer neuen Analyse des Stockholmer Zentrums für Osteuropastudien zu der Frage, ob Russland einen „Übergang zum Frieden“ bewerkstelligen könne. Die Abhängigkeit von den Rüstungsausgaben sei „strukturell“ geworden, ein Ende würde zu einer „tiefen Krise“ führen, heißt es darin.

Sollten die Amerikaner Wirtschaftssanktionen aufheben, könnte das laut der Analyse einige Verwundbarkeiten der russischen Wirtschaft wie Materialknappheit und Inflation lindern und würde daher „Europas Kernsicherheitsinteressen widersprechen“, schreiben die Autoren Stefan Ingvarsson und der russische Militärfachmann Alexandr Golz. Sie heben aber hervor, die innenpolitische Repression habe ein solches Ausmaß erreicht, dass der russische Staat aus systemischen Gründen auch im Falle einer Waffenruhe in der Ukraine weiter gegen „innere und äußere Feinde“ vorgehen müsse. Trumps Vereinigte Staaten dürften dann die Rolle des „Hauptfeindes“ an „die liberalen Demokratien in Europa“ abgeben.

Ein weiteres Problem wäre die Armee. Putin hat ihr eine Sollgröße von eineinhalb Millionen Soldaten verordnet, eine halbe Million mehr als vor der Invasion der Ukraine. Für viele der Soldaten wirkt der Krieg wie ein „sozialer Aufzug“. Er bringt ihnen Einkünfte, die sie sonst nie erhalten hätten. Putin spreche zwar von einer im Krieg entstehenden „neuen Elite“, so die Analyse. Aber in der Praxis fehlten den meisten Soldaten die Qualifikationen, um im zivilen Bereich oder der Verwaltung zu arbeiten. Sollten die Waffen langfristig schweigen, hätte Russland „eine untätige Eineinhalb-Millionen-Armee, die Geld kostet“. Laut Golz und Ingvarsson hat Putin lediglich Interesse an einer Waffenruhe, um die Ukraine nach und nach zu unterwerfen und um im Krieg verbrauchte Waffenbestände aus sowjetischer Zeit wieder aufzufüllen. Das geschähe umso rascher, wenn Sanktionen aufgehoben und Russlands internationale Isolation beendet würden.

Anders als die Herrscher der späten Sowjetunion „fürchtet Putin nicht den Krieg als Mittel, sondern hat gelernt, ihn als eine Möglichkeit zu sehen“, warnen die Autoren. Solange Putin an der Macht sei, werde es keinen dauerhaften Frieden in Europa geben. Europa müsse daher aufrüsten und zugleich dringend Putins Fähigkeit beschränken, Russlands Kriegs­wirtschaft zu bezahlen.