„Ich fühle mich hier nicht mehr wohl“

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Das schwarze Auto ist demoliert, die linke Vorderseite ist eingedrückt und die Winderschutzscheibe zerbrochen. Rot-weißes Absperrband flattert um den zweitürigen Ford Fiesta, der ganz am Ende der Straße steht, einige hundert Meter vom Mannheimer Paradeplatz entfernt. Die Spurensicherung untersucht den mutmaßlichen Tatwagen. Mit ihm ist ein Mann am Montagmittag in die Einkaufsstraße gefahren und hat dabei zwei Menschen getötet und elf weitere verletzt.

Auf dem Amaturenbrett des Autos liegt ein Zettel, der mit bloßem Auge nicht lesbar ist. Erst ein näherer Blick auf ein Foto des Zettels zeigt eine handschriftlich notierte Berechnung. Da stehen Formeln und Stichworte: Anhalteweg, Reaktionsweg, Bremsweg. Woher das Stück Papier kommt und seit wann es da liegt, ist unklar. In einer Pressekonferenz am Abend macht die Polizei dazu keine Angaben.

Zu anderen Details der Tat und zum mutmßlichen Täter werden die Sicherheitsbehörden konkreter. Der Mann sei Landschaftsgärtner, sagte Staatsanwalt Romeo Schüssler. Er sei ledig, habe nach Erkenntnissen der Ermittler keine Kinder und keine Partnerin oder keinen Partner. Man gehe davon aus, dass er allein gelebt habe, so Schüssler. Der 40 Jahre alte deutsche Staatsbürger sei in Baden-Württemberg geboren worden, habe zuletzt aber im rheinland-pfälzischen Ludwigshafen gelebt.

Hinweise auf eine psychische Erkrankung

Der Mann habe Vorstrafen wegen Körperverletzung und Trunkenheit am Steuer. Diese lägen jedoch lange zurück. Zuletzt habe er 2018 wegen Hatespeech auf Facebook eine Geldstrafe zahlen müssen. Es gebe Hinweise darauf, dass der mutmaßliche Täter eine psychische Erkrankung habe. Gegen ihn seien Ermittlungen wegen Mordes und versuchten Mordes eingeleitet worden.

Die Amokfahrt hat sich nach Polizeiangaben um 12.15 Uhr am zentralen Paradeplatz in der Mannheimer Innenstadt ereignet. Etwa zehn Minuten später gingen bei der Polizei Notrufe ein. Polizisten fanden das mutmaßliche Tatfahrzeug daraufhin verlassen vor, kurz danach sei die Festnahme des mutmaßlichen Täters bestätigt worden. Dieser habe sich während der Festnahme mit einer Schreckschusspistole in den Mund geschossen. Sein Gesundheitszustand sei stabil, er sei bisher aber nicht vernehmungsfähig gewesen.

Vor der Pressekonferenz der Polizei am Abend kommt Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) zum Tatort. Mit dem Innenminister von Baden-Württemberg Thomas Strobl (CDU), dem Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) und Mannheims Bürgermeister Christian Specht (CDU) legt sie weiße Rosen in der Nähe des Tatorts nieder und bekundet ihr Beileid. „Was für eine furchtbare Gewalttat hier in Mannheim, erneut Mannheim“, sagt sie. Erst im Mai 2024 wurde ein Polizist in Mannheim bei einem Messerangriff getötet.

„Ein Horror, bei helllichtem Tag, bei schönstem Wetter in der Mittagspause, wo viele Menschen draußen sind“, sagt die Bundesinnenministerin. Es sei wichtig, das Geschehene aufzuklären und nicht zu spekulieren. Faeser dankt den Einsatzkräften der Polizei, die mit einem Großaufgebot vor Ort war. In zehn Minuten seien 30 Polizeiwagen am Einsatzort gewesen.

Auch Winfried Kretschmann betont die Schnelligkeit der Polizeibeamten. „Wir tun, was der Staat tun kann, um seine Bürgerinnen und Bürger zu schützen.“ Aber hundertprozentigen Schutz gebe es leider nicht. „Wir können unsere Innenstädte nicht zu umzäunten Festungen machen“, ergänzt Strobl. Der Vorfall stehe nach aktuellem Ermittlungsstand nicht in Zusammenhang mit dem Rosenmontag, es gebe derzeit auch keine Hinweise auf einen extremistischen oder religiösen Hintergrund.

Einige Meter vor dem abgesperrten Auto steht am Nachmittag ein junger Mann. Er sei Student und wohne ganz in der Nähe, sagt er. Als er in den Medien Fotos von dem Auto gesehen habe, habe er selber gucken kommen wollen. Er nähert sich nur langsam dem abgesperrten Bereich.

Die Spurensicherung am 3. März 2025 am Tator auf den Planken am Paradeplatz in Mannheim
Die Spurensicherung am 3. März 2025 am Tator auf den Planken am Paradeplatz in MannheimLucas Bäuml

Die Stimmung in der Stadt sei an diesem Tag sehr angespannt, sagt er. Seit dem Messerangriff auf einen Polizisten im Mai 2024 habe sie sich hier aber nicht grundsätzlich verändert. Er glaube nicht, dass Vorverurteilungen getroffen würden, auch an diesem Tag nicht. Seinen Eindruck teilen andere Bürger Mannheims nicht.

„Jetzt würde ich die AfD wählen“

Rund um den abgesperrten Tatort liegt eine stille Aufregung in der Luft. Menschen stehen dort, beobachten die Polizisten und diskutieren. Viele von ihnen sind wütend – und sind sich einig: Schuld ist die Migrationspolitik. Dabei ist zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht klar, wer der Mensch war, der diese Tat begangen hat. Auch seine Motiv ist unklar.

„Ich bin waschechter Mannheimer und ich sag es ehrlich, ich fühle mich hier nicht mehr wohl“, sagt ein älterer Mann, der in der Nähe des Brunnens steht und auf das Geschehen schaut. Es gäbe zu viele Ausländer in der Stadt. Als ein junger Mann neben ihm von neuen Berichten in der Presse erzählt, nach denen der Täter ein 40 Jahre alter Deutscher aus Rheinland-Pfalz sein soll, schüttelt der ältere Mann den Kopf. „Ja, aber was heißt das? Mit syrischem Pass vermutlich“, sagt er.

Er schimpft lautstark über Bundesinnenministerin Faeser, die Migrationspolitik in Deutschland und „die Ausländer“. Niemand der Nahestehenden widerspricht ihm. Die Wahl sei ja leider schon um. Er habe CDU gewählt. „Jetzt würde ich die AfD wählen“, sagt er.

Doch nicht alle sind so schnell in ihrem Urteil. Eine Rentnerin aus Mannheim, die mit ihrem Dackel durch die Innenstadt läuft, will von derlei Spekulationen nichts wissen. „Was will man denn machen“, sagt sie. Sie sei vom Wasserturm Richtung Paradeplatz gelaufen. Dann habe sie eine blaue Abdeckung gesehen, die Polizei sei schnell herbeigefahren. Eine Passantin sei zu ihr geeilt und habe sie gewarnt: Sie solle nicht weitergehen und sich entfernen. „Wäre ich etwas früher gekommen, was dann wohl passiert wäre“, sagt sie.

Die Frau ringt nach Worten. „Es ist so schrecklich. Auch wenn man selbst nicht betroffen war, es ist einfach erschütternd, dass immer wieder so etwas passiert.“ Auch an das Messerattentat im vergangenen Jahr denkt sie jetzt. Die Angst sei im Alltag öfter mal da, die Gefahr sei präsent. Am Sonntag sei sie beim Fasnachtumzug am Wasserturm gewesen – da sei ihr beim Blick auf die Straßensperren und Sicherheitsvorkehrungen immer mal wieder durch den Kopf gegangen, was alles Schreckliches passieren könnte. Dass ihre Ängste nur einen Tag später Wirklichkeit werden könnten, damit habe sie nicht gerechnet.