Union und SPD einigen sich auf Vorschlag für Milliardenpaket

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Sie waren pünktlich am Dienstagabend. Wie erwartet ging es um Geld, um sehr viel Geld. Es soll für die Verteidigung und die Infrastruktur Deutschlands ausgegeben werden. Um 19 Uhr traten der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz, der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil, die zweite Vorsitzende Saskia Esken und CSU-Chef Markus Söder vor die Presse. In nur drei Tagen Verhandlungen und gut eine Woche nach der Bundestagswahl haben Union und SPD damit einen Start in die geplante gemeinsame Regierungszeit geschafft, der Seinesgleichen sucht.

Merz, der der Kanzler in dieser Koalition werden soll, machte den Anfang. Anders, als zuvor vielfach diskutiert, wird das Geld, das für die schnelle und zusätzliche Aufrüstung Deutschlands bereitgestellt werden soll, nach dem Plan von Union und SPD nicht über ein weiteres Sondervermögen bereitgestellt, sondern über einen Mechanismus, der die Schuldenbremse verändert. Alle Ausgaben, die für die Verteidigung erforderlich sind und sich oberhalb von einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts befinden, sollen von der Schuldenbremse ausgenommen sein. Merz fasste die Bereitschaft zur Investition in die Verteidigung angesichts der neuen internationalen Herausforderungen mit den Worten zusammen: „Whatever it takes.“ Europa müsse erwachsen werden, sagte der CDU-Vorsitzende.

Die Regelung hat den Vorteil, dass sie grundsätzlich keine Obergrenze vorsieht. Derzeit gilt ein NATO-Beschluss aus dem Jahr 2014, der festlegt, dass die Mitgliedstaaten zwei Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes für Verteidigung ausgeben. Deutschland war lange säumig und schafft es nur mit den Sonderschulden von 100 Milliarden Euro aus dem Jahr 2022, die Zwei-Prozent-Grenze einzuhalten. Da es schon längst Diskussionen, vor allem Druck aus Washington gibt, die Untergrenze für Verteidigungsausgaben zu erhöhen, kann das auch auf Berlin zukommen. Mit der jetzt vorgesehenen Regelung könnten auch mehr als die zwei Prozent finanziert werden, ohne dass jedesmal eine Debatte über weitere Finanzmittel erforderlich wäre. Sollte Amerika sich ganz oder weitgehend militärisch aus Europa zurückziehen, könnte dieser Mechanismus sehr hilfreich sein, um die daraufhin zu erwartenden Ausgaben zu ermöglichen.

500 Milliarden Euro für die Infrastruktur

Doch beschlossen die drei Parteien, die eine Regierung bilden wollen, noch weiteres. Zur Ankurbelung der Wirtschaft wollen Union und SPD 500 Milliarden Euro über zehn Jahre in die Infrastruktur investieren. Geplant ist die Einrichtung eines Sondervermögens, dazu muss, wie auch für die Lockerung der Schuldenbremse, das Grundgesetz mit Zweidrittelmehrheit geändert werden. CSU-Chef Markus Söder zählte am Dienstagabend auf, was alles unter Infrastruktur fallen soll: Sanierungen im Verkehrsbereich, eine Stärkung der Energieversorgung, Investitionen in Bau, Digitales, Schulen, Kinderbetreuung und Krankenhäuser.

Davon soll nicht nur der Bund profitieren: 100 Milliarden Euro des Infrastruktur-Sondervermögens sind für Länder und Kommunen vorgesehen. Söder stellte das besonders heraus. Das sei keine leichte Aufgabe angesichts der Finanzlage im Bund. Umso dankbarer sei er für den Schritt. Er äußerte die Hoffnung, dass damit künftig auch eine konstruktive und größere Mitwirkung des Bundesrats verbunden sei.

Die Länder profitieren noch an anderer Stelle von den Beschlüssen der Sondierungsgruppen. Bislang gelten für die Länder strengere Schuldenbremsenregeln als im Bund. Der darf nämlich auch abseits von Notlagen 0,35 Prozent des nominellen Bruttoinlandsprodukts an Nettokrediten aufnehmen. Die Länder dürfen das bislang nicht. Durch eine Konkretisierung des Grundgesetzes sollen die Regeln von Bund und Ländern angeglichen werden, künftig soll also auch für die Länder die 0,35-Prozent-Regel gelten. Diesen Vorschlag hatte Ende vergangenen Jahres schon Haushaltspolitiker der Union gemacht.

Grüne attackieren Merz

Was aber sagen Grüne und FDP zu der Einigung? Die meisten Abgeordneten der beiden Parteien erfuhren aus den Medien von den Plänen der angehenden Koalitionäre. Erst kurz vor dem Pressestatement habe er deren Fraktionsspitzen informiert, sagte Merz am Abend. Er ist allerdings auf Stimmen aus deren Reihen angewiesen, um nächste Woche das Grundgesetz zu ändern. Im neuen Bundestag wären eine Zustimmung der Grünen dagegen nicht mehr ausreichend, da AfD und Linke in der neuen Zusammensetzung eine Sperrminorität haben, Änderungen des Grunddgesetzes also blockieren können.

Wird es sich rächen, dass er offenbar annimmt, die im Wahlkampf hart bekämpften Konkurrenten würden einfach zustimmen? Grüne und FDP hatten tagelang darauf gewartet, dass Merz Kontakt aufnimmt. Mit den Grünen, Befürworter der Ukrainehilfe und einer starken Ausrüstungsoffensive bei der Bundeswehr, hatte Merz in den vergangenen Tagen nicht gesprochen. Der Parteivorsitzende der Grünen, Felix Banaszak, sagte dazu der F.A.Z.: „Uns Grünen liegt in der Sache bislang weder ein Gesprächsangebot noch ein Vorschlag vor. Wir brauchen dringend eine Reform der Schuldenbremse, um in unsere Verteidigungsfähigkeit und Infrastruktur zu investieren.“

Harte Kritik übte Banaszak am CDU-Kanzlerkandidaten und Dirigenten der Gespräche: „Friedrich Merz hat im Wahlkampf aus ideologischen Gründen die Chance verstreichen lassen, mit den stabilen Mehrheiten des alten Bundestages die Schuldenbremse zu reformieren. Es ist an ihm, jetzt endlich Verantwortung zu übernehmen und auf Augenhöhe mit den demokratischen Fraktionen zusammenzuarbeiten.“ Auch die zweite Grünen-Vorsitzende, Katharina Dröge, hielt Merz ein gewisses Maß an „Skrupellosigkeit und Unverfrorenheit“ vor, weil er nun machen wolle, was er vor der Bundestagswahl noch abgelehnt hatte. Zudem kritisiete Dröge am Dienstagabend in einem ARD-„Brennpunkt“, dass der Klimaschutz beim Infrastruktur-Sondervermögen nicht vorkomme. „Wir machen gar nichts auf Zuruf“, so Dröge in der Sendung.

FDP zeigt sich entsetzt

Mit dem Plan, den die Koalitionäre am Dienstagabend vorlegten, dürften sie eher auf die Zustimmung der Grünen zielen als auf die der FDP. Denn auch die stellte in den vergangenen Tagen Bedingungen. Erstens: Eine Reform der Schuldenbremse ist mit ihr nicht zu machen. Das sagen die Liberalen seit Langem, daran wollten sie auch nach der Bundestagswahl nicht rütteln. Zweitens: Sondervermögen sind denkbar, aber nicht, um damit dann die Haushaltsdisziplin schleifen zu lassen. Drittens: Viel Geld für die Bundeswehr nützt nichts, wenn nicht Reformen dazukommen. So erklärte es am Montag die Vizechefin der FDP, Bettina Stark-Watzinger, auf einer Pressekonferenz in der Berliner Parteizentrale.

Was mit den Liberalen zu machen sei, setzte der Fraktionsvorsitzende der FDP im Bundestag, Christian Dürr, seinem Amtskollegen aus der Unionsfraktion, Friedrich Merz, in einem Vieraugengespräch am Montag im Bundestag auseinander. Über den genauen Inhalt des Gesprächs wurde Stillschweigen vereinbart. Doch es war wohl etwas anderes als das, was Merz nun verkündete.

Die FDP-Fraktion zeigte sich am Abend entsetzt über die Pläne. Dürr schrieb nach dem Pressestatement auf der Plattform X, Deutschland müsse mehr für seine Verteidigung tun. „Aber Schulden für alles Mögliche ohne Sinn und Verstand sind verantwortungslos.“ Merz scheue echte Reformen schon, bevor er Kanzler sei. Der Abgeordnete Reinhard Houben schrieb: „Wortbruch hat einen Namen: Friedrich Merz“, der Parlamentarier Michael Kruse befand, bei Union und SPD brächen nun „alle haushalterischen Dämme“. FDP-Vize-Chef Wolfgang Kubicki schrieb, er könne dem Vorschlag so keine Zustimmung geben. Auch andere Abgeordnete der FDP schrieben schon am Dienstagabend, sie würden im Bundestag nicht zustimmen.

Merz’ Nimbus als Sparkanzler droht sich schon jetzt in Luft auflösen

Für Merz und die Union ist die neue internationale Lage rund um die und vor allem nach der Bundestagswahl Chance und Risiko zugleich. Seit die neue Führung in den USA von München und Washington aus unmissverständlich klargemacht hat, dass es ihr nicht um eine Modifizierung der amerikanischen Hilfe für die Ukraine im Krieg gegen Russland geht, sondern dass sie den für Deutschland lebenswichtigen Teil der Nachkriegsordnung opfern will, hat Merz einen guten, ja zwingenden Grund, weite Teile des Unionswahlkampfes zum Thema Schulden als überholt zu betrachten.

Zwar hatte er schon Ende vorigen Jahres durchblicken lassen, dass grundsätzlich Gespräche über Veränderungen an der Schuldenbremse denkbar seien. Vor allem CDU-Ministerpräsidenten dringen seit einer Weile darauf, die Bremse zu lockern, weil sie für die Länder noch striktere Regeln enthält als für den Bund. Aber vor allem hat Merz seinen Wahlkampf damit bestritten, sich gegen die auf dem linken Flügel des politischen Spektrums beliebte Forderung nach leichterem Schuldenmachen zu wenden. Noch zwei Wochen vor der Bundestagswahl wies er darauf hin, dass die Schuldenbremse jetzt schon die Aufnahme weiterer Schulden in Milliardenhöhe erlaube. Dann erinnerte er an die „Verpflichtung unseren Kindern gegenüber“, die die Schulden zurückzahlen müssten. „Grundsätzlich sollten wir irgendwann mal mit dem Geld auskommen, das wir an Steuern in Deutschland einnehmen.“ Das seien fast 1000 Milliarden Euro im Jahr, hatte Merz in einem Fernsehduell bei ARD und ZDF gesagt.

Das Geld war eine der schwächsten Stellen im Unionswahlkampf. Das Versprechen, man werde die (vor allem für die Verteidigung) erforderlichen Mittel erwirtschaften durch Einsparungen, etwa beim Bürgergeld und indem man die Wirtschaft wieder in Schwung bringe, muss Merz nun erst mal nicht erfüllen.

Das birgt jedoch ein Risiko. Der Nimbus, ein harter Sparkanzler zu werden, droht sich in Luft auflösen, noch bevor Merz gewählt ist. Der stellvertretende AfD-Vorsitzende Peter Boehringer sprach es am Dienstag besonders deutlich aus. „Wenn Friedrich Merz vor der Wahl von Sparen, Wachstum und Schuldenbremse spricht und dann sofort nach der Wahl gigantische Sonderschulden durch den abgewählten Bundestag tricksen will, muss man von Wahlbetrug sprechen.“ Aber grundsätzlich ist es der Vorwurf, den in ähnlicher Form der scheidende Regierungschef Olaf Scholz schon im Wahlkampf geäußert hatte.

Lange war auch noch am Dienstag nichts davon bekannt, was Friedrich Merz, Klingbeil und ihre Verhandlungsteams aushandelten. Die vereinbarte Geheimhaltung klappte auch am dritten Tag der Gespräche gut. Selbst zum Ort, an dem getagt wurde, gab es keine offiziellen Informationen. Nur so viel war zu erfahren: Man sprach im Jakob-Kaiser-Haus miteinander, jenem Bürogebäude, in dem auch Merz und Klingbeil ihre Schreibtische haben. Für einige der Fraktionsmitarbeiter ergab sich dadurch eine völlig neue Zusatzaufgabe. Sie mussten neugierige Journalisten darauf hinweisen, dass deren Zugangsberechtigung zu dem Gebäude nur gilt, wenn sie einen konkreten Termin und Gesprächspartner haben. Einfach nur rumschlendern und mal gucken, wie weit die Verhandlungen über Deutschlands Zukunft gediehen sind, ist nicht zulässig.