Bevölkerung im Kriegsfall kaum geschützt

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Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) sieht die deutsche Bevölkerung für einen Verteidigungs- oder Kriegsfall nicht hinreichend geschützt. Die von Bundeskanzler Olaf Scholz ausgerufene Zeitenwende „hat im Bevölkerungsschutz nicht stattgefunden“, sagt DRK-Generalsekretär Christian Reuter der F.A.Z. Er warnt: „Drei Jahre später sind wir noch immer blank, der Zivilschutz ist auf den Verteidigungsfall nicht vorbereitet.“ Es fehlten Unterbringungsmöglichkeiten für bis zu 1,7 Millionen Menschen, die im Notfall genutzt werden können. Es fehle zudem an genügend im Katastrophenschutz geschulten Menschen, Notfallkapazitäten in Krankenhäusern und sicherer Antibiotikaversorgung.

Der DRK-Generalsekretär fordert deshalb, dass kurzfristig 20 Milliarden Euro aus dem geplanten Sondervermögen für die Infrastruktur dem Bevölkerungsschutz zugute kommen. Das wären vier Prozent von den 500 Milliarden Euro, auf die sich Union und SPD geeinigt haben. In dem Ergebnispapier der Parteien heißt es unter Punkt 2 gleich an erster Stelle, dass der zehnjährige Fonds „insbesondere [den] Zivil- und Bevölkerungsschutz“ umfassen müsse. Zudem sollen Militärausgaben, die ein Prozent der Wirtschaftsleistung überschreiten, von der Schuldenbremse ausgenommen werden.

„Das müssen wir uns in diesen Zeiten leisten“

Die benötigten 20 Milliarden Euro seien angesichts des Investitionsstaus und der neuen Bedrohungslage „längst überfällig“, sagte DRK-Generalsekretär Christian Reuter der F.A.Z. „Wir und die anderen anerkannten Hilfsorganisationen brauchen dringend mehr Unterstützung, um den Schutz der Bevölkerung sicherzustellen.“ Zum Bevölkerungsschutz zählen der Katastrophen- und der Zivilschutz. Letzterer garantiert die Versorgung der Öffentlichkeit im Kriegsfall.

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Reuter kann sich auf die Konzeption ziviler Verteidigung des Bundesinnenministeriums berufen. Gemäß dem Weißbuch der Bundeswehr müssten eigentlich genügend Kapazitäten vorgehalten werden, um im Kriegsfall ein bis zwei Prozent der Bevölkerung unterzubringen und zu versorgen, das wären 840.000 bis 1,7 Millionen Personen. Tatsächlich sei das aber nur für wenige zehntausend Menschen gewährleistet, beklagte Reuter. Weil die finanzielle Unterstützung des Bundes fehle, errichte das DRK derzeit aus eigenen Mitteln in Luckenwalde südlich von Berlin eines der größten und modernsten Bevölkerungsschutzzentren Deutschlands. Dort werde unter anderem ein „Mobiles Betreuungsmodul“ untergebracht, das wie eine kleine Stadt völlig autark 5.000 Personen mit allem Nötigen versorgen könne, etwa mit Unterkunft, Strom, Wasser, Wärme. Statt aber, wie versprochen, zehn dieser Einheiten bereitzustellen, hat der Bund nur ein Modul vollständig finanziert. „Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein“, so Reuter.

Jedes Modul koste rund 30 Millionen Euro, der jährliche Aufwand betrage etwa drei Millionen Euro. „Das müssen wir uns in diesen Zeiten leisten“, verlangte der DRK-Generalsekretär. Die bisherigen regulären Haushaltsmittel aus dem Innenministerium für den Bevölkerungsschutz von 500 bis 600 Millionen Euro im Jahr bezeichnete er als „armselig“. Nötig seien fünfmal so viel, rund 2,5 Milliarden Euro. Investiert werden müsse auch in mehr geländegängige Einsatzwagen und in zivile, mobile Hospitäler. Es gebe beim DRK nur ein einziges mit 100 Betten, und das komme im Ausland zum Einsatz. Zum Bevölkerungsschutz gehört für Reuter auch die sichere Versorgung mit Medikamenten und Lebensmitteln. Heikel sei die Abhängigkeit von Asien bei Antibiotika.

Privathaushalte sollten haltbare Nahrung, Wasser, Hygieneartikel, batteriebetriebene Radios, Taschenlampen und andere Notfallgüter bereithalten. Für wichtig hält er es auch, die Bevölkerung besser zu schulen. So sei es nötig, mehr Laien zu Pflegeunterstützungskräften auszubilden, doch gebe es auch dafür bisher kein Geld vom Staat. Das DRK und andere Hilfsorganisationen wollen auch mehr Erste-Hilfe-Kurse mit Selbstschutzinhalten anbieten, um die sogenannte Resilienz mit einfach Mitteln zu stärken. Als wünschenswert gilt, dass ein Fünftel der Bevölkerung, rund 16 Millionen Personen, daran teilnehmen.

Reuter warnte, das Gesundheitswesen sei schon jetzt in einem schlechten Zustand. Immer mehr Krankenhäuser müssten schließen, es fehle Personal. „Was machen wir erst, wenn verwundete Soldaten dazukommen?“ Die Bedingungen für den Bevölkerungsschutz müssten umgehend verbessert werden, etwa durch die „Helfergleichstellung“. 90 Prozent der Einsatzkräfte arbeiteten ehrenamtlich. Anders als bei Feuerwehr und Technischem Hilfswerk hätten sie bei Übungen und Schulungen nicht überall ein Anrecht auf die Freistellung vom Arbeitgeber oder auf eine Ausgleichszahlung.

Reuter sprach sich gegen eine allgemeine militärische und zivile Dienstpflicht aus, regt aber eine „Regelinformation“ an: Wenn junge Menschen an Informationsveranstaltungen verstärkt teilnehmen würden, könnten jährlich bis zu 200.000 Freiwillige rekrutiert werden. Die Vergütung müsse aber auf das BAföG-Niveau steigen, um die Tätigkeit attraktiver zu machen. Das koste bis zu drei Milliarden Euro zusätzlich im Jahr, „ist aber allemal billiger als die Rückkehr zur Wehrpflicht“.

Reuters Aussage nach arbeiten das DRK und der Sanitätsdienst der Bundeswehr immer enger zusammen, um sich auf mögliche Kriegsszenarien vorzubereiten. Das Rote Kreuz sei für die Gesamtversorgung der Streitkräfte mit Blutkonserven zuständig, sowohl in Friedens- als auch in Verteidigungszeiten. „Wir halten ausreichend Blut auch für einen Konfliktfall vor“, versicherte er. Derzeit werde ein Pool an freiwilligen zivilen Ärzten und Pflegekräften zusammengestellt, die im militärischen Sanitätsdienst aushelfen könnten. Auch gebe es konkrete Pläne zum Rücktransport verwundeter Soldaten und für deren Behandlung in den Rot-Kreuz-Kliniken.