Im Schatten des Shootingstars Deepseek wird die KI-Entwicklung von drei Faktoren getrieben: staatliche Forschungsprogramme, Hochschulen und Investitionen grosser Tech-Firmen. Entsprechend riesig ist Chinas KI-Potenzial. Doch es bleibt ein grosses Problem.

Die chinesische KI-Revolution geht von Hangzhou aus.
Seit dem Launch des Chatbots von Deepseek überschlagen sich Chinas staatliche Medien und Politiker mit Lobeshymnen und Appellen an die heimische Tech-Industrie.
«Chinas umfassende Kompetenzen bei der künstlichen Intelligenz haben einen neuen Höhepunkt erreicht», meldete am Dienstag vergangener Woche stolz der staatliche Fernsehsender CCTV. In zahlreichen Regionen des Landes loteten Unternehmen derzeit die Einsatzmöglichkeiten von künstlicher Intelligenz (KI) in verschiedenen Industrien aus, heisst es in dem Bericht. «Dies wird zu einer Modernisierung unserer Wirtschaft führen.»
Ebenfalls am Dienstag vergangener Woche besuchte der Ministerpräsident Li Qiang die drei staatlichen Telekomkonzerne China Mobile, China Unicom und China Telecom – nicht ohne den Führungskräften der Unternehmen ein umfangreiches Aufgabenheft zu hinterlassen. KI entwickle sich derzeit mit grossem Tempo, rief der Regierungschef den Funktionären zu, da müssten auch die Telekomkonzerne «dringend» ihr Innovationstempo steigern.
Zu technologischen Höchstleistungen fähig
Seitdem der Deepseek-Gründer Liang Wenfeng vor knapp einem Monat die Welt – und wohl auch die eigene Regierung – mit seiner so kostengünstigen wie leistungsstarken KI-Anwendung R1 überrascht hat, ist ein Ruck durchs Land gegangen.
Chinas Machthaber, Wirtschaftsvertreter und auch die Normalbürger haben erkannt: China ist zu technologischen Höchstleistungen fähig. Und das, obwohl die amerikanische Regierung dem Land den Zugang zu modernsten Chips und Anlagen für die Chipindustrie versperrt.
Der Deepseek-Durchbruch ist möglicherweise erst der Anfang. Denn Chinas staatliche Forschungsprogramme, die enormen Anstrengungen der Hochschulen bei der Ausbildung von IT-Spezialisten – vor allem aber die Investitionen der Privatfirmen in die Entwicklung von KI – haben dafür gesorgt, dass im Schatten von Deepseek eine ganze Reihe weiterer Anbieter von KI-Chatbots bereitsteht, die Welt zu überraschen.
Hangzhou, Brutstätte der KI-Entwickler
Vor allem die Stadt Hangzhou, Hauptstadt der Provinz Zhejiang im Osten Chinas, mit ihren Spitzenhochschulen Zhejiang University und Zhejiang Sci-Tech-University hat sich in den vergangenen Jahren zu einer Brutstätte für KI-Entwickler gemausert.
Dort befindet sich auch der Stammsitz von Deepseek. Liangs Unternehmen zählt zu den «sechs kleinen Drachen» im KI-Bereich. Die anderen fünf wurden ebenfalls allesamt in der Tech-Metropole Hangzhou gegründet.
Unitree Robotics etwa ist Chinas führender Entwickler von humanoiden Robotern. Bei der Fernsehgala zum chinesischen Neujahrsfest Ende Januar führten die in bunte Westen gekleideten Unitree-Roboter KI-gestützt traditionelle chinesische Volkstänze auf.
Als der Staats- und Parteichef Xi Jinping kürzlich eine Reihe von Privatfirmen zu einem Symposium lud, um ihnen Unterstützung zuzusagen, sass der Unitree-Gründer Wang Xingxing in der ersten Reihe. Ein deutlicher Hinweis darauf, welche Bedeutung die Regierung dem Gründer und seinen technologischen Entwicklungen beimisst.
Das Unternehmen Manycore, ebenfalls einer der «sechs kleinen Drachen», hat eine KI-Anwendung für Designer entwickelt. Diese wandelt Zeichnungen oder Layouts, etwa für Werbeinserate, in realistische Bilder und dreidimensionale Design-Schemata um.
Tausende kleiner und grösserer Tech-Firmen
Dass gerade Hangzhou in den vergangenen Jahren zu einer der führenden KI-Hochburgen des Landes aufsteigen konnte, hat mehrere Gründe. So sind seit der Gründung des Tech-Riesen Alibaba in Hangzhou im Jahr 1999 in der näheren Umgebung Tausende kleiner und grösserer Technologiefirmen herangewachsen.
Dies hat zu einem stetigen Austausch von Ideen und Talenten geführt. Innerhalb von zweieinhalb Jahrzehnten ist in der Stadt ein von Innovationskraft und Unternehmergeist geprägtes Klima entstanden.
Universitäten gehören zu den wichtigsten Treibern von KI-Entwicklungen.
Die beiden Hochschulen Zhejiang University und Zhejiang Sci-Tech University sorgen zudem für einen stetigen Nachschub an IT-Spezialisten. Drei der «sechs kleinen Drachen» wurden von Absolventen der Zhejiang University gegründet.
Vorbild Stanford University
Vor wenigen Wochen legte die Regierung der Provinz Zhejiang einen Plan für den weiteren Ausbau der Zhejiang University vor. Demnach soll aus der Hochschule bis 2027 eine «Weltklasse-Universität» werden. Das Vorbild: die Stanford University.
Auch die lokalen Behörden legen sich kräftig ins Zeug, um vielversprechende Gründer zu unterstützen. So fördert die Provinzregierung Zhejiang Startups mit zinsgünstigen Krediten, direkten Zuschüssen und kostenlosem Büroraum. Die Gründer von Manycore, dem Entwickler der KI-Anwendung für Design, bekamen zum Beispiel einen öffentlichen Zuschuss in Höhe von umgerechnet 180 000 Franken.
Doch nicht nur in Hangzhou, auch in anderen Teilen des Landes sind in den vergangenen Jahren beträchtliche Kapazitäten für die Entwicklung von Anwendungen im KI-Bereich entstanden. So haben neben der Zhejiang University die beiden renommierten Pekinger Hochschulen Tsinghua University und Peking University sowie die Shanghai Jiaotong University in jüngster Zeit Hunderte KI-Gründer hervorgebracht. Allmählich beginnen sich die Milliardensummen auszuzahlen, die Peking in die Entwicklung von KI gepumpt hat.
Bereits 2018 rief die Stadt Peking eine Plattform zur Entwicklung von KI und zur Ausbildung entsprechender Talente ins Leben. Dazu brachte sie die besten Hochschulen und führende Unternehmen des Landes zusammen. Unter dem Namen Beijing Academy of AI (BAAI) arbeiten die Tsinghua University, die Peking University, die Chinese Academy of Sciences sowie die Tech-Firmen Baidu und Bytedance an neuen KI-Anwendungen.
Stipendien für Nachwuchskräfte
Zur Ausbildung von Nachwuchskräften vergibt die BAAI Stipendien. Zudem hat die staatliche Akademie bereits zwei KI-Anwendungen auf den Markt gebracht. Im Juni 2023 stellte sie ihr Open-Source-LLM Wudao 3.0 vor. In Kooperation mit mehreren Universitäten und Forschungsinstituten entstand kurz darauf das Open-Source-System Flag Open.
Neben den «sechs kleinen Drachen» und den öffentlichen Forschungsstätten wie Hochschulen und der BAAI arbeiten als dritte Säule die grossen Tech-Konzerne Chinas an KI-Modellen.
Der einst als Netzwerkausrüster für die Telekom-Industrie gestartete Konzern Huawei hat bereits mehrere auf verschiedene Industrien zugeschnittene KI-Anwendungen auf den Markt gebracht. Im Juli 2023 lancierte Huawei sein Modell Pangu 3.0.
Im Schanghaier Viertel West Bund siedeln immer mehr Firmen mit KI-Ambitionen an.
Die Anwendung soll Behörden, Finanzinstituten, Bergbauunternehmen und Firmen der verarbeitenden Industrie bei der Steuerung ihrer Aktivitäten helfen. Huawei hat das Modell mit öffentlich zugänglichen Daten der einzelnen Branchen trainiert.
Huaweis KI kommt in 30 Industrien zum Einsatz
Im vergangenen Jahr stellte Huawei die Nachfolgeversion Pangu 5.0 vor. Das Modell ist etwa in der Lage, im Bergbau Abweichungen vom Normalbetrieb in Echtzeit zu erkennen. Inzwischen kommt Huaweis KI-Modell in mehr als dreissig verschiedenen Industrien zur Anwendung.
Einen Coup konnte der Tech-Riese Alibaba Ende Januar mit seinem KI-Modell Qwen landen. Da nämlich wurde bekannt, dass Apple in China künftig zusammen mit Alibaba KI-Anwendungen für seine Handys entwickeln will. Der Grund dafür, hiess es bei Apple, seien die überzeugenden Leistungen des Qwen-Modells.
Die Entwicklungen der Konkurrenz setzen Deepseek unter Druck. Die neueste Version Qwen 2.5 zum Beispiel soll dem Modell V3 von Deepseek einiges voraushaben. Gemäss Medienberichten will Deepseek nun den R1-Nachfolger R2 so schnell wie möglich lancieren. Ursprünglich war der Launch erst für Mai geplant.
Es fehlen Chips der neuesten Generation
Trotz den gewaltigen Fortschritten, die Chinas KI-Entwickler gemacht haben, hinken sie der Konkurrenz im Westen noch hinterher. Der Grund dafür sind die Sanktionen der USA. Diese verbauen den chinesischen Entwicklern den Zugang zu modernsten KI-Chips des amerikanischen Branchenführers Nvidia. «Unser Problem ist nicht das Geld, sondern der fehlende Zugang zu den neuesten Chips», sagte der Deepseek-Gründer Liang Wenfeng im vergangenen Juli in einem Interview mit chinesischen Medien.
Zwar haben die chinesischen Hersteller in den vergangenen Jahren grosse Fortschritte bei der Chipentwicklung gemacht. So berichtete die Zeitung «Financial Times» kürzlich, Huawei sei bei der Chipentwicklung ein grosser Sprung gelungen. Doch haben die Hersteller aus China noch immer einen Rückstand von zwei bis drei Jahren gegenüber den Wettbewerbern aus den USA, wie Experten erklären.
Die Herstellung von Computerchips bleibt eine von Chinas Schwachstellen.
Auch deshalb sind Chinas KI-Anwendungen gut, aber noch nicht so gut wie die entsprechenden Modelle aus den USA wie etwa Open AI. Wegen der geringeren Anzahl an Nvidia-Chips, auf die Deepseek zugreifen kann, muss die Computerleistung auf einige grundlegend wichtige, sogenannte «Experten-Aufgaben» konzentriert werden. Weniger kritische Aufgaben würden dabei weniger trainiert, schreibt Tilly Zhang, IT-Expertin bei Gavekal Dragonomics, in einer Analyse.
Mangel an Daten zum Trainieren
Allerdings werde der Stellenwert von Hochleistungschips für KI-Anwendungen in Zukunft sinken, so Zhang. Der Grund dafür ist ein Mangel an neuen Daten zum Trainieren der Modelle. «Wir haben bei den Daten einen Gipfel erreicht, und es wird keine neuen mehr geben», sagte kürzlich der Open-AI-Mitgründer Ilya Sutskever.
Somit müssen die KI-Anwendungen so programmiert werden, dass sie mit dem vorhandenen Wissen bessere Antworten generieren können. Zhang sagt: «Beim Rennen um die KI-Führerschaft geht es nicht mehr nur darum, wer die besten Chips hat, sondern auch darum, wer sie am besten einsetzt.» Und an dem Punkt sind die chinesischen Entwickler extrem gut, wie Deepseek vorgeführt hat.