Worauf sich Union und SPD geeinigt haben

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Saskia Esken und Markus Söder ziehen an einem Strang. Die zum linken Partei-Flügel gehörende SPD-Vorsitzende und der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef hatten zu Zeiten, als die Ampel unter Eskens Parteifreund Olaf Scholz regierte, schon mal für eine Steuersenkung in der Gastronomie gekämpft. Der damalige Finanzminister Christian Linder von der FDP habe das verhindert, klagt Esken am Samstagnachmittag, als sie mit Söder im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus nahe dem Reichstagsgebäude steht. Nun steht im Sondierungspapier, auf das Union und SPD ihre Koalitionsverhandlungen gründen wollen: „Um Gastronomie und Verbraucher zu entlasten, werden wir die Umsatzssteuer auf Speisen dauerhaft auf sieben Prozent reduzieren.“ Auch Söder freut sich über diese Einigung. Wohnt allem Anfang eine Steuersenkung inne?

Dass Union und SPD eine gemeinsame Regierung anstreben, ist seit der Bundestagswahl am 23. Februar klar. Nach nur 13 Tagen ist nun auch der zweite wichtige Schritt in diese Richtung gegangen. Hatten die Sondierungsteams von CDU/CSU und SPD am Dienstag schon ihre Einigung auf Milliardenschulden verkündet, so stehen am Samstag wieder der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz, Söder und die beiden Vorsitzenden der SPD, Lars Klingbeil und Esken, vor der Presse.

Die Sondierungsgespräche sind beendet. Nun werden die Vorsitzenden ihren Parteien empfehlen, auch Koalitionsverhandlungen aufzunehmen. 13 Tage für eine Eingung auf ein hunderte Milliarden Euro schweres Schuldenpaket und ein elf Seiten umfassendes Sondierungspapier ist keine schlechte Bilanz. Als Angela Merkel 2005 ihre erste Koalition mit den Sozialdemokraten anbahnte, brauchte sie auch ohne Schuldenpaket drei Wochen, bis die Sondierungen beendet waren.

„Passt scho“

Die vier Parteivorsitzenden tun am Samstag nicht so, als triebe sie die Begeisterung füreinander zusammen. Das wäre nicht glaubwürdig und man muss den eigenen Parteien und Wählern deutlich machen, dass man sich nicht leicht und schon gar nicht leichtfertig auf Kompromisse mit der im Wahlkampf gerade noch bekämpften Konkurrenz einlässt. Doch fällt auf, dass in allen drei schwarz-roten Koalitionen seit 2005 die Sozialdemokraten deutlich mehr Widerstand an den Tag gelegt haben, als es jetzt der Fall ist. Von „kosntruktiven Sondierungsgesprächen“ berichtet Klingbeil. Wenn man es kurz nach der Bundestagswahl trotz unterschiedlicher Ansichten und auch unterschiedlicher Charaktere geschafft habe, „gemeinsam Brücken zu bauen“, könne das auch „anderswo in diesem Land gelingen“, zeigt sich der SPD-Vorsitzende überzeugt. Das Sondierungspapier sei ein erster Schritt.

Merz hatte zu Beginn der Pressekonferenz nüchtern die Einigung präsentiert und sich zufrieden gezeigt. Söder hatte, wie so oft, die prägnantesten Formulierungen zur Hand. Es sei nicht einfach gewesen. „Heute war kein Kampf-, sondern ein Einigungstag“, sagt der CSU-Vorsitzende. „Es gibt keine Gewinner, keine Verlierer, aber neue Partner.“ Ob man zufrieden sei, richtet Söder eine Frage an sich selbst. Seine Antwort: „Aus bayerischer Sicht würde man sagen: Passt scho.“

Als entscheidender und auch schwierigster Punkt der Verhandlungen zwischen Union und SPD galt die Migration. Merz hatte sich vor der Wahl mit seinem Fünf-Punkte-Plan auf einen deutlich härteren Kurs festgelegt. Alle fünf Punkte tauchen im Sondierungspapier, wenn auch abgeschwächt, auf – obwohl die SPD einige davon vor der Wahl noch heftig kritisiert hatte. Auch die Inhalte des Zustrombegrenzungsgesetzes, das die Union trotz der Stimmen der AfD nicht mehr im Bundestag verabschiedet bekam, finden sich nun im Sondierungspapier.

Knackpunkt waren die Zurückweisungen auch von den Personen, die ein Asylgesuch an den deutschen Grenzen äußern. Die soll es nun geben, „in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn“. Die SPD stand bislang auf dem Standpunkt, dass das gegen Europarecht verstoßen würde. Offenbar will man das umgehen, indem man zunächst Gespräche mit den Nachbarstaaten führt. Zurückweisungen vom ersten Tag an, wie Merz mal sagte, wird es also wohl eher nicht geben. Aber künftig soll das Wort „Asyl“ nicht mehr die Zugangsberechtigung für Deutschland sein. Die Grenzkontrollen sollen zu diesem Zweck „massiv ausgebaut“ werden.

Die Zahl der Abschiebungen soll steigen

Überhaupt soll die Migration nicht mehr nur „gesteuert“ werden, wie es im Aufenthaltsgesetz derzeit noch heißt, sondern auch wieder „begrenzt“. Dazu sollen auch alle freiwilligen Aufnahmeprogramme, die es in Deutschland bislang gab, beendet und keine neuen aufgelegt werden. Das betrifft vor allem Afghanen.

Außerdem wird der Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte laut Papier befristet ausgesetzt. Das gab es schonmal während einer großen Koalition, von 2016 bis 2018. Derzeit kommen gedeckelt 1000 Personen pro Monat über den Familiennachzug nach Deutschland.

Union und SPD wollen auch verstärkt gegen die Personen vorgehen, die sich schon in Deutschland aufhalten, aber das Land verlassen müssen. Die Zahl der Abschiebungen soll steigen, auch nach Syrien und Afghanistan. Außerdem soll die Bundespolizei mehr Kompetenzen bekommen: Künftig kann sie vorübergehende Haft oder Ausreisegewahrsam für ausreisepflichte Ausländer beantragen. Ausreisepflichtige Gefährder und Täter schwerer Straftaten sollen nach Verbüßung ihrer Strafe in Ausreisearrest genommen werden können. Die Abschiebehaftplätze sollen dafür ausgebaut werden. Das fordert der Bund schon lange, die zuständigen Länder sind dem bislang nicht nachgekommen.

Ursprünglich hatte Merz verlangt, alle Ausreisepflichten in Haft zu nehmen. Er war aber schon vor der Einigung mit der SPD von der Forderung abgekommen.

Der Doppelpass bleibt

Abschiebungen funktionieren nur, wenn die Herkunftsländer kooperieren. Dazu will die künftige Regierung weitere Migrationsabkommen abschließen – auch, um so legale Zuwanderung zu ermöglichen. Überhaupt soll die Fachkräfteeinwanderung erleichtert und die Integration verbessert werden. Die Bezahlkarte soll deutschlandweit eingeführt werden. Solche Migrationsabkommen gibt es bereits, sie sind bislang nicht allzu effektiv.

Union und SPD wollen „mit allen Politikfeldern“ für mehr Kooperationsbereitschaft sorgen, etwa Entwicklungshilfe und Handelsbeziehungen. Die Liste der sicheren Herkunftsstaaten soll ausgeweitet werden; da waren bislang vor allem die Grünen dagegen.

An einer zentralen Stelle hat sich die SPD aber durchgesetzt: Der Doppelpass bleibt. Das Staatsangehörigkeitsrecht der Ampel-Koalition wird nicht abgewickelt. Allerdings werde verfassungsrechtlich geprüft, ob Terrorunterstützern und anderen Extremisten die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen werden kann, wenn diese Personen noch einen anderen Pass haben.

„Gelungene Integration muss rauf, irreguläre Migration muss runter“, fasste SPD-Chef Lars Klingbeil am Samstagnachmittag die Einigung zusammen.

Hartz IV kommt teilweise zurück

Ein Knaller steckt in den Vereinbarungen von Union und SPD zum Thema Arbeit: Das Bürgergeld wird in seiner bisherigen Form abgeschafft. Und Hartz IV kommt teilweise zurück. Denn die Sondiererteams führen den Vermittlungsvorrang wieder ein. Heißt, Arbeitslose müssen den Job, den die Arbeitsagentur anbietet, erst einmal annehmen. Unter dem Bürgergeld galt das Prinzip der langfristigen Integration in den Arbeitsmarkt.

Offenbar soll auch der Begriff Bürgergeld verschwinden, gesprochen wird nun von einer „neuen Grundsicherung“. Mitwirkungspflichten und Sanktionen im Sinne des Prinzips Fördern und Fordern sollen verschärft werden. „Bei Menschen, die arbeiten können und wiederholt zumutbare Arbeit verweigern, wird ein vollständiger Leistungsentzug vorgenommen“, heißt es im Einigungspapier. Für die Verschärfung von Sanktionen werde die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beachtet.

Das dürfte für die SPD noch schwerer zu schlucken sein als die Einigung bei der Migration. Hartz IV empfinden viele in der Partei noch immer als Trauma, die Einführung des Bürgergeldes als dessen Überwindung. Denkbar, dass es an dieser Stelle zu parteiinternem Widerstand kommt, den allen voran Lars Klingbeil und Saskia Esken beseitigen müssen. Denn am Ende entscheiden die SPD-Mitglieder über den Koalitionsvertrag. Allerdings berichteten auch viele Sozialdemokraten aus dem Wahlkampf, dass das Bürgergeld ihnen wie ein Klotz am Bein gehangen habe. Die SPD werde nicht mehr als Partei der Arbeit wahrgenommen.

Beim Mindestlohn konnte die SPD ihre Spuren hinterlassen. Ein Stundenlohn von 15 Euro, ein Wahlversprechen der Sozialdemokraten, wird im Papier mit der Union als „erreichbar“ im Jahr 2026 bezeichnet. Die Tarifbindung soll durch ein Bundestariftreuegesetz gestärkt werden. Auch das ein Wunsch der SPD.

Entlastung bei den Energiekosten

Das Arbeitsleben soll flexibler gestaltet werden. Etwa durch eine wöchentliche statt tägliche Höchstarbeitszeit. Sicherheit soll es auch nach dem Arbeitsleben geben: Das Rentenniveau soll über das Jahr 2025 gesichert werden, nach 45 Beitragsjahren sollen Arbeitnehmer weiterhin in Rente gehen können. Für diejenigen, die freiwillig länger arbeiten wollen, soll es sich finanziell lohnen.

Das Sondierungspapier führt als drittes großes Thema die Förderung der Wirtschaft an, um „den Standort Deutschland wettbewerbsfähig“ zu machen – „mit Vertrauen, Entschlossenheit und Planungssicherheit“. Zu dieser Wettbewerbsfähigkeit gehört nach Ansicht von Schwarz-Rot eine Entlastung von mindestens fünf Cent pro Kilowattstunde bei den Energiekosten, die Stromsteuer soll auf das europäische Mindestmaß sinken und die Übertragungsnetzgelte halbiert werden. „Ziel ist eine dauerhafte Deckelung der Netzentgelte“. Auch das Angebot an Energie soll gesteigert werden, neben der Ausnutzung der Potentiale der Erneuerbaren Energien soll bis 2030 eine neue Gaskraftwerkleistung von bis zu 20 Gigawatt gebaut werden. Ein Bekenntnis zu den Klimazielen steht auch im Papier.

Für die Mittelschicht werden Entlastungen durch eine Einkommensteuerreform in Aussicht gestellt, ohne dass dazu Details festgeschrieben sind. Das gilt ebenso für die Pendlerpauschale, die erhöht werden soll – zum Deutschlandticket steht im Papier nur, dass man über die Fortsetzung beraten werde. Und auch die Klassiker sind vermerkt: Digitalisierung voranbringen und Bürokratie abbauen. Wie der Haushalt allerdings bei all den Vorhaben konsolidiert werden soll, lässt sich aus dem Papier nicht herauslesen. Man werde „im Rahmen der Haushaltsberatungen auch Einsparungen vornehmen“ steht da. Als Merz danach gefragt wird, sagt er, da müsse man in den Koalitionsgesprächen noch intensiv miteinander verhandeln. „Aber dafür brauchen wir dann das Bundesfinanzministerium, um auch einzelne Vorschläge zu rechnen.“

Dafür stehen im Sondierungspapier noch ein paar andere Projekte, die Geld kosten werden – für die CSU ist auch die Ausweitung der Mütterrente dabei. Und für CDU und CSU noch ein Punkt, der sich zumindest erstmal nicht auf den Haushalt auswirkt: „Wir prüfen eine erneute Reform des Wahlrechts.“

Werden die Grünen zustimmen?

Die größten Schulden-Projekte will Schwarz-Rot ohnehin schon in den nächsten Tagen durch den alten Bundestag bringen, bevor die Koalition überhaupt beschlossen ist. In dem Sondierungspapier finden sich die drei Vorhaben noch einmal etwas detaillierter wieder, für die das Grundgesetz geändert werden soll: Da ist das 500 Milliarden Euro Sondervermögen für die Infrastruktur, die Anpassung der Schuldenbremse, damit auch den Ländern eine jährliche Neuverschuldung in Höhe von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ermöglicht wird. Und bei der Ausnahme der Verteidigungskosten oberhalb von einem Prozent des BIP von der Schuldenbremse wird explizit auf den Einzelplan 14 verwiesen, also den Haushalt des Verteidigungsministeriums.

Diese Punkte werden vor allem die Grünen ganz genau prüfen, schließlich brauchen Union und SPD deren Stimmen für eine Zweidrittelmehrheit. Zuletzt hatten die beiden Fraktionsvorsitzenden Katharina Dröge und Britta Haßelmann am Freitag mit den Spitzen der Unions- und SPD-Fraktion gesprochen. Öffentlich zeigt man sich noch sehr distanziert und verweist darauf, dass eine Zustimmung noch lange nicht ausgemacht ist.

Als Merz am Samstag nach den Grünen gefragt wird, zeigt er sich aber zuversichtlich. Er habe Haßelmann unmittelbar nach Ende der Sondierungsgespräche informiert, eine Nachricht hinterlassen und ihr gesagt, „dass wir bereit sind, etwa bei dem Verteidigungshaushalt auch weitere Maßnahmen mit einzubeziehen in den Einzelplan 14“. Das ist den Grünen wichtig, die Sicherheit sehr weit fassen – und schon beim 100 Milliarden Sondervermögen versucht hatten, in diesem Sinne auch anderen Ministerien Geld zukommen zu lassen.

Merz sagt zudem, dass man bei dem Infrastruktur-Paket bereit sei, auch Klimaprojekte zu berücksichtigen. Man werde in der nächsten Woche intensive Gespräche mit den Grünen führen. Am Donnerstag steht die erste Lesung für die Projekte an. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Agnieszka Brugger, schrieb auf X kurz nach der Pressekonferenz, dass sie das Sondierungspapier gelesen habe – und: „Ich hab nicht viel erwartet, aber ok, es geht noch schlechter.“