EU-Kommission schlägt „ existentielle“ Abschiebungsreform vor

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Im Jahr 2023 bekamen 484.000 irreguläre Migranten in der Europäischen Union einen Rückkehrbescheid ausgestellt – sie mussten in ihr Heimatland zurückkehren. Doch tatsächlich kamen dem nur 91.000 Personen nach, weniger als 20 Prozent. Diese Zahl ist seit Jahren weitgehend konstant, trotz aller Anstrengungen, die Zusammenarbeit mit Drittstaaten zu verbessern.

Vor diesem Hintergrund hat die EU-Kommission am Dienstag eine neue Rückkehr-Verordnung vorgelegt, mit der die Regeln deutlich verschärft werden. Der verantwortliche Innenkommissar Magnus Brunner beschrieb die Herausforderung im Gespräch mit europäischen Medien, darunter der F.A.Z., so: „Wenn wir als Parteien der demokratischen Mitte es nicht schaffen, das Problem anzugehen, werden wir das Vertrauen der Bürger vollständig verlieren.“ Das sei, fügte Brunner hinzu, der aus der Österreichischen Volkspartei kommt, „regelrecht existentiell“.

Es war deshalb kein Zufall, dass die Kommission ihren Vorschlag just am 100. Tag ihres neuen Mandats präsentierte – die Präsidentin Ursula von der Leyen hatte die Reform zur Priorität erklärt. Sie stand dabei unter dem Druck einer wachsenden Zahl von Staaten, die im geltenden Rückführungsrecht den Hauptgrund dafür sehen, dass das Asylrecht in Verruf geraten ist. Diese Regeln stammen von 2008, als es lediglich 225.000 Asylanträge in der EU gab. Inzwischen sind es eine Million. Rückkehrpflichtige müssen nicht mit den Behörden kooperieren, um ihre Identität und Nationalität festzustellen. Sie können sich ihrer Abschiebung dadurch entziehen, dass sie in ein anderes Land gehen – wo dann meistens ein neues Rückkehrverfahren beginnt. Außerdem ist vieles in der Richtlinie so schwammig gefasst, dass Gerichte sie ganz unterschiedlich auslegen. Das betrifft etwa die Frage, ob die Behörden Mobiltelefone und Computer durchsuchen dürfen, um Angaben zu überprüfen. In Deutschland ist das in der Regel nicht erlaubt.

Mitgliedstaaten dürften Zuwendungen streichen

All das soll sich mit dem Gesetzesvorschlag der Kommission ändern. Darin verankert ist eine Mitwirkungspflicht. Drittstaatsangehörige müssen zunächst einmal auf dem Territorium des Mitgliedsstaats bleiben, der für die Rückführung zuständig ist. Ihr Aufenthalt darf auf einen bestimmten Raum eingeschränkt werden. Die Betroffenen müssen Dokumente zu ihrer Identität vorlegen, Angaben über ihren Reiseweg machen und biometrische Daten erfassen lassen. Wichtig ist diese Passage: „Ein Drittstaatsangehöriger kann durchsucht werden, wenn dies für das Rückführungs- oder Rückübernahmeverfahren notwendig und hinreichend begründet ist.“ Damit könnte sich auch die Rechtsprechung deutscher Verwaltungsgerichte ändern.

Die Kommission will erreichen, dass die Mitgliedstaaten Rückkehrentscheidungen untereinander anerkennen, um mehrfache Verfahren zu unterbinden. Dafür sollen sie ein einheitliches Formular nutzen, die „Europäische Rückkehranordnung“, und diese dann in das Schengener Informationssystem einspeisen. Zunächst wird das freiwillig geschehen – auch um zu testen, ob es Schwierigkeiten mit Staaten wie Ungarn gibt, die rechtsstaatlich fragwürdig sind. Bis Juli 2027 soll die EU-Kommission dann entscheiden, ob die wechselseitige Anerkennung verpflichtend wird.

Wer seinen Mitwirkungspflichten nicht genügt, sieht Sanktionen ins Auge. Die Mitgliedstaaten dürfen Zuwendungen streichen, die über das Lebensnotwendige hinausgehen, also das, was in Deutschland „Bett, Brot, Seife“ genannt wird. Auch Anreize für die freiwillige Rückkehr, etwa eine finanzielle Pauschale, können verwehrt werden. Die Behörden dürfen Pässe einziehen, finanzielle Strafen verhängen und die Wiedereinreisesperre verlängern. Sie beträgt künftig bei einer Zwangsabschiebung bis zu zehn Jahre (jetzt sind es fünf) und kann um weitere fünf Jahre ausgedehnt werden. Für Straftäter und Gefährder sind bis zu zwanzig Jahre vorgesehen.

Haftgründe sollen ausgeweitet werden

Auch die Haftgründe werden ausgeweitet. Bisher dürfen Personen inhaftiert werden, wenn Fluchtgefahr besteht oder sie das Abschiebeverfahren umgehen. Künftig wird schon ein Verstoß gegen Aufenthaltsbeschränkungen oder eine Reise in ein anderes Land als „Fluchtgefahr“ gewertet. Im Einzelfall können die Behörden dies auch feststellen, wenn Betroffenen gegen andere Bestimmungen ihrer Mitwirkungspflicht verstoßen, also etwa falsche Angaben machen oder Meldeauflagen nicht einhalten. Die zulässige Haftdauer wird verlängert. Bisher sind es sechs Monate, künftig zwölf Monate. Dies darf, wie jetzt auch, im Einzelfall um weitere zwölf Monate ausgedehnt werden.

Möglich wird zudem ein Kurzzeit-Arrest: wenn „die Ausreise unmittelbar bevorsteht“ und „schwerwiegende Gründe“ für die Annahme bestehen, dass sich eine Person ihrer Abschiebung entziehen wird. Dafür hatte sich insbesondere Deutschland eingesetzt, denn in der Praxis ist das oft das größte Hindernis. Die Behörden müssen eine Person zuerst zur freiwilligen Ausreise auffordern, nach Ablauf der Frist von bis zu dreißig Tagen erfolgt dann die Zwangsvollstreckung. Weil das leicht ausrechenbar ist, tauchen die Betroffenen vorher ab.

Wie von vielen Mitgliedstaaten gewünscht, dürfen erwachsene Rückkehrpflichtige – nicht aber Familien mit Kindern – künftig nicht nur in ihr Herkunfts- oder ein Transitland gebracht werden, sondern auch in ein Drittland, mit dem ein entsprechendes Abkommen besteht. Solche Abkommen müssen das Überstellungsverfahren, die Aufenthaltsbedingungen und die Modalitäten für die Rückführung in andere Länder spezifizieren und einen Überwachungsmechanismus vorsehen. Zu dem Drittstaat muss eine Person keinen Bezug aufweisen, allerdings muss dieser internationales Recht einhalten, insbesondere den Grundsatz der Nichtzurückweisung. Damit schafft die Kommission die rechtlichen Voraussetzungen für Rückkehrzentren („Return Hubs“) in Drittstaaten.

Jetzt beginnt das Ringen im Parlament

Aber nur, wenn ihr Vorschlag das Gesetzgebungsverfahren übersteht. Denn nun sind der Ministerrat, also die Mitgliedstaaten, und das Europäische Parlament am Zug. Brunner stellte den Gesetzentwurf am Dienstag in Straßburg vor und erläuterte ihn danach sogleich in einer Plenardebatte den Abgeordneten. Der Kommissar rief sie zu einer zügigen Gesetzgebung auf. Idealerweise sollte die Verordnung bis Juli nächsten Jahres unter Dach und Fach sein, dann könnte sie zusammen mit der großen Asylreform in Kraft treten, die im vorigen Jahr beschlossen wurde.

Doch beginnt jetzt ein Ringen vor allem im Parlament. Die Sozialdemokraten dort lehnen Rückkehrzentren strikt ab – dafür gibt es aber eine Mehrheit mit den Parteien von Rechts und Rechtsaußen. Die Frage ist, wie weit sich Europäische Volkspartei in diese Richtung bewegt. Die innenpolitische Sprecherin der Fraktion Lena Düpont (CDU) kündigte schon einmal an, man werde „Nachschärfungen vorschlagen, wo notwendig“.