Jens Spahn lobt „kluge Vorschläge“ der Grünen und ermahnt Schwarz-Rot

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Herr Abgeordneter, am Donnerstag wollen Union und SPD mit Koalitionsverhandlungen beginnen. Ist das nicht ein bisschen optimistisch, solange Sie den Grünen keine Zustimmung zu den Milliardenpaketen für Bundeswehr und In­frastruktur abringen konnten?

Seit der Bundestagswahl sind erst zweieinhalb Wochen vergangen, doch es fühlt sich eher wie zwei Monate an. Dass wir jetzt schon mit Koalitionsverhandlungen beginnen können, dass wir binnen zwei Wochen ein Sondierungspapier vorgelegt haben, das ist ein wichtiges Signal nach innen wie nach außen. Viele Deutsche schöpfen wieder Hoffnung, dass die demokratische Mitte liefern kann. Es bleibt bei dem Ziel, rund um Ostern den Kanzler zu wählen. Daher ist es sinnvoll, die Abstimmung über die Grundgesetzänderung, die man historisch nennen kann, und die Koalitionsverhandlungen parallel laufen zu lassen.

Werden die Grünen dem Schuldengesetz zustimmen?

Wir werben dafür, dass das eine Mehrheit findet. Wer dem Aggressor Putin entge­gentreten will, wer der Ukraine helfen will, auch wer der Deutschen Bahn beim Ausbau ihrer Schienennetze helfen will, der kann nur für diese Änderung sein. Wir werden Kompromisse machen müssen. Aber auch die Grünen müssen sich fragen, ob sie mit AfD und Linkspartei gemeinsam das Signal der Entschlossenheit verhindern wollen, das Deutschland und Europa in Zeiten des Krieges so dringend brauchen. Der größte Gewinner wäre Putin.

Die Grünen werfen Union und SPD vor, mit vielen neuen Schulden im Kernhaushalt nur Platz für Wahlgeschenke wie Mütterrente oder Pendlerpauschale zu schaffen. Haben Sie nicht auch Verständnis für die Gegenwehr der Grünen?

Die Grünen haben schon vor der Ampel Wladimir Putin als skrupellosen Diktator erkannt. Da lagen sie richtig. Gerade Robert Habeck hat dafür gekämpft, dass die Bundeswehr besser ausgerüstet wird. Da lag er früh richtig, das muss man aner­kennen. Und die Grünen haben recht: Haushaltskonsolidierung, Staatsmodernisierung und mehr Potentialwachstum sind die andere Seite der Schuldenmedaille.

Jens Spahn bei den Sondierungsgesprächen von Union und SPD am 6. März in Berlin
Jens Spahn bei den Sondierungsgesprächen von Union und SPD am 6. März in BerlinAFP

Die Union hat im Wahlkampf versprochen zu sparen, danach sieht es nicht aus.

Wir werden auch Einsparungen vornehmen. Der Satz steht im Sondierungspa­pier. Das klingt simpel. Aber es beschreibt auch noch nicht die Dimension der Aufgabe, die hier vor uns liegt.

Stimmt, das ist ein sehr schmaler Satz.

Manchmal sind die kurzen Sätze die wichtigsten. In diesem Fall ist dieser Satz einer der wichtigsten im ganzen Papier. An seiner Verwirklichung müssen wir in den Koa­litionsverhandlungen jetzt arbeiten. Weder die Ausnahme für die Schuldenbremse bei der Verteidigung noch die Regelung für das Sondervermögen für In­frastruktur befreien uns von diesem Kon­so­lidierungsbedarf. Die Schuldenbremse bleibt bestehen, genauso der europäische Fiskalpakt. Das unterschätzen viele. Wenn Sie so wollen: Deutschland ist die ökonomische und fiskalische Schutzmacht für die Eurozone. Wenn Deutschland nicht mehr fiskalpolitisch ordentlich dasteht, dann hat nicht nur Deutschland ein Problem, sondern die ganze Eurozone.

Im Wahlkampf hat die Union immer von Finanzierung durch Wachstum und Sparen gesprochen, von den Schuldenprojekten nicht. War das ein bisschen unehrlich?

Wir wollen und werden keine Schulden für den Konsum machen. Aber dass wir mehr für die Verteidigung machen müssen, steht doch außer Frage. Was nützt die schönste Schuldenbremse, wenn der Russe vor der Tür steht? Wir Europäer haben doch zugespitzt gesagt nur zwei Möglichkeiten: Wir können uns verteidigen lernen oder alle Russisch lernen.

Der Vorschlag der Grünen, die Vertei­digungsausgaben erst ab 1,5 Prozent der Wirtschaftsleistung von der Schuldenbremse auszunehmen, sorgt doch aber für mehr Haushaltsdisziplin und sollte in Ihrem Sinne sein?

Ich finde, die Grünen machen kluge Vorschläge, über die man jetzt reden muss.

Obwohl Sie nicht im ursprünglichen Son­dierungsteam waren, wurden Sie immer wieder dazugeholt auf Unionsseite. Haben Sie den Eindruck, dass die Sozialdemokraten den für Sie so wichtigen Satz zum Sparen verstanden haben?

Ob diesen Satz in allen drei Parteien schon alle in seiner ganzen Dimension verstanden haben, das wird sich jetzt in den Arbeitsgruppen bei den Koalitionsverhandlungen zeigen. Wir werden jedenfalls dort nicht noch lauter zusätzliche Ausgaben vorschlagen können.

Ja, das gilt für uns alle. Diese Koalition muss wirklich Vertrauen für die demo­kratische Mitte und für die Volksparteien wiedergewinnen. Sonst wird das in vier Jahren ein blaues Erwachen geben. Das dürfen wir jetzt auch bei all dem Kleinklein in den Verhandlungen nicht vergessen. Es geht nicht darum, wer wem etwas auf die Mailbox spricht …

Wie Friedrich Merz bei der Grünen-Fraktionsvorsitzenden Haßelmann, kurz bevor die Sondierungsergebnisse veröffentlicht wurden…

… sondern es geht um Vertrauen in die Demokratie. Wir haben gesehen, welchen Schaden die Ampelkoalition mit ihren ungelösten Konflikten verursacht hat. Wir müssen von Anfang an die Finanzierungs- und Haushaltsfragen sauber und klar lösen. Es darf jetzt keinen verdeckten Dissens geben, der uns beim Regieren auseinandertreiben könnte.

Aber haben Sie denn über diesen einen Satz zum Sparen im Sondierungspapier schon Vereinbarungen mit den Sozialdemokraten, wo alles gekürzt werden soll?

Was wir vereinbart haben, steht im Sondierungspapier. Abgesehen davon ist un­sererseits als Vorschlag auf dem Tisch, was wir im Wahlkampf versprochen haben: Wir wollen die Bundesverwaltung um zehn Prozent abbauen, wir wollen Subventionsprogramme beenden, wir wol­len alle Bundesministerien und Verwaltungsaufgaben prüfen und effizienter gestalten. Entlastungen, auch wenn wir sie wir bei der Senkung der Energiekosten für dringend geboten halten, müssen an anderer Stelle gegenfinanziert werden.

Einen verdeckten Dissens scheint es schon bei der Migration zu geben. Da hat schon die Ausdeutung des Wortlauts in dem Sondierungspapier begonnen. Die SPD-Vorsitzende Esken hat davor gewarnt, wie brandgefährlich es sei, ohne die Zustimmung der europäischen Nachbarn zurückzuweisen. Hat sie nur nicht verstanden, dass die Formulierung „in Abstimmung“ mit den Nachbarn nicht mit Zustimmung bedeutet?

Es gibt ein gemeinsames Verständnis zwischen Union und SPD, dass unsere Kommunen dringend Entlastung bei illegaler Migration brauchen. Und dass uns alle die Migrationspolitik der vergangenen Jahre massiv Vertrauen gekostet hat in der Bevölkerung. Jetzt haben wir sehr viel erreicht, und das gilt auch für die Feststellung, dass Asylbewerber an der Grenze zurückgewiesen werden sollen. Das wollen wir natürlich in Abstimmung mit unseren europäischen Partnern machen. Friedrich Merz ist doch schon lange im Gespräch mit vielen Staats- und Regierungschefs, und auch als Kanzler wird er das Gespräch mit unseren Nachbarn suchen. Klar ist aber auch: Wir müssen unser Land vor Überforderung schützen und die Sicherheit garantieren. Das ist das Spannungsfeld, in dem wir die Asylwende gestalten.

Einen vergleichsweise offenen Dissens gibt es offenbar schon jetzt, wenn nämlich aus der SPD-Fraktionssitzung heraus berichtet wird, dass dort ein sozialdemokratischer Sondierer angeblich über Unions-Sondierer gelästert haben soll. Kein gutes Omen für Koalitionsverhandlungen, oder?

Jeder muss selbst mit dem eigenen Gewissen ausmachen, was in dieser Lage der Sache dient.