Päckchenflut aus Fernost treibt Lufthansa Cargo an

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Die Onlineeinkäufer, die Shoppingportale durchstöbern, waren es: Sie haben Lufthansa Cargo steigende Frachtmengen beschert – vor allem im Schlussquartal 2024 vor Weihnachten und vor allem auf Routen von Asien nach Europa. Dort ist Lufthansa Cargo mittlerweile häufiger unterwegs, während die Schwestergesellschaft für Passagiere ihre Route von Frankfurt nach Peking gestrichen hat. Die war kaum noch wettbewerbsfähig, weil Lufthansa Russland nicht mehr überqueren darf, während chinesische Wettbewerber den direkten Weg nehmen.

Im Frachtgeschäft sieht die Welt anders aus. Der Umweg um Russland herum lohnt, der Angebotsausbau erschien angesichts der Ladungsmengen geradezu nötig. „Wir haben Frachterkapazität von Nordamerikastrecken auf Asienstrecken verlagert“, sagt Lufthansa-Cargo-Finanzvorstand Frank Bauer im Gespräch mit der F.A.Z. „Der Grund dafür ist die stark gestiegene Transportnachfrage bei gleichzeitig weniger Beiladekapazitäten auf den Passagierflügen, die wegen des Überflugverbots über Russland gesunken sind.“

Lufthansa Cargo nutzt für den Warentransport sowohl die eigene Frachterflotte als auch die Unterdecks der Passagierjets im Konzern. Abgeleitet vom Wort „Belly“, dem englischen Begriff für Bauch, wird dann in der Branche von Belly-Fracht gesprochen. Und wenn Lufthansa Cargo weniger in den Bauch von Passagierjets schieben kann, weil die Asien-Routen seltener bedienen, müssen die reinen Frachter mehr unterwegs sein.

Fast die Hälfte der Ladung der Frachtsparte war 2024 zwischen Asien und Europa unterwegs. Gemessen wird in Tonnenkilometern, einer Maßzahl, die sich aus dem Gewicht aller transportierten Waren und der zurückgelegten Strecken errechnet. Mit 3,9 Milliarden Tonnenkilometern erreichte das Asien-Verkehr ein um 22 Prozent größere Menge als im Vorjahr. Es waren zudem acht Prozent mehr als auf Atlantikquerungen.

Frachterflüge „in signifikantem Umfang“ verlagert

Gerade im Schlussquartal habe man „in signifikantem Umfang Frachterflüge vom Nordatlantik in Richtung Asien verlagert, um unsere Kapazität bestmöglich zu nutzen“, sagt Bauer. Gut möglich, dass sich das Verhältnis der Frachtströme weiter ostwärts verschiebt, nicht nur wegen der Online-Einkäufer bei Temu oder Shein. „Insgesamt werden wir schneller mit Anpassungen im Frachter-Streckennetz. Die aktuellen Zolldiskussionen beobachten wir genau“, erklärt er.

Doch einfach mehr China statt Chicago? So simpel ist die Lufthansa-Cargo-Planung nicht. Man müsse ebenso berücksichtigen, “dass nicht jede Fracht im Unterdeck eines Passagierflugzeugs befördert werden kann, zum Beispiel wenn deren Maße zu groß sind oder wenn es sich um Gefahrgüter handelt“, erklärt Bauer. Der Mehrbedarf für Asien ist da, doch auch die Ladungsmengen im USA-Verkehr wuchsen zuletzt, wenn auch schwächer.

Derweil setzen auch andere Airlines im Frachtgeschäft auf Asienkurse. „Durch die Russland-Sanktionen sind Kapazitäten russischer Anbieter aus dem Markt weggefallen. Gleichzeitig sehen wir aber, dass Airlines aus dem Mittleren Osten im Frachtgeschäft massiv wachsen“, sagt Bauer. Vor dem Krieg in der Ukraine war die russische Volga-Dnepr-Gruppe ein gewichtiger Anbieter. Nun gewinnen auch Emirates, Qatar Airways und Turkish Airlines Marktanteile. Das Turkish-Drehkreuz in Istanbul ist zum größten Frachtflughafen Europas avanciert.

Profitabilität soll steigen

Und die Rivalen profitieren aus Sicht von Bauer ausgerechnet von einer EU-Vorgabe zur Klimaschutz. „Wettbewerbsnachteile, über die europäische Passagierairlines klagen, spüren wir genauso“, sagt er. “Wenn wir nach China fliegen, müssen wir für die gesamte Strecke zwei Prozent alternatives Kerosin, das teurer ist, beimengen, Turkish Airlines muss das nur für die erste Etappe bis Istanbul“, sagt er.

2024 nahm Lufthansa Cargo 3,3 Milliarden Euro ein, zehn Prozent mehr als im Vorjahr. Der bereinigte operative Gewinn stieg um 15 Prozent auf 251 Millionen Euro. Dennoch wurde die Langfristvorgabe des Konzerns, eine Marge von 8 Prozent, verfehlt – wenn auch knapp mit 7,7 Prozent. Im Vergleich zum Passagiergeschäft, in dem von Erlösen nur 3,5 Prozent als operativer Gewinn blieben – bei der Kernmarke Lufthansa sogar nichts –, wirkt das geradezu brillant.

Doch Bauer gibt sich damit nicht zufrieden. „Unser Ziel bleibt es, mehr als acht Prozent Marge zu verdienen“, sagt er. „Da die Luftfracht ein zyklisches Geschäft ist, wird es Jahre mit mehr als zehn Prozent Marge geben und Jahre, in denen die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen schwieriger sind.“ In der Corona-Pandemie war die Sparte wegen Lieferkettenengpässen mit Margen von mehr als 30 Prozent regelrecht verwöhnt, solche Werte dürften nicht so schnell wiederkehren.

Investitionen in Umschlagplatz Frankfurt

Die Sparte, die gerade für 600 Millionen Euro ein neues Umschlagzentrum am Frankfurter Flughafen baut, soll dennoch wachsen. „Ich bin zuversichtlich, dass wir in den nächsten Jahren Umsatz und Effizienz steigern können“, sagt Bauer. Ein Schritt wurde 2024 gemacht. „Dass wir im Schlussquartal 2024 stark zugelegt haben, war kein Zufall“, sagt Bauer. Mit Flugzeugen oder Hallen hatte das weniger zu tun als mit IT.

Ab durch die Luke: Umschlag von Lufthansa Cargo in Frankfurt
Ab durch die Luke: Umschlag von Lufthansa Cargo in FrankfurtFrank Röth

„Der größte Hebel war, dass wir in kurzer Zeit eine vollständig regelkonforme Lösung zum Transport von E-Commerce aufgebaut haben, die für Deutschland bestimmte Sendungen auch auf direktem Weg nach Deutschland bringt“, erklärt er. Der Zoll ist in das neue System eingebunden. Er kann vorab bestimmen, welche Paletten aus Fernost besondere Beachtung verdienen. Das beschleunigt Kontrollen nach der Landung und ermöglicht mehr Umschlag in Frankfurt.

Denn Lufthansa-Vorstandschef Carsten Spohr verwies zur Vorlage der Konzernbilanz in der vergangenen Woche darauf, dass neu bestellte Passagierjets im Bauch mehr Platz für Fracht haben, den soll Lufthansa Cargo mit befüllen. Auch der Einstieg bei der italienischen Fluggesellschaft ITA soll dem Konzern nicht nur mehr Passagiere bringen, sondern auch die Ladungsmengen erhöhen. Zudem erwartet Lufthansa Cargo neue Flugzeuge von Boeing. 18 sind schon da, zwölf mit dem Kranichlogo am Heck, sechs im Dienst der Gesellschaft Aerologic, die Lufthansa und dem Postkonzern DHL jeweils hälftig gehört.

Klimabeitrag per Klick?

Bis zum zum nächsten Neuzugang dauert es allerdings noch etwas. „Das nächste neue Frachtflugzeug, unseren 19. Boeing-777-Frachter, erwarten wir 2028“, sagt Bauer. Kurzfristig nachzubestellen, sei kaum aussichtsreich. Der Flugzeughersteller Boeing kämpft zwar mit vielen Problemen, doch die 777F-Frachter-Produktion läuft, und sie ist gut ausgelastet. „Wir schauen uns andere Möglichkeiten an, unsere Kapazitäten auszubauen“, sagt Bauer. Möglich wären das Anmieten von Fliegern samt Personal im Wet-Lease-Verfahren oder der Zugriff, falls ein anderer Frachterbesteller abspringt. Noch sei allerdings nichts spruchreif.

Ein Konzept, um die in öffentlichen Debatten kritisierte Päckchenflut aus Asien nachhaltiger zu gestalten, reift derweil. „Genauso wie es für Reisen Tarife gibt, für die Passagiere mit dem Ticketpreis einen Klimabeitrag zahlen, wollen wir auch im Frachtbereich mehr Transparenz schaffen – vor allem mit Blick auf Endkunden, die online Ware kaufen, die zum Beispiel aus Fernost geliefert wird“, sagt Bauer.

Für Online-Shopper soll das idealerweise per Option zum Anklicken auf Plattformen möglich werden. Bauer stellt sich die Zukunft so vor: „Ein Weg wäre, dem Endkunden anzubieten, schon beim Online-Einkauf für einen Kleinbetrag alternatives Kerosin für den Transport mitzukaufen.“