Manchmal wiederholt sich die Geschichte doch. Vor sieben Jahren entstand beim G-7-Gipfel in La Malbaie bei Charlevoix in Quebec ein ikonographisches Foto. Es zeigte, wie Angela Merkel im Kreise der Staats- und Regierungschefs der Gruppe – auf einen Tisch lehnend – auf Donald Trump einredete, der mit verschränkten Armen trotzig dreinschaute. Das Treffen in Kanada, bei dem sich der amerikanische Präsident trotz Krim- und Donbass-Annexion für die Wiederaufnahme Russlands in die Gruppe aussprach, sollte als „G6 plus 1“-Gipfel in die Geschichte eingehen, so isoliert waren die Vereinigten Staaten seinerzeit.
Als die Außenminister der Gruppe nun wieder in dem kanadischen Erholungsort am Sankt-Lorenz-Strom zusammenkamen, lief das Format sogar Gefahr, zu einem „G6 gegen 1“ zu werden. Gerade erst hatten die Europäische Union und Kanada mit Gegensanktionen auf den von Trump losgetretenen Zollkrieg reagiert. Als dann Gastgeberin Mélanie Joly die Runde am Donnerstag zum Familienfoto bat, wurde der amerikanische Außenminister Marco Rubio von einer Journalistin gefragt, ob es für ein G-7-Mitglied angemessen sei, einem anderen Mitglied mit Annexion zu drohen. Er überhörte die Frage bewusst, wie auch Joly, die Trumps Herabwürdigung Kanadas als „51. Bundesstaat“ zuvor als respektlos bezeichnet hatte.
Rubios Spielraum innerhalb der Regierung ist eng
Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas und Außenministerin Annalena Baerbock hatten sich derweil farblich abgestimmt: Die Estin erschien in Rot, die Deutsche in Weiß. Die Kleiderwahl in den kanadischen Landesfarben sollte ihre Solidarität mit Ottawa ausdrücken. Die Geste wurde von den beiden Chefdiplomatinnen per Selfie festgehalten. Baerbock plauderte beim Familienfoto kurz mit Rubio. Zeit für ein bilaterales Treffen mit der scheidenden Ministerin nahm er sich nicht, doch saß man in den Sitzungen nebeneinander, sodass man sich in den Pausen zumindest kurz austauschen konnte. Eine Begegnung mit Kallas in Washington hatte der Amerikaner kürzlich kurzfristig abgesagt, offenbar als Reaktion auf deren Kritik an Trumps Ukraine-Politik. Über den Eklat, der mutmaßlich auf Anweisung des Weißen Hauses erfolgte, schwieg man in Kanada.
Rubio, dessen Berufung zum Außenminister anfänglich in den Hauptstädten Europas mit Erleichterung aufgenommen war, spürt schon nach wenigen Amtswochen, wie eng sein Spielraum innerhalb der Regierung ist. Trump bricht Tabu nach Tabu. Rubio muss sich öffentlich loyal zeigen – und kann nur hinter verschlossener Tür versuchen, den Schaden ein wenig zu begrenzen. Vor seiner Ankunft in Charlevoix sagte er etwas kleinlaut, man werde sich auf mehrere Dinge konzentrieren, die man gemeinsam mit Kanada angehe. Darum gehe es bei dem Treffen. Sodann: „Es ist kein Treffen, bei dem es darum geht, wie wir Kanada übernehmen werden.“
Trump-Regierung lehnt Schuldzuweisungen in Richtung Moskau ab
Auch abseits der Dissonanzen der nordamerikanischen Nachbarn hatten die Außenminister alle Mühe, das G-7-Format angesichts amerikanischer Alleingänge zu retten. Joly benutzte die kanadische Wendung, man habe „viel Brot auf dem Teller“. Sollte heißen: Es gebe viel zu tun; man müsse den Zeitpunkt nun nutzen, um zusammenzuarbeiten. Vor allem in der Frage, wie man die Ukraine angesichts der „illegalen Aggression Russlands“ unterstützen könne, fügte sie hinzu, wohl wissend, dass die Trump-Regierung Schuldzuweisungen in Richtung Moskau ablehnt. Mit Blick auf den von Rubio nach einem Gespräch mit dem Ukrainer Andrij Jermak in Riad vorgelegten Waffenstillstandsplan hob Joly hervor, man strebe einen „gerechten und dauerhaften Frieden“ an. Baerbock wurde noch deutlicher: Frieden könne es nur durch Stärke geben. Was helfe ein Waffenstillstand, der dann in zwei oder vier Jahren zu noch mehr Leid führe.
Kallas hatte gerade klargestellt, alle warteten auf eine Antwort aus Moskau, das zeigen müsse, dass es Frieden wolle, da platzte Wladimir Putins Äußerung in die Runde, zwar unterstütze er die Idee einer Waffenruhe grundsätzlich, habe aber noch Fragen, da eine Feuerpause „die tieferliegenden Ursachen dieser Krise angehen“ müsse. Rubio sagte daraufhin den anderen Außenministern zu, sie über das Gespräch Steve Witkoffs mit dem russischen Machthaber zu unterrichten, sobald dieser russischen Luftraum verlassen habe. Putins Agenten sollten nicht mithören.
Keine „G7 à la carte“ für die USA
Der Ton der internen Unterredungen war sachlich. Rubio versuchte, den Eklat mit Wolodymyr Selenskyj im Oval Office und die folgende Einstellung der Militärhilfe in den Kontext zu stellen: In Washington habe man das Gefühl gehabt, dass die Dinge sich in die falsche Richtung bewegten. Nun habe man aber Kiew überzeugt, einem Vorschlag für eine Waffenruhe zuzustimmen. Daher liefere man wieder Waffen – und auch nachrichtendienstliche Erkenntnisse, die im Übrigen gar nicht wirklich zurückgehalten worden seien. Die Europäer warnten, die Bedingungen, die Putin jetzt setze, um einer Waffenruhe zuzustimmen, könnten am Ende nicht nur der Ukraine, sondern auch den Sicherheitsinteressen von ganz Europa schaden.
Gerade die deutsche und französische Seite erinnerten daran, wie Moskau seinerzeit den Minsk-Prozess untergraben habe. Die Befürchtungen der Europäer gehen weit: Putins Vorstoß etwa, mit Trump über Abrüstung reden zu wollen, bedeute eigentlich, dass Moskau eine Reduzierung amerikanischer Truppen in Europa, zumal in Deutschland, und einen Abzug der Atomwaffen aus Europa anstrebe, während er selbst die russischen nur hinter den Ural verlegen könnte, was sich schnell rückgängig machen ließe. All diese Bedenken seien bei Rubio hinterlegt worden, hieß es später. Ob dieser damit bei Trump durchdringt, wissen die Europäer freilich nicht.
Rubio hatte schon vor Beginn des Treffens in Charlevoix mit Blick auf eine Abschlusserklärung, an der die Diplomaten seit Wochen feilen, deutlich gemacht, dass er keiner „antagonistischen Sprache“ zustimmen werde, die Verhandlungen mit Russland gefährde. Das erschwerte die Arbeit an einem Kommuniqué. Joly hob ihrerseits hervor, die G7 dürften in dieser Situation nicht ohne eine Erklärung auseinandergehen. Während sich die Außenminister am Donnerstag zum Dinner trafen, suchten Diplomaten nach einem gemeinsamen Nenner. Aus kanadischer und europäischer Sicht galt es zu vermeiden, dass Trump eine Art „G7 à la carte“ bekomme. Nach dem Motto: Im Indopazifik will man die anderen Mitglieder der Gruppe an Bord haben, wenn es darum geht, China die Stirn zu bieten. Russland gegenüber aber gehen die Vereinigten Staaten eigener Wege, kehren zurück zu alter Großmachtpolitik und verlangen von Europa, sich zu fügen.