Industrie findet im Großraum Frankfurt kaum Platz

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Mit einem bundesweiten Aktionstag wollen die Indus­triegewerkschaften IG Metall und IGBCE am Wochenende auf die Probleme im Verarbei­tenden Gewerbe hinweisen. Hohe Ener­gie­kosten, Fachkräftemangel, aber auch die Krise bei der für Metall- wie Chemiebetriebe wichtigen Kundengruppe der Au­tohersteller: Die Liste der Herausforderungen ist lang. In Ballungsräumen wie dem Rhein-Main-Gebiet kommt ein weiteres hinzu: Für den Bau neuer Produktionsstätten, die eigentlich willkommen sein müssten, ist oft kein Platz.

Für Unternehmen, die bereits in der Region ansässig sind, findet sich oft eine Lösung in der Nähe: Der Industrie­ventilehersteller Samson zum Beispiel zieht zwar aus Frankfurt weg, verlegt seinen Standort aber nach Offenbach. Schwie­riger ist es, wenn ein ortsfremder Betrieb eine Niederlassung in Rhein-Main plant: „Wenn wir für Neuansiedlungen eine Fläche im zweistelligen Hektarbereich suchen, können wir selten mehr als zwei Angebote machen“, sagt Eric Menges, Geschäftsführer der Standort- Marketing­ge­­sellschaft Frankfurt/Rhein-Main.

Offenbar haben viele Kreise und Gemeinden in der Region wenige Flächen dieser Größenordnung zur Verfügung oder wollen sie nicht für ein neues Unternehmen hergeben. Dafür könne es verschiedene Gründe geben, sagt Menges. Viele Kommunen wollten eine gewisse Reserve an Freiflächen vorhalten für mögliche Erweiterungen bereits am Ort an­sässiger Unternehmen. „Einige fürchten wohl auch Widerstand aus der Bevölkerung gegen Neuansiedlungen.“

Mangel an Flächen und teure Quadratmeter lähmen das Geschäft

Aber der Region entgingen dadurch eben Arbeitsplätze. 2021 etwa habe ein Autohersteller für eine neue Produktionsstätte ein Grundstück von mindestens 250 Hektar gesucht. Das Unternehmen habe zwei Milliarden Euro investieren und 7000 Menschen einstellen wollen – doch die Frankfurt/Rhein-Main GmbH konnte ihm kein Angebot machen, weil keine Kommune eine derart große Fläche bereitstellte.

Auch ein Investor, der auf etwa 40 Hektar Fläche eine Papierfabrik plus Logistikzentrum errichten und 400 Arbeitsplätze schaffen wollte, musste abgewiesen werden. Ebenso ein Schaumstoffhersteller, der für eine neue Fertigungsstätte mit 300 Beschäftigten ein zwölf Hektar großes Grundstück suchte. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Michael Erhardt, der Erste Bevollmächtigte der IG Metall in Frankfurt, sieht eines der Hauptprobleme in der Flächenkon­kurrenz. So böten Wohnungsbauunternehmen für Grundstücke im Großraum Frankfurt sehr hohe Preise, weil sie wüssten, dass sie die darauf errichteten Wohnungen später teuer verkaufen könnten.

Michael Erhardt, der Erste Bevollmächtigte der IG Metall in Frankfurt
Michael Erhardt, der Erste Bevollmächtigte der IG Metall in FrankfurtMichael Braunschädel

„Wenn man sich anschaut, dass man für Wohnraum 7000 Euro aufwärts für den Quadratmeter kriegt – da muss sich ein Produktionsbetrieb schon lange strecken, um konkurrenzfähig zu sein“, sagt Erhardt. „Und wenn dann Rechenzentren auf den Plan treten, wird es richtig extrem.“

„Da tut mir das Herz schon weh“

Der Großraum Frankfurt ist bei Be­treibern von Datacentern vor allem gefragt, weil Kunden aus der Finanzbranche kurze Drähte zu Servern der Deutschen Börse wünschen. „Der Treiber für den Bau von Rechenzentren in Frankfurt ist der Hochfrequenzhandel an den Börsen“, sagt Erhardt.

Er macht den Flächenbedarf der Rechenzentren dafür mitverantwortlich, dass 2021 der Werkzeugbauer Günther & Co in Rödelheim den Betrieb einstellte. Schon als der Mutterkonzern Walter AG 2020 die Schließung des Werks ankündigte, hieß es vom Betriebsrat, das Unternehmen wolle das Betriebsgelände versilbern – durch den Verkauf an einen Rechenzen­trums­betreiber in der Nachbarschaft.

Die IG Metall forderte damals, die Stadt müsse dies unterbinden. Die Schließung des Günther-Werks wurde zwar nicht verhindert, der Bau eines Rechenzentrums auf dem Gelände aber tatsächlich untersagt – der Planungsausschuss des Stadtpar­laments hat mittlerweile nämlich festgelegt, dass dort „Flächen für einen klassischen Gewerbestandort“ gesichert werden sollen.

Rechenzentren könnten Frankfurt international stärken

Dafür sollen nach dem Wegzug des Ventileherstellers Samson gleich mehrere Datacenter auf dem bisherigen Samson-Gelände am Osthafen entstehen. „Da tut mir das Herz schon weh“, sagt Gewerkschafter Erhardt. Aus seiner Sicht hätte ein größerer Teil des Geländes für Indus­trie­ar­beitsplätze gesichert werden sollen – das Konzept sieht dort derzeit aber nur Gebäude für kleinere Gewerbebetriebe vor, sogenannte Handwerkerhöfe.

Die Industrie- und Handelskammer (IHK) Frankfurt sieht in der Ansiedlung weiterer Rechenzentren allerdings einen Standortvorteil. „Restriktive Maßnahmen beim Bau und Betrieb von Rechenzentren könnten die Investitionsbereitschaft einschränken und Frankfurt im internationalen Wettbewerb schwächen“, heißt es in einer Resolution, die im November von der IHK, der Handwerkskammer und den Frankfurter Hochschulen unterzeichnet wurde.

Einigkeit besteht zwischen Kammern und Gewerkschaften, was den Sanierungsbedarf von Straßen rund um bestehende Produktionsstätten betrifft. „Industriestraßen wie die Carl-Benz-Straße in Fechenheim sind voller Schlaglöcher“, kritisiert Erhardt. Und weiter: „In Rödelheim müsste dringend der öffentliche Nahverkehr verbessert werden.“ Schließlich müssten nach der von Continental verkündeten Schließung des Standorts Schwalbach künftig Hunderte Beschäftigte zum Rödelheimer Werk pendeln.

Offenbach überholt Frankfurt als Industriestandort

Bitter für Frankfurt ist, dass auch bei der Verkehrsplanung für neue Industriestandorte Offenbach die Nase vorn hat: Durch den sogenannten Innovationscampus, auf dem Samson baut, soll eine Stichstraße geführt werden, um den Fußweg von der S-Bahn-Haltestelle Offenbach-Ost zur neuen Unternehmenszentrale zu verkürzen. In Sachen Indus­triepolitik könne Frankfurt von Offenbach lernen, findet Erhardt.

Die Entwicklung und Vermarktung des Innovationscampus hat in Offenbach eine städtische Gesellschaft übernommen. Auch bei der Stadt Frankfurt gibt es schon lange Bestrebungen, die Entwicklung von Gewerbeflächen selbst in die Hand zu nehmen. Bereits 2020 beauftragte die Stadtverordnetenversammlung den Magistrat, die „Einrichtung einer Gesellschaft für die Gewerbeflächenentwicklung vorzubereiten“. Dadurch solle gewähr­leistet werden, dass Unternehmen „unabhängig vom Marktverhalten Dritter flexibel und zeitnah mit Industrie- und Gewerbeflächen versorgt werden können“.

Was passieren kann, wenn für brachliegende Grundstücke erst ein externer Entwickler gefunden werden muss, zeigte sich unlängst am Beispiel des Industrieparks Fechenheim: Der vom Eigentümer Clariant im Oktober angekündigte Verkauf an ei­nen Immobilieninvestor ist geplatzt.

Hessen will Standort von Sanofi unterstützen

Beim Vergleich mit Offenbach gilt es allerdings zu berücksichtigen, dass dort die Voraussetzungen besonders günstig waren: Das Gelände mit einer Größe von 36 Hektar erwarb die Stadt 2019 für rund sieben Millionen Euro, das entspricht rund 20 Euro pro Quadratmeter.

In Frankfurt dagegen scheiterte die Ein­richtung einer städtischen Gewerbeflächen-Entwicklungsgesellschaft bislang wohl nicht zuletzt daran, dass der (Zwischen-)Erwerb von Indus­trie- und Gewerbeflächen eine Bereitstellung kommunaler Haushaltsmittel in erheblichem Umfang erfordern würde, wie der Magistrat 2021 in einem Bericht an das Stadtpar­lament anmerkte. Gewerkschafter Erhardt meint allerdings: „Wenn man das vor zehn Jahren gemacht hätte, als die Zinsen noch niedrig waren, dann würde sich das aus der Wertsteigerung locker selbst bezahlen.“

Unabhängig davon sieht Erhardt gute Chancen, dass sich für den Industriepark Fechenheim noch ein Käufer findet, der auf dem Gelände dann neue Unternehmen ansiedeln könnte. Auch Standort­vermarkter Menges sieht darin eine echte Chance. Ein Problem gerade bei der Ansiedlung von Industrieunternehmen sei allerdings, dass diese in anderen Ländern oft leichter an Fördermittel kämen, sagt Menges. „Das funktioniert hier so nur in Ostdeutschland, siehe Intel.“

Allerdings deutet sich angesichts des verschärften in­ternationalen Wettbewerbs ein Umdenken an: Die Stadt Frankfurt, die Landesregierung und der Bund haben dem Pharmakonzern Sanofi vergangenes Jahr Subventionen für den Bau einer neuen Pro­duktionsstätte im Industriepark Höchst in Aussicht gestellt.