Koalitionsverhandlungen von Union und SPD unter grünem Spardiktat

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Es sollten die schnellsten und unkompliziertesten Koalitionsverhandlungen der jüngeren bundesdeutschen Geschichte werden. Schlanke Verhandlungsteams, schmaler Koalitionsvertrag, Kanzlerwahl bis Ostern. So konnte man den schon damals designierten Bundeskanzler Friedrich Merz im Wahlkampf jedenfalls verstehen.

Am Tempo hält die Koalition bislang fest, schon bis zum kommenden Wochenende sollen die Arbeitsgruppen fertig sein. Von schlanken Teams ist nicht mehr die Rede, in 16 Arbeitsgruppen sitzen jeweils 16 Politikerinnen und Politiker, was unterm Strich 256 Unterhändler ergibt. Und dass der geringe Umfang eines Koalitionsvertrags ein Qualitätsmerkmal sei, behauptet keiner der Beteiligten mehr: Lieber mehr Seiten als vertagte Konflikte, die später die Regierungsarbeit belasten, heißt es jetzt allenthalben. Weniger klar ist seit Freitag allerdings, auf welcher Grundlage die 256 Christ- und Sozialdemokraten sowie Christsozialen eigentlich reden und womit sie die vielen Seiten ihres Vertragswerks füllen sollen.

Denn das Ergebnis ihrer Sondierung, die den eigentlichen Koalitionsverhandlungen vorausgingen, hielt gerade mal 48 Stunden. Da erklärten die künftig oppositionellen Grünen, eigentlich wenig überraschend, dass sie den Ausgabenplänen der möglichen schwarz-roten Regierung nicht ohne Umschweife zustimmen werden. Am Donnerstag hielt Fraktionschefin Katharina Dröge im Bundestag eine scharfe Rede gegen den designierten Kanzler Friedrich Merz. Der wiederum sah sich am Freitag dazu gezwungen, auf die Forderungen der Oppositionspartei im Wesentlichen einzugehen. Und sich die Gespräche mit den Koalitionspartnern CSU und SPD, aber auch eigene Pläne gründlich zu vermasseln.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.


„Wir haben uns geeinigt. Das war eine nicht ganz einfache Operation“, sagte Merz in der Sitzung der Unionsfraktion am Freitag. Das konnte man wohl sagen. Bis um fünf Uhr morgens hatten die Unterhändler in der Nacht zusammengesessen, dann ging es am Vormittag weiter. Mittags waren sich Dröge und ihre Ko-Fraktionschefin dann einig mit Merz, dem Sozialdemokraten Lars Klingbeil und dem Erfahrensten unter den Verhandlern, dem CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt.

So, wie die FDP im vorigen November die Haushaltsverhandlungen als letzte Möglichkeit sah, noch einen Ausstieg aus der Ampelregierung zu organisieren, so ist jetzt Merz’ Suche nach einer Zweidrittelmehrheit für die Grünen die letzte Gelegenheit, auf den Gang der Dinge noch nennenswert Einfluss zu nehmen. Und das umso mehr, als der Kanzler in spe sie nicht frühzeitig in die Gespräche einband und ihnen auch zuletzt noch Verhandlungsangebote in aller Öffentlichkeit unterbreitete.

Den Wunsch, Verteidigungsausgaben bis zu 1,5 Prozent der Wirtschaftsleistung auf die Schuldenbremse anzurechnen, ließen die Grünen zwar fallen. Ein Verschieben ohnehin geplanter Infrastruktur-Investitionen in den neuen Schuldentopf haben sie aber unterbunden – und das schwarz-rote Sondierungspapier vom vorausgegangenen Wochenende damit in weiten Teilen geschreddert.

CSU-Pläne kaum zu finanzieren

Denn anders als mit einem solchen Verschieben von Kosten lassen sich die Pläne gar nicht finanzieren, die Union und SPD da vorstellten. Man wunderte sich, dass vor allem der CSU-Vorsitzende Markus Söder nicht lachen musste, als er seine Verhandlungserfolge präsentierte. Die Subventionen für den Agrardiesel, deren Teilabschaffung der Ampelregierung die größten Bauernproteste der jüngeren Zeit bescherte, sollen in vollem Umfang zurückkehren. Den Gastwirten wird der Nachlass auf die Mehrwertsteuer, der ihnen zusätzlich zu anderen Hilfen vorübergehend die Corona-Verluste kompensieren sollte, jetzt dauerhaft gewährt. Und die im bayerischen Freistaat besonders zahlreichen Pendler sollen für ihre Fahrten mehr Geld vom Finanzamt zurückerhalten.

Und mehr noch: Auch Mütter, deren Kinder vor 1992 geboren wurden, sollen jetzt 36 statt bisher 30 Monate Erziehungszeit angerechnet bekommen, wie die Jüngeren auch. Eine „Vollendung“ der Mütterrente nennt die CSU das Projekt, das ursprünglich die Geburtenzahl steigern sollte. Wie das über mehrere Jahrzehnte rückwirkend geschehen soll, hat bislang noch niemand in Bayern erklären können.

Im Vergleich zu der Billion an Sonderschulden, die das künftige Regierungsbündnis ursprünglich anpeilte, mögen diese Summen wie Peanuts erscheinen. Aber der Ausdruck ist hier so unangemessen wie zu der Zeit, in der ihn ein Bankvorstand für die ausstehenden Handwerkerrechnungen eines Bauunternehmers verwendete. Denn die Summen sind durchaus beträchtlich, und sie werden als Kitt zwischen den drei Koalitionspartnern fehlen.

Teure Mütterrente

Allein die Mütterrente könnte 4,5 Milliarden Euro im Jahr kosten, der reduzierte Satz für die Gastronomie mindestens 3,5 Millionen Euro. Die höhere Pendlerpauschale wird auf 2,3 Milliarden Euro veranschlagt, die im Kern unumstrittene Erhöhung der Stromsteuer auf 6,8 Milliarden Euro. Vergleichsweise harmlos nimmt sich nur der Agrardiesel mit 450 Millionen Euro aus, weshalb man sich fast fragt, warum das Ampelbündnis dafür so viel Ärger in Kauf nahm. Die Kaufprämie für Elektroautos, die jetzt wieder kommen soll, hatte im Jahr 2024 rund 2,4 Milliarden Euro gekostet. Und die Stabilisierung des Rentenniveaus könnte nach älteren Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft im Jahr 2035 stolze 34 Milliarden Euro an Steuerzuschüssen erfordern, wenn zugleich die Obergrenze für den Beitragssatz weiter gelten soll.

Aber selbst wenn man das Rentenniveau weglässt, das erst nach Ende der Legislaturperiode richtig teuer wird: Auf rund 20 Milliarden Euro im Jahr summiert sich schon diese unvollständige Auswahl der Vorhaben, auf die das Sondiererteam seine Einigkeit stützte. Könnte die Koalition ohnehin geplante Investitionen in den Sondertopf verschieben, aus dem ein Jahrzehnt lang 50 Milliarden Euro pro Jahr in eine weit definierte Infrastruktur fließen sollen, dann hätte sie das Geld für solche Projekte freigeschaufelt. Das wird jetzt kaum noch gehen, auch wenn sich die Koalition ein kleines Hintertürchen offen gelassen hat: Als „zusätzlich“ gelten Investitionen, wenn sie über zehn Prozent des Bundeshaushalts hinausgehen. Das ist etwas weniger, als bisher dafür ausgegeben wird.

Auch Steuersenkungen kosten Geld

Hinzu kommt: Eigentlich wollten die Regierungspartner in spe auch noch die Steuern senken. „Wir werden die breite Mittelschicht durch eine Einkommensteuerreform entlasten“, heißt es dazu im Sondierungspapier nur vage. Und: „Wir steigen in der kommenden Legislaturperiode in eine Unternehmenssteuerreform ein.“

Das klingt zwar zurückhaltender als im Wahlprogramm der Union, in dem nicht nur von einem Einstieg die Rede war und auch nicht bloß von der Mittelschicht. Verschiedene Wirtschaftsinstitute hatten im Wahlkampf ausgerechnet, dass sich die Steuerausfälle durch die Unionspläne am Ende auf rund hundert Milliarden Euro jährlich summierten. Davon ist jetzt keine Rede mehr. Aber eine Steuerreform wäre keine Steuerreform mehr, wenn sie den Bund nicht einen deutlich zweistelligen Milliardenbetrag im Jahr kosten würde. Und womöglich braucht es, um das Ganze durch den Bundesrat zu bekommen, auch noch eine Kompensation für die Länder.

Dabei ist die Haushaltslage auch ohne die Zusatzwünsche der Parteien schon angespannt genug. Der Entschluss zu großzügigen Sonderschulden reifte in den Sondierungsgesprächen auch deshalb, weil dort der amtierende Finanzminister Jörg Kukies referiert hatte. Auf 130 bis 150 Milliarden Euro bezifferte er die aufsummierte Haushaltslücke bis zum Jahr 2028. Das muss man zwar auf die einzelne Jahre herunterbrechen, und die Summen sind anfangs geringer als am Schluss. Fest steht aber: Auch ohne zusätzliche Ausgaben für Mütterrente, Pendlerpauschale oder Gastrosubvention fehlt jedes Jahr bereits ein zweistelliger Milliardenbetrag.

Sparen am Bürgergeld reicht nicht aus

Allein der Umbau des Bürgergelds und eine geringere Zahl an Asylbewerbern werden nicht ausreichen, um diese Summen aufzubringen, das war den Unterhändlern von Anbeginn klar. Auch deshalb verfielen sie auf die Idee, die Sondertöpfe für Militär und Infrastruktur so großzügig aufzusetzen, dass auch noch einige ihrer anderen Wünsche hineinpassen.

Weiteres Ungemach hätte sich für Union und SPD ergeben, wenn die Grünen die Militärausgaben tatsächlich erst oberhalb einer Summe von 1,5 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung von der Schuldenbremse ausgenommen hätten. Jetzt bleibt es bei einem Prozent. Da das deutsche Bruttoinlandsprodukt mehr als vier Billionen Euro beträgt, lässt sich leicht ausrechnen, dass die Koalition sonst jedes Jahr mindestens 20 Milliarden Euro mehr aus dem gewöhnlichen Bundeshaushalt hätte aufbringen müssen, statt dafür einfach Kredite aufzunehmen. Eine gewisse Entlastung ergibt sich jetzt sogar durch den grünen Wunsch, auch Ausgaben etwa für den Zivilschutz oder die Nachrichtendienste in die Schuldenbremsen-Ausnahme für die Verteidigung einzubeziehen.

Und dann wird das Bundesverfassungsgericht am 26. März noch seine Entscheidung über den Solidaritätszuschlag verkünden, drei Tage nachdem die Koalitions-Arbeitsgruppen ihre Arbeit eigentlich abschließen wollen. Es kann sein, dass sie das Kapitel über die Steuerfragen dann noch mal öffnen müssen. Schließlich plant der Bund im laufenden Jahr Einnahmen von knapp 13 Milliarden Euro aus dem Steueraufschlag für Besserverdienende.

Auf den ersten Blick schien es, als schade das von den Grünen verordnete Sparprogramm vor allem den Plänen der SPD. Befördert wurde dieser Eindruck von der Unterstützung, die das Beharren der Grünen auf Haushaltsdisziplin von Teilen des CDU-Wirtschaftsflügels erfuhr. So ist es aber gar nicht, jedenfalls nicht unbedingt. Als Allererstes wird Merz ein neues Pro­blem mit der bayerischen CSU bekommen, deren Sonderwünsche von der Mütterrente bis zur Gastrosteuer unter den neuen Umständen kaum noch finanzierbar sind. Und möglicherweise geraten dann seine eigenen Pläne für geringere Steuern ins Wanken, die in der SPD ohnehin mit Skepsis gesehen werden – zumindest soweit sie die Besserverdienenden betreffen.

Das grüne Spardiktat hat die Probleme der Koalition nicht gelöst. Sie fangen jetzt erst richtig an.