Warum die Gesellschaft nicht vom Alkohol loskommt

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Stand: 15.03.2025 08:58 Uhr

Alkohol ist seit Jahrtausenden Teil unserer Kultur – wir lieben den Rausch und das Ritual – aber was ist mit dem Risiko? Über einen Stoff, der uns trotz aller Gefahren immer wieder in seinen Bann zieht.

Die gemeinsame Geschichte von Mensch und Alkohol ist lang: Archäologische Funde aus China belegen, dass wir bereits vor 7.000 bis 9.000 Jahren fermentierte Getränke genossen haben. Aus Früchten, Reis oder Weizen wurde mithilfe von Hefepilzen Alkohol hergestellt. Damit begann der Siegeszug des kollektiven Schwipses.

Alkohol war sauber und wertvoll

Schnell wurde das leicht berauschende Gebräu zum Hit. “Man hatte kein sauberes Trinkwasser zu dieser Zeit. Das war immer verschmutzt mit Bakterien”, erklärt Professor Gregor Fuhrmann, Pharmakologe an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. “Wenn man aber das Wasser vergärt, also Bier oder Wein herstellt, dann wird es sauber, und damit ist es ein sicheres Lebensmittel.”

Alkohol wurde wertvoll. “Es wurde manchmal als Zahlungsmittel eingesetzt oder als Belohnung”, sagt Professorin Gabriele Koller, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Ludwig-Maximilians-Universität München. Im alten Ägypten bekamen die Bauarbeiter der Pyramiden täglich vier bis fünf Liter Bier als Entlohnung.

So wirkt Alkohol in unserem Körper

Was aber macht Alkohol so besonders? Ethanol – das ist der chemische Name für unseren Trink-Alkohol – beeinflusst in unserem Gehirn vor allem die Wirkung von drei Neurotransmittern: Gamma-Aminobuttersäure (GABA), Dopamin und Glutamat. Das hat vielfältige Wirkungen, erklärt Pharmakologe Fuhrmann. “GABA hat eine angstlösende Wirkung. Glutamat steigert die Aufmerksamkeit und Dopamin macht fröhlich.” Dadurch werden wir entspannt und locker.

“Ethanol wird in unserem Körper in Gift umgewandelt”, erklärt Sally Marlow vom King’s College in London. Die Professorin forscht seit vielen Jahren darüber, wie sich Alkohol auf die Gesundheit auswirkt. “In der Leber wird Alkohol zu Acetaldehyd verstoffwechselt”, erklärt sie, “und das ist eine sehr giftige Substanz, die dann über den Blutkreislauf überall hingelangt”. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung und die WHO sprechen deshalb davon, dass es “keine risikofreie Menge für einen unbedenklichen Konsum gibt”.

Krebs, Depressionen und Gewalt

Einer Studie zufolge sind mehr als 200 Krankheiten mit dem übermäßigen Konsum von Alkohol assoziiert: Leberschäden, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Polyneuropathie, Demenz, Depressionen und Angststörungen. Dazu ist Alkohol jedes Jahr in Deutschland nach Angaben des Deutschen Krebsforschungszentrums für 20.000 neue Krebsfälle verantwortlich und gehört einer Studie zufolge neben Übergewicht und Rauchen zu den häufigsten vermeidbaren Risikofaktoren für Tumorerkrankungen.

Außerdem ist Alkohol ein mächtiges Suchtmittel. „Das größte Problem an der Abhängigkeit ist, dass man selbst das nicht wahrnimmt, dass man sich lang vormacht: ‘Ich habe eigentlich kein Problem'”, sagt Psychiaterin Koller. “Aber ich habe das Gefühl, dass je abhängiger Menschen sind, desto weniger nehmen sie wahr, dass sie abhängig sind.”

Dazu kommen die sozialen Folgen des Alkohols: Gewalt, Sachbeschädigung und Verkehrsunfälle, Invalidität und Arbeitsunfähigkeit. Laut dem Jahrbuch Sucht 2022 kostet schädlicher Alkoholkonsum die Gesellschaft jedes Jahr mehr als 57 Milliarden Euro.

Die soziale Kraft von Alkohol

Alkohol erfüllt aber auch bestimmte Funktionen in der Gesellschaft: “Es wirkt wie ein soziales Schmiermittel”, meint Professorin Marlow. Untersuchungen zeigten, dass Menschen nach ein paar Schlucken Wodka leichter mit Unbekannten ins Gespräch kamen und mehr miteinander lachten.

Alkoholkonsum ist seit vielen Jahrtausenden mit Festen und Riten verbunden, mit Gemeinschaft und Geselligkeit. Der Philosoph Robert Pfaller von der Kunstuniversität Linz bezeichnet Alkohol als “transgressive Substanz” – ein Mittel, das uns hilft, Grenzen zu übertreten. Normalerweise achten wir darauf, dass wir genug Schlaf haben, genug Erholung und ähnliches. Aber in diesen Momenten, wenn wir feiern, dann sind wir angehalten, das zu überschreiten und mit unseren Ressourcen viel großzügiger umzugehen.”

Regulierung und Verbote wiederholt gescheitert

Zwar versuchte die Politik immer wieder, den Alkoholkonsum zu regulieren, doch Restriktionen wurde oft mit Widerstand begegnet, wie bei der “Münchner Bierrevolution”: Damals revoltierten die Bürger gegen die Bierpreiserhöhung von König Ludwig I. im März 1844.

Selbst politische Systeme scheiterten an Alkoholverboten: Gorbatschows Anti-Alkohol-Kampagne Mitte der 1980er-Jahre stieß auf massiven Widerstand. “Es ist eigentlich ganz klar, weil die Menschen dort das gute Leben bedroht sehen”, so Pfaller. “Das ist sozusagen die letzte Bastion dessen, dass wir merken, dass wir Menschen sind und keine Maschinen oder Arbeitstiere, die nur auf der Welt sind, um zu schuften.”

Wie sollen wir mit Alkohol umgehen?

Tatsächlich wird in den meisten europäischen Ländern inzwischen weniger getrunken: Der Konsum reinen Alkohols pro Kopf ist seit 1980 von fast 13 Litern auf 9,8 Liter (2024) zurückgegangen. Psychiaterin Koller lobt die Aufklärungsarbeit zu den Gefahren des Alkoholkonsums.

Dennoch sieht Forscherin Marlow noch massiven Bedarf an weiteren Maßnahmen: “Wir wollen als Gesellschaft die Vorteile des Alkohols genießen, aber für die Probleme machen wir den Einzelnen verantwortlich.” Die einzig wirksamen Maßnahmen gegen problematischen Alkoholkonsum seien jedoch längst bekannt: “Verfügbarkeit runter, Preise rauf”. Doch bisher konnte sich die Bundesregierung nicht einmal auf strengere Regeln für Alkoholwerbung verständigen.