Merz will Klöckner als Bundestagspräsidentin vorschlagen

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Ein Sonntag Mitte Februar, nachmittags, Frankfurter Flughafen. Julia Klöckner kommt alleine in den Wartebereich für den Flug nach Berlin, setzt sich, telefoniert, bleibt ungestört. Sie ist eine der nicht allzu zahlreichen Frauen auf der Bundesebene der CDU, die bekannt sind. Sie hat es aber nie ganz nach oben geschafft. Doch damit könnte es bald vorbei sein. Julia Klöckner soll die zweite Frau im Staat werden.

Über zehn Jahre war Klöckner stellvertretende Parteivorsitzende. In der letzten Regierung von Kanzlerin Angela Merkel, von 2018 bis 2021, bekleidete sie das Amt der Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft. Jetzt ist sie Schatzmeisterin der von Friedrich Merz geführten CDU und wirtschaftspolitische Sprecherin der Unionsfraktion im Bundestag. Zweite Reihe.

Nun scheint sich Merz entschieden zu haben, Klöckner für das Amt der Bundestagspräsidentin vorzuschlagen. Das wurde der F.A.Z. aus drei Quellen in der CDU bestätigt. Als größter Fraktion steht der Union das Amt in der nächsten Legislaturperiode zu. Protokollarisch kommt die Parlamentspräsidentin gleich nach dem Bundespräsidenten.

Mehr als 150 AfD-Abgeordnete

Klöckner, der politischer Ehrgeiz nicht abgesprochen werden kann, müsste im Falle ihrer Wahl eine besondere Herausforderung bewältigen. Die AfD wird am 25. März, dem Tag der Konstituierung des 21. Deutschen Bundestages, mit mehr als 150 Abgeordneten ins Parlament einziehen. Das ist ein knappes Viertel aller Mitglieder. Von den erhobenen Plätzen des Präsidiums in der Saalmitte aus muss man dann nicht mehr nach rechts gucken, um die AfD-Abgeordneten zu sehen. Sie nähern sich mit ihren Sitzen deutlich der Mitte des Plenarsaals.

Hören tut man die besonders zu Zwischenrufen und störender Lautstärke neigende AfD-Fraktion schon jetzt oft. Wird Klöckner deren Abgeordnete bändigen können? Als im Jahr 2017 erstmals AfD-Abgeordnete in den Bundestag einzogen, herrschte Erleichterung, dass der erfahrene CDU-Parlamentarier Wolfgang Schäuble Bundestagspräsident war. Doch auch seine Nachfolgerin, die Sozialdemokratin Bärbel Bas, wusste mit der AfD-Fraktion umzugehen.

Selbstbewusstsein hat Julia Klöckner in Debatten schon unter Beweis gestellt. Als Landwirtschaftsministerin konnte sie das im Umgang mit den Bauernverbänden trainieren. Ein Parlament zu leiten ist jedoch noch einmal etwas anderes. Eine zusätzliche Herausforderung ist, dass die derzeitige CDU-Schatzmeisterin als Bundestagspräsidentin auch über die Parteifinanzen wachen müsste.

Klöckner wollte zwei Mal Ministerpräsidentin werden

Ebenso sehr wie eine Bundes- war Klöckner auch immer eine Landespolitikerin. Zwei Mal wollte sie Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz werden, 2011 und 2016 trat sie als Spitzenkandidatin an. Beide Male fehlte nicht viel, dass sie den Fluch der rheinland-pfälzischen Christdemokraten beendet hätte: Seit mehr als 30 Jahren verlieren sie jede Landtagswahl, auch wenn sie bei praktisch allen Kommunal- und Bundestagswahlen besser als die SPD abschneiden. Klöckner scheiterte an sich selbst, so lautet in der Landespolitik die allgemeine Lesart.

Das zeigte sich am Beispiel der Flüchtlingspolitik, die 2016 ein bestimmendes Thema war. Die Kritik am Vorgehen der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel wollte Klöckner auffangen, und stellte eigene Vorschläge vor. Bewusst sollte es jedoch kein anderer Kurs in der Flüchtlingspolitik sein, kein „Plan B“, sondern eine sanfte Kurskorrektur. Klöckner sprach von einem „Plan A2“. Abgrenzen, ohne sich abzugrenzen. Viele Wähler begriffen das als Illoyalität.

Der Zickzack-Kurs im Wahlkampf der CDU stand im Kontrast zur Amtsinhaberin Malu Dreyer (SPD), die in sich zu ruhen schien. Selbst als Dreyer schärfster Kritik ausgesetzt war, blieb sie bei sich. Das hätte man auch als dickköpfig wahrnehmen können, im Vergleich zu Klöckner erschien es jedoch als konsequent.

Zu viel Paris, zu wenig Pirmasens

Am Ende kreiste die Wahl um die Frage, welcher der beiden Frauen man das Land anvertraut – und obwohl Klöckner lange in den Umfragen vorne lag, gewann Dreyer mit fünf Prozentpunkten Vorsprung. Auch wenn Klöckner, die 1972 in Bad Kreuznach geboren wurde, bis heute Mitglied des dortigen Kreistags ist und oft ihre Heimatverbundenheit betont, fanden Parteifreunde 2016, dass die Wähler ihr das nicht abgekauft hätten. Manche zitieren noch immer, was damals in der F.A.Z. stand: Klöckner sei in ihrem Auftreten zu viel Paris, zu wenig Pirmasens gewesen.

Nach ihrer zweiten Niederlage im Land zog es Klöckner nach Berlin, dem Bundestag hatte sie von 2002 bis 2011 bereits angehört. Sie wurde von 2018 an Landwirtschaftsministerin. Viele Bauern kritisieren bis heute, dass sie Entscheidungen habe schleifen lassen und sich nicht genügend für ihre Interessen eingesetzt hätte. Das ist ein Problem. Denn eigentlich sind Landwirte der CDU nah, fremdelten in den vergangenen Jahren aber zunehmend, woran Klöckner ihren Anteil hatte.

Die Aufgabe war schwierig: Ein gewachsener Wunsch der Verbraucher nach Tierschutz (ohne dafür jedoch angemessen zahlen zu wollen) auf der einen Seite, Landwirte auf der anderen, die sowieso in wirtschaftlich schwierigen Zeiten zu kämpfen haben und von denen immer mehr ihren Betrieb aufgeben.

Julia Klöckner überreicht Friedrich Merz am Tag nach der Bundestagswahl einen Blumenstrauß; mit auf dem Bild zu sehen sind Christina Stumpp, Carsten Linnemann, Silvia Breher und Karin Prien.
Julia Klöckner überreicht Friedrich Merz am Tag nach der Bundestagswahl einen Blumenstrauß; mit auf dem Bild zu sehen sind Christina Stumpp, Carsten Linnemann, Silvia Breher und Karin Prien.Lucas Bäuml

In Rheinland-Pfalz blieb Klöckner noch bis 2022 Landesvorsitzende. Dass die CDU auch 2021, diesmal angeführt von Christian Baldauf, die Landtagswahl verlor, wird zu einem Teil auch Klöckner zur Last gelegt. Die Partei sei zu wenig geeint gewesen, sie habe sich zu wenig eingebracht und Dinge laufen lassen. Es ist der Vorwurf, dass ihr der Landesverband nur als Hausmacht in Berlin diente.

Seit 2022 ist Klöckner Bundesschatzmeisterin und spielt, wie ein Parteifreund aus Rheinland-Pfalz sagt, „nur noch auf eigene Rechnung“. Sie weiß, wie man sich in sozialen Medien präsentiert, ist rhetorisch sehr fähig und gilt als begabte Wahlkämpferin. Damit ist sie in der rheinland-pfälzischen CDU, in der es wenige politische Talente gibt, noch immer die Ausnahme. Bei der Bundestagswahl wurde sie unangefochten zur Spitzenkandidatin des Landesverbandes.

Dass Friedrich Merz jetzt eine Entscheidung zur Besetzung des Bundestagspräsidiums getroffen hat, war zwingend. Merz muss parallel zu den inhaltlichen Verhandlungen mit der SPD auch die personelle Aufstellung der angestrebten Koalition planen. Da seine Wahl zum Kanzler erst für Ostern anberaumt ist, hat er mit der Besetzung des Kabinetts noch Zeit. Der Posten des Bundestagspräsidenten muss jedoch am 25. März auf der konstituierenden Sitzung neu besetzt werden.

Klöckner wird ein gutes Verhältnis zum CDU-Bundesvorsitzenden nachgesagt. Eine Entscheidung für sie dürfte von Merz auch als Signal gedacht sein, dass er Frauen bei seiner Personalplanung berücksichtigt. Wie derzeit in Berlin zu hören ist, hat sich auch der CDU-Bundestagsabgeordnete und Kanzlerkandidat des Jahres 2021, Armin Laschet, Hoffnungen gemacht, Parlamentspräsident zu werden.

In der CDU sagt mancher, der 64 Jahre alte Laschet könnte das Amt gut versehen. Laschet selbst hat aus seinen Ambitionen kein Geheimnis gemacht. Ein Hindernis für ihn ist, dass er aus Nordrhein-Westfalen kommt, wo es – angefangen bei Merz – schon genug CDU-Männer gibt, die nach der Bundestagswahl in Berlin etwas werden wollen. Allen voran Generalsekretär Carsten Linnemann und der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Jens Spahn.

Doch entscheidender dürfte etwas anderes gewesen sein. Berichtet wird, dass der CSU-Vorsitzende Markus Söder gegen Laschet gewesen sei. Die Wunden aus dem Wahlkampf 2021, in dem Laschet Söders Hoffnungen, selbst Kanzlerkandidat der Union zu werden, zerstört hat, sind offenbar zu tief. Den Vorschlag für den Posten des Bundestagspräsidenten macht Merz jedoch in Abstimmung mit der CSU, schließlich braucht man auch die Stimmen der CSU-Abgeordneten. Gegen Klöckner haben die Christdemokraten, also Söder, offenbar weniger Einwände.