Russland lehnt eine Waffenruhe im Angriffskrieg gegen die Ukraine weiterhin ab. „Wir fassen das als Versuch auf, den ukrainischen Truppen, die jetzt schwierige Zeiten durchmachen, eine Atempause zu geben“, sagte Jurij Uschakow, der außenpolitische Berater von Präsident Wladimir Putin, am Wochenende im Staatsfernsehen. Es gehe mit diesem am vergangenen Dienstag von Kiew und Washington vorgeschlagenen Schritt darum, den ukrainischen Soldaten Zeit zu verschaffen, „um sich neu zu bewaffnen und umzugruppieren“. Diese Bedenken habe man auch „den Amerikanern“ übermittelt, sagte Uschakow weiter.
Auf Washington richtet sich nach Putins Empfang von Steve Witkoff, dem Sondergesandten des amerikanischen Präsidenten Donald Trump für den Nahen Osten, abermals Moskaus Aufmerksamkeit. Witkoff sagte am Sonntag dem Sender CNN, die Differenzen zwischen den Regierungen in Moskau und Kiew würden geringer, Putin akzeptiere „Trumps Philosophie“, und Trump wolle, dass der Krieg ende. Doch hatte Putin Trump auflaufen lassen, als er am Donnerstag zwar äußerte, zu einer Waffenruhe bereit zu sein, das aber durch sehr weitreichende „Nuancen“ entwertete. Trump indes lobte schon Freitag die Gespräche als „sehr gut und produktiv“ – und forderte als einzigen konkreten Schritt von Putin, die Leben von angeblich Tausenden ukrainischen Soldaten zu schonen, die im westrussischen Kursker Gebiet gerade „völlig umzingelt sind vom russischen Militär“, wie der amerikanische Präsident in seinem Netzwerk Truth Social schrieb.
Trump: „Niemand kann herauskommen“
Unklar blieb, worauf diese Schilderung der Lage beruhte. Vermutlich geht sie zurück auf das vertrauliche Gespräch Putins mit Witkoff am Donnerstagabend, das Witkoff zufolge drei bis vier Stunden dauerte und positiv verlaufen sei. Denn vor der Presse hatte Putin kurz vor der Begegnung gesagt, seine Truppen hätten die „völlige Isolation“ der ukrainischen Kräfte im Kursker Gebiet erreicht. „Ganz kleine Gruppen, zwei, drei Personen“ versuchten herauszukommen, und „wenn in den kommenden Tagen eine physische Blockade eintritt, kann niemand mehr herauskommen“. Auch an anderen Frontabschnitten könne man „recht große Einheiten nehmen und blockieren“, behauptete der russische Präsident.
Bei einem vom Kreml am Mittwoch gemeldeten Besuch im Kursker Gebiet hatte Generalstabschef Valerij Gerassimow Putin gesagt, die ukrainischen Truppen dort seien „isoliert“ und würden „planmäßig vernichtet“, man habe „430 Kämpfer“ gefangen genommen. Von einem Kessel war da noch keine Rede gewesen.
Nicht nur Kiew und russische Militärblogger weisen diese Schilderung der Lage zurück, auch unabhängige Militärfachleute bestreiten sie. So hob das amerikanische Institut für Kriegsstudien (ISW) hervor, man habe keine Belege dafür gefunden, dass Putins Truppen im Kursker Gebiet oder anderswo eine bedeutende Anzahl ukrainischer Kräfte“ umzingelt hätten. Das ISW erinnerte auch daran, dass Putin im vergangenen Oktober schon einmal behauptet habe, im Kursker Gebiet seien 2000 ukrainische Soldaten „umzingelt“, was seinerzeit auch nicht belegt worden sei.
Selenskyj rechtfertigt Kursk-Operation
Putin reagierte sofort auf Trumps Appell auf Truth Social und sagte in einer Sitzung seines Nationalen Sicherheitsrats am Freitagabend, obwohl „ukrainische Kämpfer“ im Kursker Gebiet „zahlreiche Verbrechen gegen die friedliche Zivilbevölkerung“ verübt hätten, welche die Generalstaatsanwaltschaft als Terrorismus werte, habe man „Verständnis für Präsident Trumps Aufruf“. Soldaten, welche die Waffen streckten und sich ergäben, werde man „das Leben und anständige Behandlung garantieren“. Neuerlich pries Putin auch Trumps Bemühungen, das Verhältnis zu Russland zu verbessern.
Es gehe Putin darum, sich als „vernünftigen und gnädigen Anführer darzustellen“, mit dem Trump ins Geschäft kommen könne. Russlands Präsident wolle mit dem „neuen Narrativ“ von der angeblichen Einkesselung davon ablenken, dass er den Vorschlag einer Waffenruhe ablehnt, analysierte das ISW. Der russische Kriegsunterstützerkanal Woennyj Oswedomitel hob hervor, es habe faktisch nie einen „Kessel“ gegeben, vielmehr seien die ukrainischen Truppen wegen Nachschubproblemen abgezogen worden. Das „Spektakel“ zwischen Trump und Putin sei „banale Politik“, Trump wolle Russland zur Waffenruhe bewegen und nicht „verschrecken“, Putin der Ukraine große Zugeständnisse abringen.
Der ukrainische Generalstab teilte mit, die russischen Behauptungen seien falsch und sollten dazu dienen, Druck auf die Ukraine und ihre Partner“ aufzubauen. Am Sonntag veröffentlichte der Generalstab eine Karte der Operation im Kursker Gebiet, in der die Kleinstadt Sudscha, deren Rückeroberung das russische Verteidigungsministerium am Donnerstag gemeldet hatte, nicht mehr als ukrainisch kontrolliert eingezeichnet ist.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj war am Samstag bemüht, die im August begonnene Militäroperation im Kursker Gebiet zu rechtfertigen. Sie habe dazu geführt, dass eine bedeutende Anzahl russischer Truppen von anderen Teilen der Front abgezogen worden sei, schrieb Selenskyj auf Telegram. Nun ziehe Russland Truppen zusammen, um das ukrainische Gebiet Sumy anzugreifen. Moskau wolle die Diplomatie weiter ignorieren und den Krieg hinziehen.
Putin hatte am Mittwoch bei seinem Kursker Auftritt in Tarnfleck zum wiederholten Mal gesagt, man müsse darüber nachdenken, „Sicherheitszonen entlang der Staatsgrenze“ zu schaffen. Damit ist die Eroberung weiterer ukrainischer Gebiete gemeint.