Sondervermögen Infrastruktur: Im Land des Reformstaus

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Ein Sondervermögen, selbst wenn es 500 Milliarden Euro umfasst, baut noch keine Infrastruktur. Die Geldsorgen sind zwar überall groß: Bei den Autobahnen und Bundesstraßen klafft in den kommenden zehn Jahren eine Finanzierungslücke von 66,5 Milliarden Euro. Die Deutsche Bahn braucht 150 Milliarden Euro zusätzlich. Die Kommunen würden gern ihre Energienetze erneuern und Schulen sanieren.

Doch die Geldknappheit ist nur eine Hürde, die Bund, Länder und Kommunen bisher daran gehindert hat, ihre Infrastruktur mit dem Nötigsten zu versorgen, geschweige denn auszubauen. Bauvor­haben, die Aktenordner füllen; Planfeststellungsverfahren, die sich über Jahre hinziehen; Haussperlinge, die den Bau ei­nes Studentenwohnheims verhindern, weil die Gefahr besteht, dass die notwendigen Abrissarbeiten die Fortpflanzungs- und Ruhestätten des als Spatz bekannten Vogels stören; eine Bauwirtschaft, die sich von Großauftrag zu Großauftrag hangelt, ohne langfristige Kapazitäten aufzubauen; Kosten, die aus dem Ruder laufen. Die Mängelliste ist lang.

Immer länger wird auch die Liste an Vorschlägen, wie man dem Land die Trägheit abtrainieren kann. Schon die zerbrochene Koalition aus SPD, Grünen und FDP hat gleich mehrere Bürokratieabbau- und Planungsbeschleunigungsgesetze beschlossen. Ein zentraler Hebel war die Feststellung, dass der Neu- und Ausbau des Schienennetzes, der Brücken und ausgewählter Straßenbauprojekte jetzt im „überragenden öffentlichen Interesse“ stehen und deshalb eine bevorzugte Behandlung in der Verwaltung und vor Gericht bekommen.

An einer Staatsreform führt wohl kein Weg vorbei

Dass dies nur der Anfang sein kann, wissen auch die künftigen Koalitionäre. Beide haben schon Papierberge produziert mit Vorschlägen zu einer Staats­modernisierung. Die SPD schlägt in ihrer sozialdemokratischen Staatsmodernisierungsagenda „Mission Delivery Boards“ mit eigenen Kompetenzen vor. Darin sollen Kanzleramt und Vizekanzleramt die „absoluten Top-Prioritäten“ der neuen Re­gierung steuern, zum Beispiel die Digitalisierung der Verwaltung. Die beiden CDU-Juristen Günter Krings und Thomas Heilmann mahnen, auch die untergesetzlichen Vorschriften in den Blick zu nehmen. An einer Staatsreform führe kein Weg vorbei, heißt es allerorten.

In ihren Koalitionsverhandlungen haben die Parteien dafür eigens eine Ar­beitsgruppe eingerichtet, die aufseiten der CDU von Philipp Amthor geleitet wird. Außerhalb parteipolitischer Grenzen hat sich eine „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“ gebildet. Dessen Gründungsmitglied Thomas de Maizière (CDU), ehemaliger Bundesinnen- und -verteidigungsminister, ist klar in seinem Urteil: „Es wird nicht gelingen, das viele Geld auszugeben, weil die Bedingungen dafür in Deutschland nicht mehr gegeben sind“, sagte er im Gespräch mit dem F.A.Z. Podcast für Deutschland. „Wir müssen in den Maschinenraum des Staats, damit das Schiff wieder flotter fährt.“

Digitalministerium mit Durchgriffsrechten

Eine zentrale Forderung ist allen gemein: Der Staat müsse digitaler werden, das erleichtert auch bei großen Bauprojekten die Planung und Kommunikation mit der Behörde. Dazu bedarf es eines eigenen Digitalministeriums, das auch Durchgriffsrechte gegenüber allen anderen Ressorts haben muss. Zuständigkeiten von Bund, Ländern und Kommunen müssten entwirrt werden.

Konkrete Bedürfnisse ha­ben auch Vertreter der betroffenen Branchen. Die Bahn- und Bauwirtschaft jedenfalls ist sich einig: Wichtig sind nicht nur die schiere Quantität der verfügbaren Finanzmittel, sondern auch deren „Überjährigkeit“, also die Möglichkeit, das Geld über mehrere Haushaltsjahre hinweg zu benutzen. Das ist bei Bahnprojekten eine lang geübte Praxis, die durch die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung zwischen Bund und Bahn sichergestellt ist. Nur reichten die darin vereinbarten 63,4 Milliarden Euro über einen Zeitraum von zehn Jahren bis 2029 nicht aus, um alle neuen Sanierungsprojekte oder gar ei­nen nennenswerten Ausbau zu stemmen.

Von einer solchen Überjährigkeit träumt auch die Autobahn GmbH, die bisher vom Bund noch kurzgehalten wird. Sie verfügt über keinerlei eigene Einnahmen, auch die Lkw-Maut landet nur über den Umweg des Bundeshaushaltes bei ihr. Die Ampelregierung hatte zudem erstmals beschlossen, einen Teil der Einnahmen auch in die Schieneninfrastruktur zu stecken.

Vorbild Österreich und Schweiz?

In dieser Hinsicht besteht die Gefahr, dass das Sondervermögen die altbekannten Probleme nur um zwölf Jahre nach hinten verschiebt. Sind die zusätzlichen Milliarden erst einmal ausgegeben, droht im regulären Haushalt wieder das Prinzip der Jährigkeit. Abhilfe könnte dabei ein dauerhafter Infrastrukturfonds schaffen, eine Idee, an der Bundesverkehrsminister Volker Wissing nach dem Vorbild Österreichs und der Schweiz gearbeitet hat, und der auch privates Kapital anziehen soll.

Umstrittener ist hingegen die Frage, ob die neue schwarz-rote Koalition auch eine weitere Bahnreform anschieben soll, um sicherzustellen, dass das Geld auch dort ankommt, wo es hinsoll: in das marode Schienennetz. Zwischen SPD und Union klafft ein tiefer Graben in der Frage, ob der Staatskonzern Bahn zerschlagen werden soll – in eine gemeinnützige GmbH für das Schienennetz, die nach dem Vorbild der Autobahn GmbH direkt dem Bundesverkehrsministerium unterstellt werden sollte. Die mächtige Eisenbahn­gewerkschaft EVG – und in ihrem Schlepptau auch die SPD – ist vehement dagegen. Die Union, die zwölf Jahre hintereinander die Verkehrsminister stellte, ist inzwischen dafür. Auch Wettbewerber versprechen sich davon mehr Transparenz und Effizienz.

Nach der Sondersitzung für die Grundgesetzänderung am Dienstag kommt noch jede Menge Arbeit auf die neue Regierung zu. In einem Durchführungsgesetz müssen die Details der Geldvergabe geregelt werden. Eine Staatsreform hingegen wird sich womöglich über viele Jahre und Gesetze erstrecken. Die gute Nachricht: Wie schnell Großprojekte gehen können, haben Politik, Behörden und Unternehmen schon gezeigt: LNG-Terminals, die Tesla-Fabrik in Grünheide und das ICE-Werk in Cottbus wurden in Rekordzeit gebaut, weil alle das Gleiche wollten: schnelle Resultate. Jetzt muss das auch für alle anderen Infrastrukturprojekte funktionieren.