Es herrscht reges Treiben an der malerischen Piazza della Signoria. Die warmen Terrakottatöne der alten florentinischen Gebäude strahlen in der Nachmittagssonne, Wäsche flattert an den Fenstern, der Duft frisch gebrühter Espressi liegt in der Luft, zweitaktiges Knattern hallt durch die engen Gassen. Eine Ape tuckert ums Eck und kämpft sich über holpriges Pflaster an menschengesäumten Ständen vorbei, begleitet von blauem Rauch mit öligem Geruch im Abgang. Die kleine dreirädrige Pritsche scheint ihre besten Tage hinter sich zu haben, das Rot gezeichnet von so einigen Blessuren, aber sie fährt tapfer.
Die Ladefläche ist bis obenhin mit frischem Gemüse beladen. Ein älterer Herr mit Schiebermütze und einem verschmitzten Lächeln sitzt am Steuer, winkt den vorbeigehenden Nachbarn zu. Er hält an einer Ecke, um mit einem Ladenbesitzer ein paar Worte zu wechseln. Es ist ein klassischer italienischer Moment, der aus dem Anfang eines kitschigen Films voller Klischees stammen könnte. Noch scheint die Welt in Ordnung, doch solche Momente werden künftig wohl weniger zu beobachten sein. Piaggio hat verlauten lassen, die Produktion der Ape im italienischen Werk Pontedera sei eingestellt. Der Grund dafür liegt in den immer strengeren europäischen Sicherheits- und Umweltvorschriften, die hohe neue Investitionen erforderlich gemacht hätten. Das sei Gift für die Biene, so der Hersteller. Piaggio möchte sich künftig auf den vergleichsweise charakterlosen Porter mit vier Rädern konzentrieren, wenn auch nicht ganz freiwillig.
Foto: Picture Alliance
Wer selbst mal eine Ape gefahren ist, wird das so schnell nicht vergessen. Man sitzt in einer engen Kabine auf einem mehr oder minder komfortablen Sitzkissen, die Bedienung über einen Lenker ähnelt der Vespa, es rumpelt, es knattert, es riecht. Kein Wunder, basiert das Kultmobil doch auf dem Blechroller mit einfachster Technik. Seit 1947 ist die Vespa ein fester Bestandteil des südländischen Straßenbilds, rund 20.000 Stück werden damals im Jahr produziert. Tendenz steigend. Nach dem Zweiten Weltkrieg kommt die italienische Wirtschaft langsam in Fahrt, mit ihr auch die Industrie, der Handel und das Handwerk. Zu diesem Zeitpunkt erfolgte der Warentransport noch weitgehend mit großen Lastwagen, die militärisch geprägt sind. In den Städten dominieren Dreiräder mit Pedalantrieb oder Handkarren. Wie im Fall der Vespa entsteht aus der Beobachtung des täglichen Lebens mit seinen neu erwachsenden Bedürfnissen die Idee der Ape. Enrico Piaggio und Corradino D’Ascanio, die Väter der Vespa, wollen die Lücke im Bereich der Gebrauchsfahrzeuge der Nachkriegszeit schließen, zumal nur wenig Geld in den kriegsgebeutelten Portemonnaies vorhanden ist. Deshalb entsteht 1948 der praktische Lieferroller aus Teilen der Vespa 50 ohne Kabine und Schutz vor Wetter wie Wind. Technisch eng mit dem zweirädrigen Schwestermodell verwandt, lässt auch sich das rudimentäre Modell mit etwas Geschickt flink im dichten Straßenverkehr und durch enge Gassen manövrieren. In Kombination mit einem günstigen Preis, damals 170.000 Italienische Lire, kaufkraftbereinigt auf heutige Verhältnisse umgerechnet etwa 3500 Euro, sind das echte Erfolgsgaranten.Foto: Piaggio Group
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Bienenschwärme erobern in den kommenden Jahren südländische Straßen. Sie tragen maßgeblich zum wirtschaftlichen Aufschwung bei, vergleichbar wie einst der Käfer und der Bulli in Deutschland. Im Sommer 1952 folgt die erste Evolution. Piaggio erhöht den Hubraum von 125 auf 150 Kubik, die Tragfähigkeit steigt von 200 auf 350 Kilo. Begleitet wird das neue Modell von einer groß angelegten Werbekampagne, für die Millionen Faltblätter in fünf Sprachen gedruckt werden. Der Aufschwung Italiens nimmt Fahrt auf. Sechs Jahre später folgt die nächste Entwicklungsstufe: Die noch rundliche Apelino, liebevoll so vom Volksmund genannt, wächst in ihren Abmessungen, erhält erstmals eine vollständig geschlossene Kabine mit zwei Türen, einen zentralen Frontscheinwerfer und einen leistungsstärkeren Motor mit 170 Kubik Hubraum. Das dreirädrige Fahrzeug hat sich inzwischen als zuverlässiges Arbeitstier einen guten Ruf erarbeitet, Piaggio nutzt diesen geschickt für seine Werbemaßnahmen. Der Slogan „Ape – das Fahrzeug, das Ihnen hilft, Geld zu verdienen“ bringt es wohl auf den Punkt. 1961 hebt das fleißige Bienchen erneut ab. Mit dem fünfrädrigen Modell Pentaro, das samt Anhänger eine Tragfähigkeit von 700 Kilogramm bietet, folgt die Ape dem Vorbild großer Lastkraftwagen (siehe großes Bild). Infolge erscheint 1966 die Ape MP, deren Kabine mehr Komfort für den Fahrer und einen möglichen Beifahrer bietet. Der Einzylinder-Zweitaktmotor wächst auf 190 Kubik, doch die eigentlichen Innovationen stecken in der Technik: Der Motor sitzt jetzt auf einer Schlittenstruktur im Heck, außerdem überträgt das Getriebe die Kraft nicht mehr per Kette, sondern direkt auf die Hinterräder mit Halbwellen, Pendelarmen aus Blech, Gummifedern und hydraulischen Stoßdämpfern.
Zwei Jahre später folgt ein entscheidender Meilenstein. Mit Einführung der „nuovo“ Ape 600 MPV hält erstmals das Lenkrad als Option Einzug, eine kleine Revolution für das charmante Dreirad, das bislang mit einem vespatypischen Lenker gesteuert wurde. 1969 wird schließlich zu einem ganz besonderen Jahr. Die kleine Ape 50 betritt zunächst ohne Türen und mit drei Gängen die Bühne. Nichtsdestotrotz bietet das Bienchen samt Kastenaufbau einen 1,5 Kubikmeter kleinen Laderaum und eine Tragfähigkeit von bis zu 170 Kilo. Mit ihrem bescheidenen 50er-Motörchen schafft sie es auf maximal 45 km/h. Oder ein bisschen mehr, wenn der Wind günstig steht oder es bergab geht. Wer ein wenig technisches Geschick besitzt, kann ihr mit ein paar Kniffen noch ein paar zusätzliche km/h entlocken. Das Frisieren gehört bald zum guten Ton. Der Zeitpunkt der Ape 50 könnte nicht besser gewählt sein, denn seit ein paar Jahren zwingt das italienische Straßenverkehrsgesetz alle größeren motorisierten Fahrzeuge zu einem Nummernschild. Doch die Apelino schlängelt sich nun als Moped klassifiziert geschickt an dieser Regel vorbei. Sie ist leicht, flink und darf schon mit 14 Jahren gefahren werden. Damit öffnet sie einer ganzen Generation von Jugendlichen die Tür zur Unabhängigkeit. Plötzlich ist die Ape nicht mehr nur ein fleißiges Arbeitstier, sie wird zum Sinnbild eines neuen Lebensgefühls. Über holprige Landstraßen tuckern junge Paare Schulter an Schulter, eng aneinandergeschmiegt in der schmalen Kabine.
Anfang der 1970er-Jahre rollt dann das Ape Car auf die Straßen, wieder größer, komfortabler, zudem in Serie mit einem Lenkrad ausgestattet. Angetrieben von einem kräftigen 220er-Zweitaktmotor, rückt die neue Biene näher an vierrädrige Nutzfahrzeuge heran. Obwohl der knatternde Zweitaktmotor noch immer das Herzstück der Ape ist, beginnt sich Mitte der 1980er ein Wandel anzukündigen. Piaggio wagt den Schritt in eine neue Ära und bringt die Ape Diesel auf den Markt. Das Herzstück ist ein nur 0,422 Liter großer Selbstzünder mit einem Fünfganggetriebe. Dieser Motor schreibt Geschichte als kleinster Diesel mit Direkteinspritzung. Währenddessen setzt die Ape in Europa ein neues Zeichen in Sachen Transport: Die Ape Car Max bricht den Rekord für Tragfähigkeit. Mit ihren stattlichen 1,5 × 2,3 Metern Ladefläche kann sie 900 Kilogramm schultern. 1994 kommt das 50er-Modell als Cross mit Überrollvorrichtung und Stoßbügeln auf den Markt, dazu in lebhafteren Lackierungen, einer elektronischen Diebstahlsicherung sowie einem Autoradio.
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Natürlich, nicht jeder mag den typischen Duft von verbrennendem Benzin mit Öl, wenn eine ältere Ape vorbei tuckert. Wer die sie als Stinker abstempelt, vergisst allerdings, dass sie sich stets weiterentwickelt hat. Frühe Modelle sind noch auf den manuellen Zusatz von Zweitaktöl im Benzin angewiesen, später kommen Getrenntschmierung und Ölpumpe hinzu. 2018 erscheint eine modernisierte Ape 50, schon lange hat sie vier Gänge. Nun wird die Euro-4-Abgasnorm erfüllt, darüber hinaus verfügt sie unter anderem über ein neues Hydraulikbremssystem. Übrigens bleiben alternative Antriebe in der Welt der Ape, vor allem in Europa, eine Seltenheit. Dass 2019 in Indien die Ape E-City mit Elektromotor erscheint, ist an vielen wohl vorübergegangen. Der charmante Italiener bleibt zeit seines Lebens sich bis zuletzt treu: kompakt, wendig, kostengünstig und belastbar. Er ist ein echtes Arbeitstierchen, das mit Leichtigkeit erstaunlich viel auf engstem Raum transportieren kann. Kein Wunder, dass die Ape seit 1948 etwa sechs Millionen Mal auf allen Kontinenten verkauft wurde, zwei Millionen davon entfallen auf das 50er-Modell, das zuletzt gut 7000 Euro kostete. Heute hat sie ihre ursprünglichen Gebrauchsgrenzen längst überschritten. Sie ist ein Symbol für Sonnenschein, Dolce Vita und italienische Leichtigkeit, das findige Unternehmer geschickt zu nutzen wissen. Sie verwandeln das Kultmobil in mobile Espressobars, charmante Pizzerien auf drei Rädern oder stylische Cocktailstände. Wer im Netz sucht, wird unzählige individuelle Varianten als Pritsche oder Kastenwagen entdecken. Bunt lackiert, liebevoll restauriert, umgebaut für verrückteste Zwecke. Ganz aus der Welt verschwinden wird die Ape sicher nicht. Zumal sie seit den späten 1990ern auch im indischen Baramati nahe Mumbai produziert wird. Das soll vorerst so bleiben. Sowieso liegt es der fleißigen Biene nicht, Ruhe zu geben. Arbeiten, transportieren, Geschichten erzählen, das ist und bleibt ihre knatternde Bestimmung.