Es läuft nicht gut für die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas

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Es gebe „breite politische Unterstützung“ für ihren Plan, sagte die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas auch am Montag wieder. Da beugten sich die EU-Außenminister zum zweiten Mal über den sogenannten Kallas-Plan, der die Militärhilfe für die Ukraine in diesem Jahr deutlich erhöhen soll. Tatsächlich sind aber nicht bloß Details und technische Fragen noch offen, wie sie stets behauptet. Der Widerstand gegen ihre Initiative kommt nämlich nicht nur aus Ungarn, sondern auch aus Frankreich, Italien, Spanien und Portugal. Diese Länder sträuben sich mit Händen und Füßen dagegen, einen signifikant höheren Beitrag zu leisten. Bislang tun sie zusammen weniger als Dänemark allein.

Man könnte sagen: Das ist deren Pro­blem. Aber seit Kallas die Initiative ergriff, kurz vor dem dritten Jahrestag des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, ist es auch ihr Problem. Es war ihr erster politischer Vorstoß, und nun ist es auch eine Frage der Autorität voranzukommen. Tatsächlich stammte der ursprüngliche Vorschlag noch von ihrem Vorgänger Josep Borrell. Kallas hatte ihn zunächst vom Tisch genommen, dann aber ziemlich unvermittelt nach der Münchner Sicherheitskonferenz wieder hervorgeholt. Sie hätte das besser vorbereiten müssen, sagen einige Diplomaten, gerade mit den Ländern, denen Borrell nahestand.

Es half der Estin auch nicht gerade, dass sie in ihren ersten Wochen leitende Mitarbeiter aus Italien und Spanien aus dem Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) entfernte. Das betraf etwa Stefano Sannino, den Generalsekretär und somit höchsten Beamten des Dienstes. Einige Regierungen waren darüber „außer sich“, wie sie anonym wissen ließen. Solche Personalentscheidungen führen immer zu Unruhe. Doch fällt auf, dass sich inzwischen immer mehr Mitarbeiter intern über den neuen Führungsstil beklagen. Zu hören ist, dass sich Kallas’ Kabinett abschotte und die Expertise des EAD mit 5300 Mitarbeitern nicht nutze.

Die EU-Außenbeauftrage wird in Washington versetzt

Ihren Vorstoß musste sie schon in wichtigen Punkten abschwächen. Eigentlich wollte Kallas die Mitgliedstaaten zu ei­nem zusätzlichen Beitrag bewegen, der über dem Niveau des vergangenen Jahres liegt – und zwar gemäß deren wirtschaftlicher Leistungskraft. Im Vorjahr brachten die EU-Staaten rund 20 Milliarden Euro an Militärhilfe für Kiew auf, für dieses Jahr haben sie bisher 15 Milliarden Euro zu­gesagt. Die drei Milliarden aus Berlin, über die der Haushaltsausschuss an diesem Dienstag entscheiden soll, kämen noch obendrauf.

Kallas strebt insgesamt 40 Milliarden Euro an, um den Ausfall fast aller US-Zahlungen zu kompensieren. In ihrem jüngsten Papier von vorigem Donnerstag, das der F.A.Z. vorliegt, spricht sie aber nur noch davon, dass teilnehmende Staaten „eingeladen“ würden, einen Teil gemäß ihrer Wirtschaftskraft zu übernehmen. Als „ersten Schritt“ sollen die Staaten sich verpflichten, zwei Millionen Artilleriegranaten zu liefern, im Gegenwert von rund fünf Milliarden Euro. Das liegt unter den Summen, die sie davor ventiliert hatte. Mit dem Thema vertraute Personen erwarten trotzdem schwierige Debatten.

Und das ist nicht die einzige Herausforderung, vor der Kallas steht. Die Europäer dringen darauf, dass sie an Friedensverhandlungen zwischen den USA, Russland und der Ukraine beteiligt werden. Doch hat sich die Außenbeauftragte nach Auffassung einiger Diplomaten selbst aus dem Spiel genommen, weil sie Washington zu stark kritisierte. Trumps Vorstoß zur Beendigung des Ukrainekriegs nannte sie einen „schmutzigen Deal“. Als sie dann Ende Februar in Washington aus dem Flugzeug stieg, sagte US-Außen­minister Marco Rubio ein Treffen mit ihr kurzerhand ab – „aus Termingründen“. Sie traf auch sonst niemanden aus der Regierung.

Suche nach einem Ukrainesonderbeauftragten

Zwei Tage später kam es zu dem öffentlichen Zerwürfnis zwischen US-Präsident Trump, seinem Vize J. D. Vance und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. „Heute ist klar geworden, dass die freie Welt einen neuen Anführer braucht“, kommentierte Kallas auf der Plattform X. Andere äußerten sich öffentlich weniger scharf und drangen intern auf Selenskyj ein, dass er sein Verhältnis zu Trump reparieren müsse – was er dann auch tat.

Derweil sondierte EU-Ratspräsident António Costa unter den Regierungschefs, ob sie einen Ukrainesonderbeauftragten befürworteten. Das wurde jedenfalls von einigen Brüsseler Akteuren als Affront gegen Kallas verstanden: Das sei doch eigentlich ihr Job! Beim EU-Gipfel Anfang März sprachen die Regierungschefs dann nicht länger darüber. Das Thema ist aber noch nicht vom Tisch. Gesucht wird eine Person mit Gewicht, am besten ein bisheriger Regierungschef.

Eigentlich hatten sich mit Kallas’ Amtsantritt im Dezember hohe Erwartungen verbunden. Die 47 Jahre alte Politikerin verkörpert eine jüngere Gene­ration als Costa und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Die Estin ist zudem die erste frühere Ministerpräsidentin auf diesem Posten. Zwar war sie zuvor mit ihrer Bewerbung um die Nachfolge des ehemaligen NATO-Generalsekretärs Jens Stoltenberg gescheitert – weil etliche Staaten, auch Deutschland, fürchteten, dass sie die ohnehin schwierigen Beziehungen zu Russland weiter erschweren würde. An der Spitze des EAD müsse sie jedoch ein breiteres Portfolio von Themen vertreten, hieß es. Damit verband sich die Hoffnung, dass sie sich eng mit den Staaten abstimme.

In Berlin reagiert man verärgert über Kallas’ Rhetorik

Doch verkündete sie schon an ihrem ersten Tag im Amt bei einem Besuch in Kiew: „Die Europäische Union will, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnt.“ Das sehen zwar auch andere so, vor allem Staaten, die nahe an Russland liegen. Doch stand dergleichen noch nie in Schlussfolgerungen des Europäischen Rats, dem Kallas qua Amt angehört. Dessen Standardformel lautet, dass die Ukraine „so lange und so intensiv wie nötig“ unterstützt werde, Russland dürfe „nicht die Oberhand gewinnen“. Das hatte nicht zuletzt Bundeskanzler Olaf Scholz durchgesetzt; entsprechend verärgert war man in Berlin über die neue Rhetorik.

Das setzte sich fort, als Kallas umgehend den EAD anwies, eine Einziehung der in der EU stillgelegten russischen Vermögenswerte zu prüfen. Zwar fordern die baltischen Staaten das schon länger, doch lehnen es die führenden Mitglieder der Eurozone strikt ab. Der juristische Dienst des Rats kam zu dem Schluss, dass ein solcher Schritt mit großen rechtlichen Risiken behaftet sei, die Europäische Zentralbank warnte vor dem Abzug von Investoren. Zudem werden die Erträge benötigt, um Kredite im Umfang von 50 Milliarden Dollar für Kiew zurückzuzahlen.

Inzwischen hat Kallas das Thema begraben. Während einige in Brüssel schon den Stab über ihr brechen, sagen andere, dass sie mehr Zeit brauche, um in ihre Rolle hineinzufinden. Am Donnerstag werden die Regierungschefs wieder über den Kallas-Plan beraten. Emmanuel Macron und Giorgia Meloni könnten ihr zu einem Erfolg verhelfen, wenn sie sich zu höheren Beiträgen verpflichten. Doch bauen Kenner schon vor: Damit sei nicht zu rechnen.