Freiberg und sein Bergbau haben eine lange Geschichte. Im 16. Jahrhundert wurde das Oberbergamt der sächsischen Stadt gegründet. Heute aber soll es um die Zukunft gehen: um Elektroautos, die Anbindung eines Balkanstaates an die EU, und um den Wettlauf mit China im Kampf um Rohstoffe. Am Dienstagnachmittag tritt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zusammen mit dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić im Oberbergamt vor die Presse. Einige Stunden zuvor war Scholz noch in Köln beim Autohersteller Ford gewesen. Dort geht die Angst um. Scholz appellierte, angesichts der schwierigen Zeiten für die Automobilbranche zusammenzuhalten. Die Entwicklung von E-Autos müsse vorangetrieben werden. Und da kann der Kanzler nahtlos anschließen nach seinem Treffen mit Vučić.
Denn Deutschland und Serbien interessieren sich beide für Lithium. Wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Die deutsche Automobilindustrie ist auf das Metall angewiesen, um ihre E-Auto-Flotten auszubauen. In Europa soll der Bedarf von E-Autos bis zum Jahr 2050 um das 35-fache steigen. Den Lithium-Hunger könnte Serbien zu einem Teil stillen. Vor 20 Jahren hatte man im Jadar-Tal das größte Vorkommen in Europa entdeckt. Lange war das Interesse daran gering, inzwischen aber ist der Zugang zu den Vorkommen hochbegehrt. Bislang beziehen die EU und Deutschland Lithium vor allem aus Australien, Chile und China. Gerade die Abhängigkeit von Asien soll aber reduziert werden. Im Beisein von Scholz hat die EU deswegen im Sommer ein Abkommen mit Serbien unterzeichnet, das die Ausbeutung für europäische Zwecke sichern soll.
Vučić sendet eine Botschaft an heimische Abbau-Gegner
Vučić erhofft sich ein Wirtschaftswunder durch den Lithiumabbau in seinem Land. Vorgerechnet werden 21.000 neue Arbeitsplätze und sechs Milliarden Euro Investitionen, das sind enorme Zahlen für das kleine Land. Doch gegen die Pläne gibt es erheblichen Protest in der serbischen Gesellschaft. Umweltschützer befürchten Schäden an der Landschaft, Nationalisten wehren sich gegen die Ausbeutung der serbischen Erde. Scholz will Vučić in Freiberg zeigen, wie man nachhaltig, sozialverträglich und gesellschaftlich akzeptiert Lithium abbauen kann, heißt es aus dem Umfeld des Kanzlers.
Denn auch unter der Erde von Freiberg gibt es Lithium. Das Feld im deutsch-tschechischen Grenzgebiet Zinnwald/Cinovec ist deutlich kleiner als das in Serbien; ein Drittel des Vorkommens liegt auf deutscher Seite. Die Zinnwald Lithium GmbH plant mit jährlich 15.000 Tonnen batteriefähigem Lithiumhydroxid, das reichte für eine Million Autobatterien pro Jahr. Los gehen soll es 2028 oder 2029. Schon Ende August war Scholz in Freiberg und sprach von einem Projekt von größter Priorität. Am Dienstag sagt er mehrmals im Beisein von Vučić, dass dabei hohe Umweltstandards eingehalten werden müssten. Vučić wiederum dürfte trotz aller Unterschiede mit der Botschaft nach Hause zu den Gegnern des Lithiumabbaus reisen: Schaut, Deutschland baut ja auch Lithium ab, so verkehrt kann es also nicht sein.
Scholz wird die Botschaft recht sein, immerhin will er nicht nur an das serbische Metall, sondern sein Blick geht weiter: Es geht auch um den Versuch, Serbien stärker an die EU zu binden. Ganz konkret versucht China derzeit, Zugriff auf das Lithium in Serbien zu bekommen. Grundsätzlicher geht es um die Frage, in welche Richtung Serbien strebt: zu Russland und China, oder zum Westen. Serbien hat ein eigenes Freihandelsabkommen mit China abgeschlossen, die Sanktionen der EU gegen Russland lehnt es weiterhin ab.
Doch da der Druck auf Serbien allein keine Annäherung an die EU zu bewirken scheint, äußert sich Scholz inzwischen freundlicher zu Serbien und seinem Präsidenten. Hatten er und die EU die autoritären Tendenzen in Serbien vor einiger Zeit noch deutlich kritisiert und betont, dass Serbien das Kosovo als Staat anerkennen müsse, um EU-Mitglied zu werden, hält Scholz sich inzwischen mit öffentlicher Kritik zurück. Am Dienstag erinnert er lediglich daran, dass gute Beziehungen in der Nachbarschaft wichtig seien, also auch zum Kosovo. Vor den Statements hatten Scholz und Vučić nicht nur einen Gang durch das Ehrenspalier der Freiberger Traditionsbergleute absolviert, sondern waren auch zu einem kurzen Vieraugengespräch zusammengekommen. Die Möglichkeit zu der Frage, was dabei besprochen wurde, besteht am Dienstag nicht. Vučić erwähnt in seinem Statement das Kosovo nicht. Er sagt aber, dass sein Land sich im Sinne der EU reformieren wolle.
Bei seinem Besuch in Belgrad im Sommer hatte Scholz sogar dem „lieben Gott“ gedankt, dass einer der begehrtesten Rohstoffe der Welt in Serbiens Erde liege. Ihm assistierte damals die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium Franziska Brantner, inzwischen Grünenvorsitzende. Der Tenor damals: Würde sich China in Serbien engagieren, wäre die lokale Bevölkerung bestimmt nicht besser dran. Wie wichtig Scholz das Thema Lithium einschätzt, zeigt sein Tempo. Am 11. Juli dieses Jahres hatte das serbische Verfassungsgericht einen früheren Beschluss von Vučić, die Lithiumförderung zu stoppen, aufgehoben. Schon am 19. Juli, nur wenige Tage später, war der Kanzler in Belgrad. Für das Zeichnen des freundlicheren Bildes hilft, dass Serbien über EU-Staaten der Ukraine Munition zur Verfügung stellt. Sowohl Scholz als auch Vučić verabschieden sich am Dienstag in der Bergbaustadt Freiberg mit einem „Glückauf“.