Wie Union, SPD und Grüne ihre Zweidrittelmehrheit sichern wollen

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Mario Czaja wird Nein sagen. Eine entsprechende Botschaft verbreitet der ehemalige CDU-Generalsekretär schon am Sonntagabend. Er werde am Dienstag im Bundestag den geplanten Grundgesetzänderungen, mit denen Milliardenschulden für Verteidigung und Infrastruktur beschlossen werden sollen, nicht zustimmen, schreibt Czaja in einer E-Mail an die F.A.Z. „Der Ruf nach immer frischem Geld verhindert eine notwendige Staatsreform“, begründet er seine Haltung. Czaja war zu Beginn der Amtszeit des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz dessen Generalsekretär. Merz war nicht zufrieden und trennte sich schon 2023 wieder von Czaja.

Nun will Czaja also bei der wichtigsten Abstimmung für Merz, noch bevor der überhaupt zum Kanzler gewählt worden ist, Nein sagen. Und er ruft zu seiner Unterstützung jenen Mann in den Zeugenstand, der Merz immer gefördert hat: den Ende 2023 verstorbenen Wolfgang Schäuble. Czaja erinnert daran, wie Schäuble kurz vor seinem Tod der Unionsfraktion ins Gewissen geredet hatte. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das der Ampel das Verschieben von Milliardensummen vom Corona- in den Klimafonds verboten hatte, werde finanzielle Spielräume auch für eine künftige, mutmaßlich CDU-geführte Regierung eng machen, hatte Schäuble gesagt.

Czaja schreibt, das erforderliche Geld für die Bundeswehr lasse sich auch ohne die „Aufweichung der Schuldenbremse“ zusammenbringen durch die Feststellung einer Notlage. „Ich bleibe daher bei unserer CDU-Position, zuletzt verschriftlicht in unserem Regierungsprogramm“, kündigt Czaja in seiner E-Mail an.

Noch sind nicht alle Gefahren ausgestanden

Czaja ist am Montag der einzige Unionsabgeordnete, der öffentlich ankündigt, gegen den inzwischen von Union, SPD und Grünen getragenen Gesetzentwurf zu stimmen. Doch seine Absage ist nur das deutlichste Warnzeichen für die angehende schwarz-rote Koalition, dass noch nicht alle Gefahren für das große gemeinsame Schuldenprojekt ausgestanden sind. Nach den langen Verhandlungen mit den Grünen gibt es zwar politisch eine Zweidrittelmehrheit im alten Bundestag für die Grundgesetzänderungen.

Ob aber an diesem Dienstag auch alle Abgeordneten ihren Fraktionsspitzen folgen, gerade auch jene, die in den neuen Bundestag gar nicht mehr gewählt sind, ist noch nicht sicher. Ebenso wenig wie die nötige Zweidrittelmehrheit im Bundesrat am kommenden Freitag.

Immerhin ist seit der Einigung von Union, SPD und Grünen am vorigen Freitag klar, was genau beschlossen werden soll. Für das ursprüngliche schwarz-rote Paket war nach der Einigung ein Änderungsantrag eingebracht worden. Am Sonntagabend hatte auch der Haushalts­auschuss seine Zustimmungsempfehlung für dieses geänderte Paket beschlossen. Demnach soll zum einen in der Schuldenbremse für die Länder der Spielraum für die eigene Verschuldung erweitert werden, das war ohnehin kaum umstritten. Die Ausgaben für Verteidigung werden oberhalb von einem Prozent der Wirtschaftsleistung von der Schuldenbremse ausgenommen.

Zudem soll ein Sondervermögen von 500 Milliarden Euro für Infrastruktur eingerichtet werden, davon allein 100 Milliarden für den Klimatransformationsfonds. Kein Wunder also, dass die Grünenvorsitzende Franziska Brantner am Montag nach der Vorstandssitzung sagen kann, dass das Paket nun eindeutig besser sei. „Bei uns Grünen ist die Stimmung positiv“, sagt sie. Als sie gefragt wird, ob ihr Abgeordnete bekannt seien, die dagegen stimmen wollen, sagt sie, dass sie davon keine Kenntnis habe. Sie wisse, dass die Fraktionsführung Gespräche geführt habe.

Allzu viele Abweichler wie Czaja können sich Union, SPD und Grüne nicht erlauben. Wenn an diesem Dienstag der alte Bundestag zum zweiten Mal zu einer Sondersitzung zusammenkommt, steht wieder nur ein Punkt auf der Tagesordnung: „Änderung des Grundgesetzes (Artikel 109, 115, 143h, 87a)“. In diesem alten Bundestag haben Union, SPD und Grüne 520 Abgeordnete – 31 mehr, als es für die Zweidrittelmehrheit braucht. Abgestimmt wird namentlich nach einer dreistündigen Debatte.

„Man erwartet von uns einen Blankoscheck“

Für die Union ist der Weg zur Zustimmung besonders weit. SPD und Grüne werben seit Langem für die grundsätzliche Reform der Schuldenbremse. Merz hat seinen Wahlkampf zum guten Teil auf das Versprechen aufgebaut, durch Sparen und Reformen Geld zusammenzubringen. Nun mutet er seinen Abgeordneten zu, für ein riesiges Schuldenpaket zu stimmen. Dafür braucht er noch dazu Parlamentarier, die aus dem Bundestag ausscheiden, manche freiwillig, andere ungewollt. Man kann sich vorstellen, dass mancher sich weniger gebunden fühlt, als wenn er im nächsten Parlament noch dabei wäre. Die F.A.Z. hat eine Umfrage unter den ausscheidenden Abgeordneten von Union, SPD und Grünen gemacht, wie sie abstimmen würden. Manche wollten nicht antworten, aber viele haben es getan.

Besonders eindrücklich beschreibt der nordrhein-westfälische CDU-Abgeordnete Hans-Jürgen Thies im Gespräch mit der F.A.Z. seine Schwierigkeit im Umgang mit dem Schuldenplan. Man könne als ausscheidender Abgeordneter keinen Einfluss mehr auf den weiteren Verlauf der Gesetzgebung in der nächsten Legislaturperiode nehmen, daher sei ein kritischer Blick auf das Vorhaben wichtig. „Man erwartet von uns einen Blankoscheck“, sagt der 1955 geborene Thies noch am vorigen Freitag kurz vor einer Sitzung der Unionsfraktion im Bundestag. Er habe einen Brief mit Fragen an Merz geschickt: „Wo sind die Sparbemühungen?“

Über das Wochenende will er nachdenken, wie er sich am Dienstag verhält. Am Montag schreibt er dann: „Ich werde wohl letztlich für den Gesetzentwurf stimmen, weil ich ein Scheitern der Koalitionsverhandlungen und womöglich vorgezogene Neuwahlen vor der Sommerpause mit dann desaströsem Ausgang für die Union verhindern will.“

Jens Koeppen will nicht zur Sitzung kommen

Jens Koeppen, CDU-Abgeordneter aus Brandenburg, schreibt auf seiner Homepage, er werde nicht zur Sitzung kommen. Wie die anderen Fraktionsspitzen, so bemüht sich auch diejenige der Union, ihre Abgeordneten an Bord zu bekommen und natürlich die Unwilligen zur Zustimmung zu bewegen. Zwei Abgeordnete kommen aus nicht politischen Gründen nicht, heißt es am Montagnachmittag in der Fraktion, zwei oder drei wollten mit Nein stimmen. Man sei guter Hoffnung.

Viele derjenigen, die von der F.A.Z. angeschrieben wurden, rechtfertigen diese Zuversicht. Bettina Wiesmann, Christdemokratin aus Frankfurt, kündigt Zustimmung an, äußert aber die „klare Erwartung“, dass der Staatshaushalt saniert werde. „Mittelfristig müssen Erhaltungs- und Modernisierungsinvestitionen für unsere Infrastruktur ebenso wie unsere Verteidigungsausgaben wieder komplett aus dem Kernhaushalt finanziert werden.“ Auch die scheidende Abgeordnete Astrid Mannes verknüpft ihre Zusage, den Grundgesetzänderungen zuzustimmen, an die Erwartung, dass es „klare Tilgungspläne“ gibt und „fiskalische Disziplin“.

Auch bei der SPD kann man am Montag Abweichler zwar nicht ausschließen. Generalsekretär Matthias Miersch sagt aber, er erwarte eine „hohe Zustimmungsquote“. So war es auch bei den Rückmeldungen der Abgeordneten aus seiner bisherigen Fraktion, die im neuen Bundestag nicht mehr vertreten sein werden. Zahlreiche Abgeordnete schrieben mal kurz, mal mit sehr detaillierten Begründungen, dass sie dem Paket zustimmen wollen.

Das Bundesverfassungsgericht muss über weitere Anträge entscheiden

Lennard Oehl etwa schreibt, er stimme aus Überzeugung zu. Kevin Leiser sagt: „Die Ampelkoalition hatte sich finanziell beide Arme auf den Rücken gebunden.“ Es sei gut, dass die CDU „nun dank uns die finanzpolitischen Realitäten dieses Landes anerkennt“. Mathias Papendieck will ebenfalls zustimmen und hat gerade mit Blick auf die Infrastruktur auch schon ganz konkrete Projekte im Blick: den Bau einer Umgehungsstraße in Neuzelle etwa oder den Ausbau der Schleuse in Fürstenwalde. Offen bekennt bei den Antworten niemand, ablehnen zu wollen. Nur Herbert Wollmann zeigt sich zögerlich. Er wolle seine Entscheidung auch von dem Verlauf der Fraktionssitzung am Montagabend abhängig machen.

Am Montagnachmittag kommen auch die Grünen zu einer Fraktionssitzung zusammen. Zuvor hatte es bereits eine einstellige Zahl an Krankmeldungen gegeben, auch diese Stimmen werden am Dienstag fehlen. Auf die F.A.Z.-Anfrage kommen zwar einige Rückmeldungen. Bei denen ist allerdings vor allem auffällig, dass im Gegensatz zu den Rückmeldungen aus Union und SPD sich fast kein Abgeordneter dazu äußern will, wie er abzustimmen gedenkt. Zu den Ausnahmen zählt Philip Krämer: „Ja, ich werde zustimmen.“ Und Erhard Grundl schreibt: „Nicht alles an der Einigung gefällt mir, aber es gibt historische Momente, wo die Parteipolitik hintangestellt werden muss.“ In Parteikreisen ist man zuversichtlich, dass eine Mehrheit zustande kommt. Nur eine Abgeordnete kündigte an, dagegen zu stimmen.

In Karlsruhe versuchen unterdessen weitere Abgeordnete, die nicht zu Union, SPD und Grünen gehören, das Gesetzgebungsverfahren durch das Verfassungsgericht noch aufhalten zu lassen. Zu ihnen zählen mehrere Mitglieder der AfD-Fraktion, die parteilose Abgeordnete Joana Cotar sowie die drei FDP-Abgeordneten Florian Toncar, Otto Fricke und Thorsten Lieb. Sie handelten „mit Wohlwollen“ ihrer Fraktion, sagt Toncar der F.A.Z. Nach Informationen der F.A.Z. hatte es in der FDP auch Überlegungen gegeben, als Fraktion nach Karlsruhe zu ziehen.

Toncar argumentiert vor allem mit den Änderungen, die den Gesetzentwürfen am Wochenende hinzugefügt wurden. Die habe man bewusst abgewartet. Nun erwiesen sie sich als gravierend – und kurzfristig. Den Abgeordneten bleibe nicht genügend Zeit, um ihre Mitwirkungsrechte wahrzunehmen. Er und seine zwei Parteikollegen berufen sich auf den vorläufigen Beschluss des Verfassungsgerichts zum Heizungsgesetz von 2022. Darin gestanden die Richter den Abgeordneten angesichts der Komplexität des Vorhabens mehr Zeit zu. Doch so komplex wie das Heizungsgesetz sind die nun geplanten Verfassungsänderungen nach allgemeiner Auffassung nicht. Am Freitag waren in Karlsruhe mehrere Anträge gescheitert, auch solche, die sich auf zu kurze Fristen stützten.