Der alte Bundestag entscheidet am Dienstag in einer Sondersitzung über mehrere Grundgesetzänderungen, die der künftigen Bundesregierung die Aufnahme von Schulden in bislang nie dagewesener Höhe ermöglichen soll (ab 10 Uhr). Geplant ist die Lockerung der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben und für die Länder. Zudem soll ein Sondervermögen in Höhe von 500 Milliarden Euro für zusätzliche Investitionen in die Infrastruktur und zur Erreichung der Klimaneutralität bis 2045 eingerichtet werden.
Wer beschließt das Paket?
Auf die Grundzüge hatten sich Union und SPD gleich zu Beginn ihrer Sondierungen für eine künftige schwarz-rote Regierungskoalition verständigt. Allerdings muss dafür das Grundgesetz geändert werden. Für die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit werden daher die Stimmen der Grünen benötigt.
Auf das Finanzpaket in der jetzigen Fassung hatte sich eine Spitzenrunde von Union, SPD und Grünen am Freitag verständigt, nachdem die Grünen Änderungen durchgesetzt hatten. Der Bundestag soll das Paket am Dienstag noch in seiner alten Zusammensetzung beschließen. Im neuen Bundestag können AfD und Linke zusammen Zwei-Drittel-Mehrheiten verhindern. Der Bundesrat soll am 21. März zustimmen.
Wie wahrscheinlich ist die Zustimmung?
Die Bundestagsmehrheit gilt als wahrscheinlich, weil sich die Fraktionsspitzen von Union, und Grünen auf die Zustimmung ihrer Fraktionen geeinigt haben. Es wird mit vereinzelten Gegenstimmen gerechnet: Insgesamt 31 Abweichler dürfen sich die drei Fraktionen leisten, ohne die entsprechende Mehrheit zu gefährden.
Im Bundesrat ist die Mehrheitsbildung komplizierter, weil die Zustimmung von den Landesregierungen, an denen nur Union, SPD und Grüne beteiligt sind, nicht ausreicht. Union, SPD und Grüne müssen daher auf Landesebene auch bei Vertretern von FDP, Linken und Freien Wählern Überzeugungsarbeit leisten. Die drei Parteien befürworten die Pläne auf Bundesebene nicht.
Was ist geplant?
Über drei Hebel wird die Schuldenaufnahme ausgeweitet: Für Verteidigung wie auch für Zivilschutz, Nachrichtendienste und Militärhilfe für die Ukraine wird die Schuldenbremse gelockert. Aus neuen Schulden kann der Bund zudem einen Ausgabentopf von bis zu 500 Milliarden Euro für Investitionen in Infrastruktur und Klimaschutz auflegen. Legt man Verteidigungsausgaben von bis zu drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts jährlich zugrunde, wird eine zusätzliche Neuverschuldung des Bundes von einer Billion Euro oder mehr ermöglicht. Zudem wird eine Nettoneuverschuldung der Länder ermöglicht.
Auf einen Schlag würden mit dem Paket neue Schulden in einem Volumen ermöglicht, wie es dies in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht gegeben hat. Es fallen gleich mehrere Hürden für die Kreditaufnahme, Geld fließt vorerst aber noch keines.
Zur Befüllung etwa des geplanten 500 Milliarden Euro Sondervermögens muss der neu gewählte Bundestag erst noch mit einem Errichtungsgesetz die Kreditermächtigungen beschließen. Und auch bei der neuen Möglichkeit der strukturellen Neuverschuldung für die Länder bleiben viele Fragen offen.
Was soll bedeutet das für Verteidigung und Sicherheit?
Die größte finanzielle Tragweite hat möglicherweise die Lockerung der Schuldenbremse für Ausgaben, die unter einen erweiterten Verteidigungsbegriff fallen. Zum einen gibt es dafür in der neuen Regelung faktisch keine Kreditobergrenze mehr – und zum anderen verschafft sich Schwarz-Rot im Kernhaushalt zusätzlich Spielraum von annähernd 20 Milliarden Euro zur Finanzierung anderer Ausgaben.
Demnach fallen „Ausgaben des Bundes für den Zivil- und Bevölkerungsschutz sowie für die Nachrichtendienste, für den Schutz der informationstechnischen Systeme und für die Hilfe für völkerrechtswidrig angegriffene Staaten“ ab einer Höhe von mehr als einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) nicht unter die Schuldenbremse. Ein Prozent des BIP entsprach 2024 rund 43 Milliarden Euro. Darunter fällt auch die Militärhilfe an die Ukraine, die für 2025 mit vier Milliarden Euro geplant ist und zu der wohl demnächst weitere drei Milliarden Euro hinzukommen.
Verteidigungsminister (SPD) hatte jüngst gesagt, man rede über einen Verteidigungsaufwand von eher drei als zwei Prozent des BIP jährlich. Allein das wären auf Grundlage des BIP 2024 etwa 129 Milliarden Euro pro Jahr.
Für 2025 verschafft sich Schwarz-Rot damit im Haushalt zusätzlichen Spielraum von 18,76 Milliarden Euro, wie sich aus einer Zusammenstellung der Haushaltsansätze durch den FDP-Haushälter Otto Fricke ergibt. Bis 2028 betrüge der Spielraum insgesamt 67,43 Milliarden Euro, wenn jährlich sieben Milliarden Euro als Ukraine-Militärhilfe angenommen werden.
Wozu ein Sondervermögen?
In einem neuen Artikel 143h des Grundgesetzes soll es künftig heißen: „Der Bund kann ein Sondervermögen mit eigener Kreditermächtigung für zusätzliche Investitionen in die Infrastruktur und für zusätzliche Investitionen zur Erreichung der Klimaneutralität bis 2045 mit einem Volumen von bis zu 500 Milliarden Euro errichten.“ Zudem wird im Grundgesetz festgehalten, dass die dafür erforderlichen Kredite nicht unter die Schuldenbremse fallen. Das Sondervermögen soll für einen Zeitraum von zwölf Jahren gelten.
Die Grünen setzten in den Verhandlungen auch für Klimaschutz verwendet werden soll. Aus dem Topf werden 100 Milliarden Euro dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) zugeführt, 100 Milliarden Euro stehen den Ländern für Investitionen in deren Infrastruktur zu. Wofür das Geld vom Bund aber ganz konkret ausgegeben wird, entscheidet der neu gewählte Bundestag erst mit dem jeweiligen Bundeshaushalt. Dafür reicht dann etwa die Mehrheit von Union und SPD.
Auch die „Zusätzlichkeit“ der Investitionen wurde von den Grünen in den Entwurf verhandelt. Voraussetzung für den Abruf der Kredite ist demnach eine „angemessene Investitionsquote“ im Bundeshaushalt, die mindestens zehn Prozent des Gesamtetats betragen soll. Das wären für 2025 auf Grundlage der vorläufigen Etatplanung knapp 49 Milliarden Euro, Sondervermögen und finanzielle Transaktionen werden dabei nicht mitgezählt – alles, was über diese Summe hinausgeht, würde nicht unter die Beschränkungen der Schuldenbremse fallen. Ohne das Kriterium der „Zusätzlichkeit“ bestand auf Seiten der Grünen die Sorge, Union und SPD könnten ohnehin geplante Investitionen vom Kernhaushalt in das Sondervermögen verschieben und so Platz schaffen für politisch gewünschte Ausgaben an anderen Stellen.
Was ändert sich für die Länder?
Auch für die Länder gibt es künftig die Möglichkeit der strukturellen Neuverschuldung, und zwar in gleicher Höhe wie laut Schuldenbremse für den Bund. Alle Länder zusammen dürfen neue Schulden in Höhe von bis zu 0,35 Prozent des BIP machen. Das entspricht derzeit etwa einer Summe von 15 Milliarden Euro. Die Aufteilung der jeweils zulässigen Kreditaufnahme auf die Länder soll ein Bundesgesetz regeln.
Die Neuregelung für die Länder ist aber noch mit rechtlichen Fragen versehen, etwa zur Verteilung des Kreditspielraums auf die Länder und zur Frage, inwiefern die Grundgesetzänderung hierzu Landesrecht aufheben darf. Dies ist aus Sicht von Union und SPD wichtig, weil es in vielen Ländern nicht die notwendigen Mehrheiten für eine Lockerung der Schuldenbremse gibt. Laut einer Übersicht des Münchener Ifo-Instituts können nur Berlin, Nordrhein-Westfalen, Thüringen und das Saarland ihre per Gesetz mit einfachen Mehrheiten lockern.