Wie Russland, Iran und China Einfluss nehmen könnten

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Russland hat bereits 2016 versucht, die amerikanische Präsidentschaftswahl zu beeinflussen. Nun ist die Feindschaft mit den USA noch grösser geworden. Auch China und Iran mischen mit.

Illustration Simon Tanner / NZZ

Zwei Tage vor dem Wahltermin im Januar kamen die Anrufe. Eine Stimme forderte Tausende Demokraten in New Hampshire auf, sich nicht an den anstehenden Vorwahlen zu beteiligen. Die meisten der Angerufenen dürften die Stimme erkannt haben. Sie klang wie jene des amerikanischen Präsidenten Joe Biden.

Doch in Wirklichkeit war die Stimme gefälscht. Generiert mit künstlicher Intelligenz. Diese Robocalls, wie solche automatisierten Anrufe genannt werden, sorgten für Verunsicherung.

Die Aktion ist ein Vorgeschmack darauf, wie KI die amerikanischen Präsidentschaftswahlen im November beeinflussen könnte. Dass es solche Versuche feindlicher Staaten geben wird, ist anzunehmen. Denn die geopolitische Konstellation gestaltet sich derzeit wenig erfreulich für die USA.

Mit dem Krieg in der Ukraine hat sich eine antiwestliche Allianz gebildet, zu der Russland, China und Iran gehören. Diese tritt immer offener gegen den gemeinsamen Feind USA auf. Die autoritären Regime schrecken nicht davor zurück, mit verdeckten Operationen die Wahlen oder zumindest die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Dieses Jahr haben sie mit künstlicher Intelligenz ein zusätzliches Mittel zur Hand, das solche Aktionen vereinfacht. Robocalls mit gefälschten Stimmen sind nur ein Szenario.

Die Palette möglicher Angriffe auf demokratische Wahlen ist sehr breit. Denkbar sind Cyberattacken auf die elektronischen Wahlmaschinen, um Resultate zu verfälschen, oder auf die Wahlbehörden, um zum Beispiel nicht existierende Wähler zu registrieren. Oder es kann Versuche von Beeinflussung der Wählerschaft mit Falschinformationen geben – mit oder ohne Hilfe der künstlichen Intelligenz. Es gibt bereits Hinweise auf iranische Aktivitäten, welche hinter der Weitergabe interner Dokumente der Republikaner an die Medien stehen könnten.

China ist die grosse Unbekannte

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass die amerikanischen Wahlen mehrmals Ziel von verdeckten Operationen gegnerischer Staaten waren. Russland mischte sich 2016 mit aufsehenerregenden hybriden Aktionen in das Duell zwischen Donald Trump und Hillary Clinton ein – und traf damals auf ein völlig unvorbereitetes Gegenüber. 2020 führte Iran ebenfalls Beeinflussungsoperationen durch. China hingegen hatte sich in früheren Jahren eher zurückgehalten. Die grosse Frage ist, wie stark sich Peking dieses Jahr einmischen wird.

Um die Risiken für die Präsidentschaftswahlen in den USA abzuschätzen, müssen die Operationen nicht nur nach ihrem möglichen Schaden beurteilt werden, sondern auch nach der Wahrscheinlichkeit, mit der sie durchgeführt werden. So wäre es verheerend für die Wahl, wenn es einem Angreifer gelänge, in die Wahlmaschinen einzudringen – und dort die Stimmenzahl direkt zu verändern.

Es gehe auch darum, die Bevölkerung psychologisch auf mögliche Aktionen vorzubereiten: John Hultquist, Chefanalyst der IT-Sicherheitsfirma Mandiant.

Es gehe auch darum, die Bevölkerung psychologisch auf mögliche Aktionen vorzubereiten: John Hultquist, Chefanalyst der IT-Sicherheitsfirma Mandiant.

PD

Doch Wahlmaschinen zu hacken, sei schwierig. Das sagt John Hultquist, Chefanalyst der IT-Sicherheitsfirma Mandiant, im Gespräch mit der NZZ. Er beschäftigt sich seit Jahren mit Geopolitik und Bedrohungen im Cyberraum. «Vielleicht wäre es in einem beschränkten Umfang irgendwo möglich», sagt er. Aber die Systeme seien in den USA stark voneinander isoliert und würden von verschiedenen Organisationen kontrolliert. Zudem seien Kontrollmechanismen eingeführt worden, sagt Hultquist. «Deshalb ist es ziemlich schwierig, die Wahl mittels eines Cyberangriffs direkt zu manipulieren.»

Die staatlichen Gruppen gehen deswegen meist anders vor: Anstatt die Resultate direkt zu verändern, erwecken sie nur den Eindruck, dass die Wahlen gefälscht wurden. Das zieht die Legitimität der gesamten Wahl in Zweifel.

Solche Operationen sind sehr wahrscheinlich, weil sie einfacher auszuführen sind. Die Wirkung entfaltet sich auf psychologischer Ebene. Der Angriff zielt auf das Vertrauen in den demokratischen Prozess. Gibt es Zweifel daran, dass der Wahlvorgang korrekt abläuft, verlieren auch die Resultate ihre Glaubwürdigkeit. Das kann zu gewaltsamen Krawallen führen, wie der Sturm aufs Capitol am 6. Januar 2021 zeigt.

Iran und Russland führten bereits hybride Aktionen durch

Wie eine solche Beeinflussungsaktion ablaufen kann, zeigte der Wahlkampf vor vier Jahren. Iran führte damals eine kombinierte Operation durch, in der gestohlene Daten aus einem Cyberangriff für Desinformation verwendet wurden. Im Herbst 2020 gelang es iranischen Angreifern, in das IT-System eines Gliedstaats einzudringen und dort Informationen über mehr als 100 000 Wähler zu entwenden.

Später tauchte auf sozialen Plattformen ein gefälschtes Video auf, in dem angeblich zu sehen war, wie die Betrüger in eine Wahlplattform eindringen und dort gefälschte Briefwahlstimmen erzeugen. Das Eindringen war jedoch nur auf einem eigenen Server inszeniert. Die zuvor gestohlenen, echten Wählerinformationen wurden dazu verwendet, dem Video Glaubwürdigkeit zu verleihen.

Solche kombinierten Aktionen, in denen tatsächliche Cyberangriffe mit Informationsoperationen vermischt werden, sind für die anstehenden Präsidentschaftswahlen in den USA das grösste Risiko. Denn sie sind nicht allzu schwer durchzuführen und können dennoch eine grosse Wirkung erzielen.

Nicht nur Iran hat Operationen dieser Art bereits durchgeführt. In den amerikanischen Präsidentschaftswahlen von 2016 wollte der Kreml die Demokraten und ihre Kandidatin Clinton mit einer sogenannten «Hack and Leak»-Operation desavouieren. Dazu stahlen die Angreifer echte E-Mails und publizierten diese online – teilweise mithilfe der Plattform Wikileaks. Darin ging es zum Beispiel um interne Konflikte der Demokraten.

Die grosse Frage ist, ob China sich ebenfalls solcher Methoden bedienen wird. In früheren US-Wahlen hatte sich Peking mit kombinierten Aktionen wie «Hack and Leak» zurückgehalten. Allerdings ist zu beobachten, dass Peking zunehmend das russische Drehbuch für Beeinflussungsoperationen übernimmt. Der Wille in Peking, die öffentliche Meinung im Ausland zu beeinflussen, steigt.

China ist bereits seit einigen Jahren sehr aktiv mit reinen Informationsoperationen gegen den Westen. Dabei geht es dem Regime zum Beispiel darum, demokratische Prozesse generell in einem schlechten Licht darzustellen. Oft werden auch bestehende Konflikte in der Gesellschaft befeuert, zum Beispiel mit polarisierenden Aussagen oder gar Falschinformationen auf sozialen Plattformen.

China setzt dabei bereits heute stark auf künstliche Intelligenz. Im Vorfeld der Wahlen in Taiwan Anfang Jahr kam es zu einer grossen chinesischen Kampagne gegen die chinakritische Partei DPP. Die Akteure verbreiteten dazu zahlreiche Videos, die mithilfe künstlicher Intelligenz erstellt wurden. Darin berichteten vermeintliche Nachrichtensprecher über unwahre Vorwürfe gegen die abtretende Präsidentin Taiwans.

Geopolitische Lage ist für die USA ungemütlich

Die USA sehen sich im gegenwärtigen Präsidentschaftswahlkampf gleich mit zwei Risiken konfrontiert: mit künstlicher Intelligenz und mit der geopolitischen Lage. Der Konflikt zwischen dem Westen und autoritären Staaten wie Russland, China und Iran hat sich in den letzten Jahren zugespitzt. Russland dürfte seit dem Ukraine-Krieg kaum noch Hemmungen haben, Beeinflussungsoperationen gegen die USA durchzuführen. Solche Aktionen könnten eine Möglichkeit sein, sich für Waffenlieferungen oder Sanktionen zu rächen, ohne eine ernsthafte Eskalation zu riskieren.

Dank künstlicher Intelligenz können Akteure nun hybride Aktionen einfacher und breiter durchführen – und sie erscheinen möglicherweise auch überzeugender. Die neue Technologie lässt Fälschungen glaubwürdiger aussehen. Sie ermöglicht es den Angreifern zum Beispiel auch, echte Daten wie E-Mails aus einem Cyberangriff einfacher mit gefälschten Informationen zu mischen.

Entscheidend für das Gelingen einer verdeckten Operation kann der Faktor Zeit sein. Denn um eine gegnerische Beeinflussungsaktion als solche zu enttarnen, brauche es Zeit, sagt Hultquist. Eine staatliche Gruppe könnte nur wenige Stunden vor der Stimmabgabe aktiv werden, befürchtet er. «Eine solche Aktion in letzter Minute wäre die effektivste Art, die Wahlen zu beeinflussen.»

Denkbar sind dabei verschiedene Szenarien. Feindliche Akteure könnten in entscheidenden Wahlbezirken eines umkämpften Gliedstaats am Tag vor der Präsidentschaftswahl im November mit Robocalls die Wähler darüber informieren, dass ihr Wahllokal wegen eines Brands oder einer Überschwemmung geschlossen sei – und sie woanders wählen gehen müssten. Das könnte den einen Kandidaten einige hundert entscheidende Stimmen kosten.

Möglich wäre auch, dass die gegnerischen Akteure wenige Tage vor der Wahl interne Informationen der einen Seite publizieren, die sie vorab mittels eines Cyberangriffs entwendet haben. Unter den echten Dokumenten befinden sich auch einige Fälschungen, welche auf sozialen Plattformen rasch aufgegriffen werden.

Ein weiteres Szenario wäre, dass die gegnerische Gruppe in das Redaktionssystem einer amerikanischen Zeitung wie der «Washington Post» eindringt. Am Vortag der Präsidentschaftswahl publizieren die ausländischen Akteure einen gefälschten Artikel mit falschen Vorwürfen an einen der Kandidaten. Bis die Aktion entdeckt ist und die Medien darüber berichten, ist die Wahl bereits vorüber.

Die Szenarien sind nicht aus der Luft gegriffen. Vor den französischen Präsidentschaftswahlen 2017 etwa publizierten mutmassliche russische Akteure gestohlene E-Mails der Kampagne von Emmanuel Macron. Dies geschah wenige Stunden vor dem Wahlsonntag, wenn in Frankreich eine Stillhaltepflicht für die Medien und die Kandidierenden gilt. Die Diskussion über die #MacronLeaks fand deshalb auf sozialen Plattformen statt, wo sich rasch der entsprechende Hashtag etablierte. Die publizierten Dokumente sollen in Teilen auch manipuliert worden sein.

Vor der Präsidentschaftswahl 2020 gelang es iranischen Angreifern, in das Redaktionssystem des Medienunternehmens Lee Enterprises einzudringen. Dabei handelt es sich um eine der grössten Verlagsgruppen in den USA mit mehreren Dutzend regionalen Tageszeitungen und weiteren Publikationen.

Die Angreifer testeten, ob sie Artikel erstellen und verändern können. Als sie am Tag nach dem Wahlgang auf das Redaktionssystem zugreifen wollten, um vermutlich falsche Informationen über die Wahlen zu verbreiten, war der Zugang gesperrt. Das FBI hatte den Verlag vorab gewarnt.

US-Behörden rechnen mit Gewalt und Deepfakes

Russland ist zuzutrauen, auch mit weiteren verdeckten Operationen auf den Wahlkampf Einfluss zu nehmen. Das könnten Anschläge auf Einrichtungen von Minderheiten wie Juden oder Muslimen sein, um so den bestehenden Konflikt um den Krieg im Gazastreifen in der amerikanischen Gesellschaft anzuheizen. Denkbar ist auch das Anzetteln von Protesten oder das Provozieren von Ausschreitungen an Demonstrationen.

Dass Russland solche Mittel einsetzt, zeigt sich in Europa. So kam es in den letzten Monaten in Polen und Litauen zu Brandanschlägen, die vermutlich im Auftrag des Kremls ausgeführt wurden. Moskau soll auch hinter Davidsternen stehen, welche nach dem Terrorangriff der Hamas im vergangenen Oktober auf Hauswänden in Berlin, Paris und anderen Städten aufgetaucht sind. In der Öffentlichkeit entstand der Eindruck von judenfeindlichen Sprayereien, was das Ziel der Operation gewesen sein dürfte.

Die amerikanischen Behörden schliessen solche Aktionen zur Wahlbeeinflussung nicht aus. Hochrangige Beamte im Weissen Haus übten im letzten Dezember laut dem Nachrichtensender CNN entsprechende Szenarien. Die Behörden spielten etwa den Fall durch, dass am Wahltag in Stimmlokalen Gewalt ausbricht. Oder dass staatliche chinesische Akteure ein KI-generiertes Video publizieren, in dem ein Senatskandidat Wahlzettel zerstört.

Die Übung zeigt, dass die USA besser vorbereitet sind als noch 2016. Damals waren die Öffentlichkeit, die sozialen Plattformen und die Behörden von den russischen Aktivitäten überrascht worden. «Wir sind jetzt in einer viel besseren Ausgangslage», sagt Hultquist. Es gebe zwischen den involvierten Organisationen eine intensive Zusammenarbeit, und über die ausländischen Gruppen, die in der Vergangenheit Wahlen zu beeinflussen versucht haben, würden auch international Information ausgetauscht. Dadurch sollen diese Aktivitäten frühzeitig erkannt und gestoppt werden.

Es sei durchaus möglich, die Angreifer rechtzeitig zu erwischen, sagt Hultquist. Ein Beispiel dafür sei der Ukraine-Krieg. Dort hätten die Russen versucht, in ukrainische IT-Systeme einzudringen. Viele Angriffe habe man abwehren können, «dank aussergewöhnlichen nachrichtendienstlichen Bemühungen». Zudem kann der Einsatz von KI auch bei der Abwehr von Cyberattacken oder beim Erkennen von Desinformationskampagnen helfen.

Doch Beeinflussungsoperationen komplett zu unterbinden, ist kaum möglich. Deswegen gehe es auch darum, die Bevölkerung «psychologisch auf mögliche Aktionen vorzubereiten», wie es Hultquist ausdrückt. Wenn Politiker, Behörden oder Medien mögliche Aktionen im Voraus thematisieren, können sie an Wirkung verlieren. Die Bevölkerung lässt sich möglicherweise nicht täuschen. Im besten Fall hält dann ein ungewöhnlicher Anruf kurz vor dem Wahltag die Wähler nicht davon ab, für ihren Kandidaten zu stimmen.