Türkischer Unternehmer will der Erste sein

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Zuletzt lief es nicht so gut für Ali Koç. In der UEFA Europa League schied sein Klub, dem er seit sieben Jahren als Präsident vorsteht, gegen die Glasgow Rangers aus, in der türkischen Fußballliga Süper Lig stolpert das Team dem Lokalrivalen Galatasaray im Kampf um einen Meistertitel auf Platz zwei hinterher, gegen Verfolger Samsunspor gelang nur ein torloses Unentschieden.

In den vergangenen Tagen hat der durch die Verhaftung des türkischen Oppositionsführers Ekrem İmamoğlu ausgelöste Kursrutsch an der Börse Istanbul das Familienunternehmen Koç viele Millionen Dollar gekostet.

Schon vorher kamen aus dem größten Konglomerat der Türkei, das er mit seinem Bruder Ömer führt, nicht ganz so gute Nachrichten. Der Umsatz verharrte 2024 auf 66 Milliarden Dollar, der Gewinn nach Steuern brach wegen Megainflation, Rekordzinsen, der flauen Konjunktur und verschärften Wettbewerbs um 99 Prozent auf 37 Millionen Dollar ein.

Größte Wirtschaftsdynastie der Türkei

Das alles kann einem Erfolgsmenschen wie den 57 Jahre alten Spross der wichtigsten Wirtschaftsdynastie der Türkei nicht gleichgültig sein. Sagt er doch: „Erster zu sein, ist sehr wichtig für uns.“

Es dauert keine halbe Minute, bis der Satz in Koçs engagierter Rede zum Produktionsstart vollelektrischer Autos im rumänischen Craiova fällt. Der Verwaltungsratschef von Ford Otosan redet zwar nicht als Erster, aber selbstbewusst und gut doppelt so lang wie der wenig inspiriert wirkende Ministerpräsident Ion-Marcel Ciolacu vor ihm. Selbstredend sind die von Ford Otosan produzierten E-Autos auch die ersten aus rumänischer Produktion.

Vornweg zu laufen, hat Vehbi Koç, der das Unternehmen vor 99 Jahren in Ankara gründete, in dessen DNA eingeschrieben: Koç gründete laut Firmenhistorie die erste Aktiengesellschaft des Landes, das erste Industrieunternehmen der Türkei, ging als erstes türkisches Unternehmen eine internationale Partnerschaft ein (mit Ford) und war das erste türkische Unternehmen an der Börse. Koç ist das einzige türkische in der Fortune-Liste der weltweit größten Unternehmen (Platz 194).

504 Millionen Dollar für einen Yachthafen

Vier der zehn größten Industrieunternehmen der Türkei gehören zum Konglomerat: das größte Raffinerieunternehmen, Tüpras, die bedeutendsten Autobauer Ford Otosan und Tofac sowie Arcelik, der größte Hersteller von Kühlschränken, Elektroherden, Waschmaschinen und anderen im Haushalt nützlichen Geräten. Voriges Jahr verleibte sich Arcelik das Europageschäft von Whirlpool ein. Dort haben auch Marken wie Grundig oder Elektra Bregenz Platz gefunden. Zu den wichtigen Standbeinen der Gruppe gehört das Finanzgeschäft, unter anderem mit Yapi-Kredit, einer der großen Banken im Land. Unlängst erweiterte man das Geschäft um eine Marina. Der 40 Jahre laufende Pachtvertrag mit dem Staat für den Yachthafen in Fenerbahçe war Koç 504 Millionen Dollar wert.

Als der größte Autobauer und größte Exporteur des Landes reklamiert Koç sieben Prozent der Exporte und einen ebenso hohen Anteil am Bruttoinlandprodukt für sich. Ende vergangenen Jahres entfielen 19 Prozent oder 43 Milliarden Euro der Börsenkapitalisierung des Istanbuler Aktienmarktes auf zehn dort gelistete, mit dem Koç-Imperium verbundene Unternehmen. Es ist immer nur ein kleiner Teil der Aktien am Markt, der überwiegende Teil liegt bei der Familie, oder man teilt sie sich mit Partnern – wie Ford Otosan. An dem Unternehmen halten Ford und Koç je 41 Prozent, der Streubesitz beträgt 18 Prozent.

Das internationale Engagement wächst

Es gibt wenig, was in dem Familienunternehmen mit 132.000 Beschäftigten in 131 Werken und Verkaufsbüros in 60 Ländern nicht hergestellt oder feilgeboten wird. Immer mehr davon wird im Ausland hergestellt. Voriges Jahr investierte der zur Gruppe gehörende Weiße-Ware-Hersteller Beko in Ägypten und Bangladesch 188 Millionen Dollar in den Aufbau neuer Produktionslinien.

In Rumänien, berichtet Koç dem Ministerpräsidenten stolz, habe man 900 Millionen Dollar investiert: in die Autofabrik in Craiova, die Produktion von Kühlschränken und Waschmaschinen und die Herstellung gepanzerter Fahrzeuge für die Armee. Eine große Photovoltaikanlage stehe vor der Inbetriebnahme, und überdies suche man ein Grundstück für den Bau eines Großkrankenhauses. Denn im Gesundheitswesen ist die Gruppe auch aktiv. Auf 4,4 Milliarden Dollar beziffert das Unternehmen seine Investitionen im vergangenen Jahr, seit 2019 seien es 14 Milliarden Dollar gewesen.

Das internationale Engagement der nationalen Ikone wächst. Das gefällt nicht allen: „Wenn wir im Ausland investieren, heißt es, wir würden aus dem Land fliehen“, beklagte sich Koç unlängst im Bloomberg-TV. Doch das stimme nicht. Andererseits nutze er die Gelegenheit, um für jene Berechenbarkeit zu werben, die Investoren benötigten: „Das Recht ist sehr wichtig. Es ist nicht einfach, Investoren in Länder zu locken, in denen das Rechtssystem nicht funktioniert.“

Prekäre Rechtslage in der Türkei

Das klang wie ein Kommentar zur aktuellen Lage in der Türkei. War es doch erst wenige Tage her, dass Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan die Führung des Wirtschaftsverbands Tüsiad, in dem auch Koç als Vizechef eine Rolle spielt, beschimpft und bedroht hatte, weil die es gewagt hatte, die Verhaftungswelle unter Oppositionellen und Journalisten sowie die prekäre Rechtslage in der Türkei zu kritisieren. Staatsanwälte ließen hernach die beiden Tüsiad-Führungsleute zur Vernehmung vorladen. Das war zwei Wochen vor der Verhaftung İmamoğlus und dem dadurch ausgelösten Aufruhr auf den Straßen und an den Finanzmärkten.

Politisch agiert die Koç-Familie gemeinhin eher ohne scharfes Profil. Engere persönliche oder politische Verbindungen zu Erdoğan sind nicht bekannt. Ehrenvorsitzender der Holding ist der inzwischen 94 Jahre alte Gründersohn Rahmi. Nach ihm ist das vielen Istanbul-Besuchern bekannte Technikmuseum am Westufer des Goldenen Horns mit seinen Oldtimern, Dampfloks und Schiffen benannt.

Seine Söhne Ömer und Ali leiten die Holding. Beide sind in Großbritannien zur Schule gegangen, haben in Amerika Studienabschlüsse in Wirtschaft erzielt und die internationale Geschäftswelt kennengelernt, bevor Lehrjahre im familieneigenen Konzern anstanden. Der 1962 in Moskau geborene kunstsinnige Ömer, der auch einen Bachelor in Altgriechisch besitzt, führt die Holding seit 2016 als CEO.

Der Fußballmeistertitel soll jetzt her

Ömers Stellvertreter an der Spitze des Verwaltungsrates ist seit 2016 Ali Koç, der 1967 geboren wurde und von dem bekannt ist, dass er verheiratet ist und zwei Kinder hat. Bei Fenerbahçe gehört der Fußballfan seit 2010 zum Präsidium. Seit 2018 und inzwischen in der zweiten Amtszeit steht er dem Verein als Präsident vor. Voriges Jahr hat er den Startrainer José Mourinho für zwölf Millionen Euro Gehalt im Jahr angeheuert.

Mit Mourinho und Koç sollen die inzwischen elf Jahre ohne Meistertitel endlich zu Ende gehen. Fenerbahçe befinde sich in einer Phase der Depression, hatte Koç in einem Interview gesagt und versprochen: „Wir werden sie nächstes Jahr beenden.“ Die Einlösung steht noch aus. An diesem Freitag im Süper-Lig-Spiel in Bodrum könnte er seinem Ziel zumindest einen Schritt näher kommen, bald auch im Fußball zu sein, wo die Koçs sich sehen: ganz vorn.