„Furcht wird die lokalen Systeme gefügig machen.“ So sprach Grand Moff Tarkin, der Kommandant des Todessterns, in der 38. Minute des ersten „Star Wars“-Films in der deutschen Synchronfassung. Was hat dieser Satz in seinem englischen Original über einem mathematischen Fachartikel zu suchen? Ist es ein nerdiges „Lasset alle Hoffnung fahren“ an alle, die nichts mit den Diagrammen der Kategorientheorie anzufangen wissen und sich in topologischen Räumen zu Hause fühlen?
Natürlich, ohne solche Kenntnisse kann man nicht lesen, was Dennis Gaitsgory im Spätsommer des vergangenen Jahres gemeinsam mit Sam Raskin von der Yale University vorgelegt hat. Aufsehenerregend ist es trotzdem. Die beiden Mathematiker schlossen mit dieser Arbeit eine fünfteilige Serie mit insgesamt mehr als 900 Druckseiten ab, in der ein Theorem namens „Geometrische Langlands-Vermutung“ bewiesen wird.
Gaitsgory, seit 2021 Direktor am Bonner Max-Planck-Institut für Mathematik, hatte bereits vor dreißig Jahren als Student in Tel Aviv mit der Arbeit an dem Problem begonnen. Am Ende leitete er zusammen mit seinem früheren Doktoranden Raskin ein insgesamt neunköpfiges Team, dem der Beweis schließlich gelang. Dafür wurde Gaitsgory gestern Nacht in Los Angeles der mit sagenhaften drei Millionen Dollar dotierte Breakthrough Prize for Mathematics verliehen – und Raskin einer der sechs „New Horizon“-Preise für Nachwuchsmathematiker.

Die Breakthrough-Preise – es gibt auch welche für Lebenswissenschaften und Grundlagenphysik – werden von Techmilliardären gestiftet, und ihre Verleihung ist den Oscars nachempfunden. Es soll also Öffentlichkeit hergestellt werden. Aber ist das im Falle des Beweises der geometrischen Langlands-Vermutung überhaupt möglich?
Dem kann man entgegenhalten, dass es bei wissenschaftlichen Fortschritten von einer gewissen Bedeutung an am Ende oft unvermeidlich ist. Wer heute Nachrichten aus der Genforschung oder Astrophysik zur Kenntnis nimmt, kann das, weil er oder sie auch ohne die Befähigung zur Lektüre von Fachliteratur eine Ahnung über die molekulare Basis der Biologie oder über die Möglichkeit einer Krümmung des Raumes mitbringt, die einem frühneuzeitlichen Menschen nicht weniger fremd waren als den meisten Wissenschaftsinteressierten heute die geometrische Langlands-Vermutung.
Die Fermat-Vermutung war ein einfacher Spezialfall
Dabei ist das jetzt prämierte Theorem Teil eines umfassenderen Projektes, dem sogenannten Langlands-Programm, von dem ein Aspekt bereits einmal öffentliches Aufsehen erregte. Das war 1995, als der Brite Andrew Wiles die Fermat’sche Vermutung bewies, der zufolge die Gleichung xⁿ + yⁿ = zⁿ für ganze Zahlen x, y, und z nur erfüllt werden kann, wenn der Exponent n nicht größer als 2 ist.
Was Wiles damals eigentlich bewies, war eine Vermutung, aus deren Richtigkeit die des Fermat folgt. Sie war bereits in den Fünfzigern von den beiden japanischen Mathematikern Yutaka Taniyama und Goro Shimura sowie dem Franzosen André Weil aufgestellt worden – und sie führt auf etwas Verblüffendes: Betrachtet man eine bestimmte Gleichung und setzt dort ganze Zahlen mit bestimmten Eigenschaften ein, dann lässt sich die Zahl der Fälle, in denen die Gleichung aufgeht, an einer Funktion ablesen, die in der sogenannten Fourier-Analysis zu Hause ist.
Damit aber behauptete die Vermutung von Tamiyama, Shimura und Weil die Existenz einer Verbindung zwischen zwei völlig verschiedenen Gebieten der Mathematik: auf der einen Seite die Zahlentheorie, in der es seit der Antike um ganze Zahlen und ihre Bausteine, die Primzahlen, geht, und auf der anderen Seite das Reich kontinuierlicher Funktionen und ihre Zerlegung in Sinus- und Cosinuswellen verschiedener Frequenzen und Amplituden, die der französische Mathematiker Joseph Fourier 1822 beschrieb.
Das Understatement des Jahrhunderts
Verbirgt sich dahinter etwas Allgemeineres? Das fragte sich 1967 der damals in Princeton tätige gebürtige Kanadier Robert Langlands und überlegte, ob sich dann schwierige Probleme der Zahlentheorie in nicht mehr ganz so schwierige der Fourier-Analysis übersetzen lassen könnten. Er formulierte eine Skizze für eine, heute oft als „ursprüngliches Langlands-Programm“ bezeichnete, Suche nach solchen Zusammenhängen in einem Brief an André Weil. Dazu schrieb er: „Ich würde mich freuen, wenn Sie es als reine Spekulation lesen möchten, wenn nicht, bin ich sicher, Sie haben einen Papierkorb zur Hand.“
„Das war das Understatement des Jahrhunderts“, meinte der Mathematiker Edward Frenkel von der University of California in Berkeley einmal zu dieser Notiz. Denn tatsächlich entwickelte sich das Langlands-Programm in den Siebzigerjahren zu einer veritablen mathematischen Gralssuche. „Die ganze Zahlentheorie-Gruppe in Tel Aviv befasste sich mit dem ursprünglichen Langlands-Progamm“, erinnerte sich Dennis Gaitsgory im Gespräch mit dieser Zeitung an das erste Jahr seiner Doktorandenzeit. „Das kannte ich also. Von der geometrischen Langlands-Vermutung aber hörte ich erst, als Alexander Beilinson, der heute in Chicago lehrt, bei uns einen Vortrag hielt. Da war ich überwältigt. Es war so wunderschön.“
Wenn endlich Zahlen und Figuren
Die Ahnung einer Verbindung zur Geometrie hatte André Weil bereits 1940 gehabt. Da waren ihm Analogien zwischen drei verschiedenen mathematischen Disziplinen aufgefallen, darunter die Zahlentheorie und die Geometrie. Mit Letzterer sind hier allerdings weniger die Lehre von Punkten, Geraden und Flächen im gewöhnlichen Raum gemeint, die sich mit reellen Koordinaten beschreiben lassen, sondern sogenannte Riemannsche Flächen, die auf einem erweiterten Zahlbegriff aufbauen, dem der komplexen Zahlen. Unter anderen Beilinson und sein Chicagoer Kollege Vladimir Drinfeld begannen in den Achtzigerjahren mit der Suche nach Korrespondenzen zwischen Riemannschen Flächen und einem entsprechenden Analogon zur Fourier-Analysis. Dass es sie gibt und worin sie genau besteht, das haben Gaitsgory und sein Team jetzt in großer Allgemeinheit gezeigt.
Wie die Zahlentheorie in bestimmten Fällen wie in dem des Tamiyama-Shimura-Weil-Theorems mit der Fourier-Analysis zusammenhängt, so hängt die Geometrie der Riemannschen Flächen also ebenfalls mit etwas zusammen, in dem Objekte in Bestandteile zerlegt werden können. „Das hat aber nichts mehr mit Fourier zu tun“, erklärt Gaitsgory. „Es ist lediglich eine Analogie dazu in der Algebra.“ So werden die Rolle der Sinus- und Cosinuswellen hier von speziellen Exemplaren aus einer Klasse von Objekten übernommen, welche die Mathematiker „Sheafs“ nennen, also „Garben“. Erst mit dem Beweis, dass die betreffenden Garben auch die nötigen Eigenschaften aufweisen, um diese Aufgabe zu erfüllen, war die Ernte sozusagen eingefahren.
„Das ist reine Mathematik“
Mit dem nun vorliegenden Beweis ist Robert Langlands Vision aber keineswegs ausgeschöpft, noch nicht einmal in ihrer geometrischen Variante. „Was wir betrachtet haben, war der sogenannte globale unverzweigte Fall“, erklärt Gaitsgory. „Es gibt noch den verzweigten Fall. Dann muss man es schaffen, beide miteinander zu kombinieren, und erst dann ist die geometrische Langlands-Theorie komplett.“
Daneben werden zudem sogenannte lokale Langlands-Beziehungen zwischen kleinen Scheibchen um Punkte auf Riemannschen Flächen zu Objekten aus der Zahlentheorie erforscht, den sogenannten p-adischen Zahlen. Hier hat Gaitsgorys Bonner Institutskollege Peter Scholze 2021 zusammen mit einem französichen Kollegen einen wichtigen Fortschritt erzielt. Scholze hatte 2016 einen „New Horizons“-Breakthrough-Preis erhalten sollen, diesen aber abgelehnt. Zwei Jahre später bekam er mit der Fields-Medaille die höchste Auszeichnung der Mathematik für seine Theorie einer Geometrie über p-adische Zahlen. Des Weiteren gibt es Bemühungen um Langlands-Korrespondenzen hin zu den Quantenfeldtheorien in der Physik.
Keine vereinheitlichte Theorie der Mathematik
Als damit die Frage nach dem in irgendeinem Sinne praktischen Nutzen seines Beweises aufkommt, schüttelt Dennis Gaitsgory allerdings mit dem Kopf. „Das ist reine Mathematik“, sagt er. Wenn man von Nutzen sprechen wolle, dann bestehe der allenfalls in Methoden, die auf dem Weg dahin entwickelt wurden. Die könnten anderswo nützlich sein, sagt er, aber sicher nicht direkt zur Lösung eines der ganz großen Rätsel. „Ich glaube nicht, dass der Beweis der geometrischen Langlands-Vermutung bei der Riemann-Hypothese irgendwie weiterhilft.“
Und auch eine „große vereinheitlichte Theorie der Mathematik“ sei keineswegs das Ziel des Langlands-Progamms. „Ich weiß nicht, wo das herkommt“, kommentiert Dennis Gaitsgory diese in Medienberichten zu dem Thema beliebte Formulierung. Es geht schließlich nicht darum, eine Mathematik zu finden, die irgendwie fundermentaler wäre als etwa die Geometrie oder die Zahlentheorie, sondern um Verbindungen zwischen diesen Feldern beziehungsweise geeignete Analoga zur Fourier-Analysis. Gaitsgory zieht das Bild der Brücken vor, welche zwischen verschiedenen Kontinenten der Mathematik gespannt werden, um von einem zum anderen und wieder zurück zu gelangen. Diese Brückenbauprojekte sind ehrfurchtgebietend genug.
Furcht aber sollen sie keine einflössen, nur zum Staunen über ihre Möglichkeit einladen. Warum also wurde dann der Grand Moff Tarkin bemüht? „Als wir an dem Paper gearbeitet haben, hatten wir einige Kapitel nach ‚Star Wars‘-Episoden benannt“, erzählt Gaitsgory. „So zum Scherz, ich habe zu dieser Zeit mit meinem jüngeren Sohn ‚Star Wars‘ geschaut“.
Aber das Tarkin-Zitat habe tatsächlich eine Bedeutung: In dieser abschließenden Arbeit sei es zentral um den Beweis einer bestimmten Gleichheitsaussage gegangen. „Das wurde bewiesen mit einem Trick, und der hatte zu tun mit dem Verhalten eines bestimmten mathematischen Objekts, dem sogenannten Raum der lokalen Systeme. Der wird dabei schließlich soweit eingeschränkt, dass die Gleichheit keine Wahl mehr hat. Sie muss richtig sein.“