Reparieren statt zerstören – Fortschritt in der Gentherapie

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Stand: 07.04.2025 04:45 Uhr

Eine neue Form der Gentherapie soll in Zukunft eine seltene Lungen- und Lebererkrankung heilen können. Fachleute sprechen von einem bahnbrechenden Fortschritt. Das erste Mal wird ein Gen direkt im Körper repariert.

Es ist bisher nur eine Pressemitteilung von einer Pharmafirma, keine große Studie, noch keine Publikation in einem renommierten Fachblatt.  

Aber Fachleute sind trotzdem sofort hellhörig geworden: “Aus den wenigen Informationen, die wir haben, lassen sich vielversprechende Schlussfolgerungen ziehen”, sagt Zoltán Ivics. Er ist Professor für klinischen Gentransfer an der Uni Leipzig und Abteilungsleiter am Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie in Leipzig.  

Denn der Inhalt der Pressemitteilung zeigt einen bedeutenden Fortschritt auf dem Gebiet der Gentherapien. Dem Pharmaunternehmen BEAM therapeutics ist es dabei gelungen, die Arbeit von gleich drei Nobelpreisträgerinnen zu kombinieren.

Basen tauschen statt mit der Genschere schneiden

Da wären zum einen die beiden Nobelpreisträgerinnen Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna. Die beiden Biologinnen entdeckten die sogenannte Genschere CRISPR/Cas. Mit ihr wurde es deutlich leichter, Gene zu verändern.Typischerweise schneidet CRISPR die DNA, die wir anvisieren”, erklärt Zoltán Ivics. “Deswegen nennen wir sie auch Genschere. Wir können ihr gezielt sagen, wo im Genom sie schneiden soll.” Seit 2024 gibt es in der EU eine zugelassene Gentherapie gegen zwei Bluterkrankungen, die auf der Technik beruht.

Doch die Genschere wurde weiterentwickelt: Statt mit CRISPR zu schneiden und das anvisierte Gen damit zu zerstören, nutzen Forschende jetzt auch sogenannte “Base Editors”. Die tauschen einzelne Stückchen der DNA aus, sogenannte Basen.

Die DNA besteht aus vier verschiedenen Basen – deren Reihenfolge verschlüsselt die genetische Information, die in der DNA gespeichert ist. Schon das Fehlen oder Vertauschen von einer Base kann zu einem Fehler in der Bildung von wichtigen Proteinen führen. Mit den “Base Editors” können solche Fehler korrigiert werden. “In der aktuellen Veröffentlichung wird diese Technik das erste Mal als Therapie eingesetzt”, erklärt der Gentherapie-Experte Ivics aus Leipzig. „Die DNA wird nicht zerschnitten, sondern der Fehler in der DNA wird umgewandelt in die normale, gesunde genetische Information der Zelle. Das ist ziemlich elegant.”

Fehlendes Protein sorgt für Leber- und Lungenschäden

Eingesetzt hat BEAM therapeutics diese Technik für die Therapie einer seltenen Erkrankung: Alpha-1-Antitrypsin-Mangel, kurz AATD. “Das ist eine Erkrankung, die potenziell tödlich sein kann”, sagt Pavel Strnad. Er ist Professor für Lebererkrankungen an der Uniklinik Aachen und Experte für Alpha-1-Antitrypsin-Mangel. Grund für die schweren Verläufe seien entweder Lungen- oder Leberbeschwerden. Alpha-1-Antitrypsin-Mangel ist eine genetische Erkrankung. “Die Häufigkeit liegt bei etwa eins zu 3.000. Im Prinzip ist es eine relativ häufige seltene Erkrankung”, so Strnad.

Betroffene bilden in der Leber eine fehlerhafte Variante des Proteins Alpha-1-Antitrypsin. Das kann die “Qualitätskontrolle” in der Leber nicht passieren, es lagert sich dort immer weiter an. Gleichzeitig fehlt das Protein zum Beispiel in der Lunge. Die Folge sind schwere Lungenprobleme, zum Teil brauchen Betroffene Sauerstoff oder eine Lungentransplantation. “Viele Schwerbetroffene erhalten von uns jede Woche eine Infusion mit dem fehlenden Protein. Doch das hilft primär der Lunge, nicht die Probleme in der Leber, die entstehen, weil sich das fehlerhafte Protein dort ansammelt”, so der Internist Strnad von der Uniklinik Aachen.

Gene werden direkt in der Leber verändert

Bei der jetzt vorgestellten Gentherapie soll das Problem direkt dort korrigiert werden, wo es entsteht. Und das ist etwas Besonderes, sagt Zoltán Ivics – denn die meisten bisherigen Gentherapien würden nicht im Körper der Patienten durchgeführt. “Normalerweise entnimmt man die Zellen aus dem Körper, verändert sie im Labor, gibt sie zurück und hofft auf einen Therapieerfolg.” Das funktioniert zum Beispiel bei Blut- oder Stammzellen – andere Organe kann man nicht ohne Weiteres entnehmen und später wieder einsetzen. 

Die jetzt vorgestellte Therapie ist für die Patienten auch deutlich weniger aufwändig: Statt mehreren Krankenhausaufenthalten und aufwändigen Behandlungen erhalten sie eine Transfusion. Dass das funktioniert, liegt an der Arbeit der dritten Nobelpreisträgerin – Katalin Karikó. Sie erforschte, wie man die sogenannte mRNA so stabilisieren kann, dass sie medizinisch eingesetzt werden kann. Die mRNA-Corona-Impfung war das erste Beispiel dafür.

Eine einzige Behandlung könnte Heilung bringen

Bei der jetzt vorgestellten Gentherapie wird die mRNA in kleinen Kügelchen verpackt in Richtung Leber geschickt. Sie stellt eine Art Bauplan dar. Die Leberzellen können durch die gelieferte mRNA selbst den sogenannten “Base Editor” herstellen, also das Werkzeug, mit dem das fehlerhafte Gen korrigiert werden kann.

Zusätzlich wird durch die Kügelchen eine weitere RNA in die Zelle gebracht, die den Base Editor zur richtigen Stelle im Gen leitet. Für den Professor für klinischen Gentransfer Zoltán Ivics ein vielversprechender Ansatz:  “Mit nur einer einzigen Behandlung könnte es gelingen, die kompletten medizinischen Probleme der Patienten zu heilen oder zumindest zu verbessern.” Bei einer erfolgreichen Behandlung würde sich in der Leber kein fehlerhaftes Protein mehr anlagern und in der Lunge gäbe es kein Mangel mehr.  

Dazu kommt: Diese Kügelchen, die zur Leber gelangen, und die mRNA können recht einfach im Labor hergestellt werden – das könnte kostengünstiger sein als andere Gentherapien. 

Langfristige Effekt noch unklar

Pavel Strnad von der Uniklinik Aachen freut sich, dass aktuell neue Therapieoptionen für sein Spezialgebiet, den Alpha-1-Antitrypsin-Mangel, entwickelt werden.  Für Euphorie ist es aber für ihn noch zu früh: “Der Vorteil ist: Wenn es klappt, ist es für immer. Der Nachteil ist aber: Wir gehen dabei quasi an unsere genetische Datenbank. Wenn da zum Beispiel ein Fehler passiert, dann kann das schwerwiegende Folgen haben, die sich auch erst nach einer längeren Zeit zeigen können.” 

Auch Zoltán Ivics betont: Als nächstes müsse genau geschaut werden, welche Nebenwirkungen oder ungewollten Genveränderungen die neue Therapie vielleicht mitbringt – denn das kann man aus den veröffentlichten Informationen bisher noch nicht ablesen. “Klar ist: In dieser recht kleinen Gruppe sind die Ergebnisse sehr ermutigend und vielversprechend. Aber wir wissen noch nichts über die Langzeit-Effekte der Therapie”, so Ivics. “Was bringt sie den Patienten wirklich? Werden sich die Symptome verbessern? Können sie danach besser atmen, haben sie weniger Leberschäden?” Dafür brauche es langfristige Studien.

Aber – da ist der Gentherapie-Experte sicher: “Das ist erst der Anfang.” In Zukunft werde es noch mehr Gentherapien geben, die in der Lage sind, direkt im Körper Gene zu reparieren.