Von einer „Zeitenwende in der Inneren Sicherheit“, über eine Wirtschaftswende bis zur Erhöhung der Verteidigungsausgaben. CDU, CSU und SPD präsentieren in ihrem Koalitionsvertrag ehrgeizige Pläne. Was plant die neue Regierung?
Migration und Integration
Union und SPD wollen einen „konsequenteren Kurs“ in der Migrationspolitik durchsetzen, womit eine Reduzierung der irregulären Migration gemeint ist – also weniger ungesteuerte Zuwanderung und mehr Abschiebungen. „In Abstimmung“ mit den europäischen Nachbarn sollen künftig auch Asylsuchende an den deutschen Grenzen zurückgewiesen werden. Die Kontrollen, die es derzeit schon an allen deutschen Grenzen gibt, sollen verlängert werden, bis es in Europa wieder ein funktionierendes Migrationsmanagement gibt. Das Grundrecht auf Asyl bleibt bestehen. Der Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte wird zunächst für zwei Jahre ausgesetzt, mit Möglichkeit zur Verlängerung. Freiwillige Aufnahmeprogramme, etwa das für Afghanen, werden beendet. Weiterhin sollen Abkommen mit anderen Staaten geschlossen werden, damit Abschiebungen leichter gelingen. Dafür soll es weiterhin einen Beauftragten geben. Die Liste der sicheren Herkunftsstaaten soll um weitere Länder ergänzt werden.
Schwarz-Rot will die Möglichkeit zu Asylverfahren in Drittstaaten schaffen und deswegen auf europäischer Ebene erreichen, dass das sogenannte Verbindungselement im Asylrecht gestrichen wird. Dann brauchte ein Migrant keinerlei Verbindung mehr zu dem Land, in das er gebracht wird. Die künftige Koalition will durch mehrere Maßnahmen die Abschiebezahlen erhöhen. Zunächst wird der verpflichtend beigestellte Rechtsbeistand vor der Durchsetzung einer Abschiebung abgeschafft. Die Bundespolizei bekommt mehr Kompetenzen: Sie soll Ausreisepflichtige in Abschiebehaft nehmen können, auch soll der dauerhafte Arrest für ausreisepflichtige Gefährder und Täter nach Verbüßung ihrer Haftstrafe geschaffen werden. Wer eine schwere Straftat begeht, soll das Land verlassen müssen. Flugunternehmen sollen verpflichtet werden, Abschiebungen durchzuführen, auch nach Syrien und Afghanistan.
Integration soll weiterhin gefördert, aber auch verstärkt eingefordert werden. Künftig soll nicht mehr der „Amtsermittlungsansatz“ gelten, wonach der deutsche Staat im Asylrecht bestimmte Pflichten zu erfüllen hat. Eine Klausel des Koalitionsvertrags bezieht sich auf die Ukrainer in Deutschland: Wer nach dem 1. April 2025 eingereist ist, bekommt niedrigere Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, nicht mehr das Bürgergeld. Die Einbürgerung nach drei Jahren wird abgeschafft; die doppelte Staatsbürgerschaft bleibt bestehen. (moja.)
Innen und Recht
Union und SPD rufen eine „Zeitenwende in der Inneren Sicherheit“ aus. Die rechtlichen Spielräume sollen ausgeschöpft werden, „um ein Höchstmaß an Sicherheit“ zu gewährleisten. Das Spannungsverhältnis zwischen Sicherheit und Datenschutz müsse „neu austariert werden“. Hierzu gehört die Einführung der Vorratsdatenspeicherung. Die Anbieter von Telekommunikationsdiensten sollen IP-Adressen und Portnummern künftig drei Monate vorhalten. Insgesamt wollen Union und SPD die Ermittlungsbefugnisse ausweiten. Bundeskriminalamt und Bundesamt für Verfassungsschutz sollen gestärkt werden, das Recht der Nachrichtendienste des Bundes wollen die Parteien „systematisch novellieren“.
Die teilweise Cannabis-Legalisierung wird vorerst nicht rückgängig gemacht. Das Gesetz soll im Herbst „ergebnisoffen“ evaluiert werden. Der Tatbestand der Volksverhetzung soll verschärft werden. Für den Fall mehrfacher Verurteilung soll der Entzug des passiven Wahlrechts geregelt werden. Schwangerschaftsabbrüche werden auch künftig im Strafrecht geregelt sein. Die Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung soll erweitert werden. (mgt.)
Finanzen
Die Finanzpolitik gehörte zu den heikelsten Punkten der Koalitionsverhandlungen. Für die Union galt es, mit der Steuerpolitik ein Zeichen für die versprochene Wirtschaftswende zu setzen – zumal CDU und CSU vorab mit dem Aufbohren der Schuldenregeln im Grundgesetz eine erstaunliche Pirouette hingelegt hatten. Im Wahlkampf waren sie mit einer anderen Botschaft unterwegs gewesen. Die SPD hatte für eine stärkere Belastung der Besserverdiener und Vermögenden geworben. Der Konflikt, Entlastung der Unternehmen und aller Steuerzahler hier, nur niedriger und mittlerer Einkommen dort, blieb in der Arbeitsgruppe bestehen – auch mangels Prokura der Unterhändler.
In der 19er-Gruppe löste man ihn pragmatisch: Die Körperschaftsteuer wird (wie von der Union gefordert) um 5 Prozentpunkte gesenkt, aber erst von 2028 an. Vorher profitieren die Unternehmen von verbesserten Abschreibungsbedingungen („Investitions-Booster“ von 30 Prozent). Wenn sie nun investieren, mindern die damit verbundenen Kosten zunächst kräftig den zu versteuernden Gewinn. Später dreht sich dieser Effekt, doch dann profitieren die Unternehmen von dem abgesenkten Steuersatz. Die SPD konnte sich nicht durchsetzen mit ihren Forderungen nach einer Wiederbelebung der Vermögensteuer, der Erhöhung der Reichensteuer, der Anhebung der Abgeltungsteuer.
Bei der Einkommensteuer herrscht im Gegenzug weitgehend Stillstand. Unten und in der Mitte des Tarifs soll es kleinere Entlastungen geben, oben bleibt es, wie es ist. Auch wird der Rest-Soli, der nach der Reform von 2021 nur noch Gutverdiener, Kapitalanleger und Unternehmen belastet, nicht angetastet. Geplant ist, Überstundenzuschläge steuerfrei zu stellen, ebenso Arbeitseinkommen im Rentenalter bis zu 2000 Euro im Monat. Die Pendlerpauschale soll vom nächsten Jahr an 38 Cent betragen. Die SPD soll das Finanzministerium bekommen. (mas.)
Wirtschaft und Industrie
Nach zwei Jahren Rezession soll die deutsche Wirtschaft mit einem Maßnahmenbündel zurück auf den Wachstumspfad kommen. Neben verbesserten steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten für Investitionen und geringeren Abgaben auf den Strompreis setzt die schwarz-rote Koalition auf einen Deutschlandfonds, der expansionswilligen Unternehmen mit Kapitalspritzen helfen soll. Der Bund will dafür zehn Milliarden Euro bereitstellen, zusammen mit privatem Kapital soll der Fonds auf 100 Milliarden Euro wachsen. Die Förderprogramme aus der Ampelzeit zur Dekarbonisierung der Industrie (Klimaschutzverträge, grüne Leitmärkte) sollen fortgeführt werden, ebenso die Zuschüsse zum Bau von Chipfabriken.
Weitere Förderschwerpunkte sollen Künstliche Intelligenz und Biotech sein. Die Agentur für Sprunginnovationen (SPRIND) soll gestärkt werden und auch Innovationen im Verteidigungsbereich fördern. Unternehmensgründungen sollen innerhalb von 24 Stunden durch eine zentrale digitale Anlaufstelle („One-Stop-Shop“) möglich werden. Um den Hochlauf der Elektromobilität zu fördern, sind verschiedene Steuererleichterungen für private wie gewerbliche Käufer geplant. Nicht mehr von der Autoindustrie benötigte Produktionskapazitäten sollen mit staatlicher Hilfe für die Verteidigungsindustrie genutzt werden. Bessere Rahmenbedingungen soll die Wirtschaft auch durch neue Freihandelsabkommen der EU etwa mit den Vereinigten Staaten bekommen. Entlastung in punkto Bürokratie soll unter anderem die Abschaffung des nationalen Lieferkettengesetzes schaffen. (loe.)
Verteidigung
Für die Streitkräfte haben die Koalitionspartner erheblich höhere Investitionen und mehrere Reform- und Gesetzesvorhaben vereinbart. Die Verteidigungsausgaben sollen dabei „deutlich und stringent“ steigen. Die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr solle „kurzfristig, nachdrücklich, nachhaltig“ erhöht werden. Die Bedarfe seien, so heißt es, an den Vorgaben der Nato orientiert. Priorität hat die zunächst die Ausstattung der Brigade Litauen. Für zusätzliche Investitionen seien, so sagte es Söder bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags, in der Legislaturperiode 150 Milliarden vorgesehen. Die Allgemeine Wehrpflicht wird vorerst nicht wieder eingeführt, stattdessen der von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) konzipierte „neue Wehrdienst“, der „zunächst auf Freiwilligkeit basiert“. Wehrerfassung und Wehrüberwachung sollen zügig aufgebaut werden.
Mit der Zuständigkeitskonzentration für einen Sicherheitsrat, das Lagezentrum und den Krisenstab ins Kanzleramt, steigt auch der Einfluss des Militärs und des Generalinspekteurs, der zugleich erster militärischer Berater des Kanzlers ist. Die Koalitionspartner sehen ein „Planungs- und Beschaffungsbeschleunigungsgesetz“ vor und wollen das Planungs- und Beschaffungswesen insgesamt umbauen. Hier waren große Veränderungen seit Jahren unterblieben. Zudem soll ein Beschleunigungsgesetz für die Infrastruktur der Bundeswehr den Bau und Ausbau von militärischen Liegenschaften stark vereinfachen. Für Belange zur Infrastruktur der Gesamtverteidigung gilt „überragendes öffentliches Interesse“, sie seien gegenüber anderen staatlichen Aufgaben zu priorisieren.
Für die Beschaffung von Rüstungsgütern sollen die Schwellenwerte angehoben werden, die seit langem existierende 25-Millionen-Vorlage wird deutlich angehoben, die Summe ist aber noch unbekannt. Zur längerfristigen Planung soll ein Investitionsplan erarbeitet werden, der sich nicht sam Prinzip der Jährlichkeit orientiert. Die Reserve und der Heimatschutz sollen aufgestockt werden und attraktiver sein. Auch in die strategische Sicherheitsforschung wird intensiviert, junge Leute sollen vermehrt aus erster Hand in Schulen von Jugendoffizieren über die Streitkräfte informiert werden. (pca.)
Außenpolitik
In der Außenpolitik hat es ein Lieblingsprojekt von Friedrich Merz tatsächlich in den Koalitionsvertrag geschafft: ein Nationaler Sicherheitsrat. Der soll nun im Kanzleramt entstehen, der Bundessicherheitsrat, der zuletzt vor allem geheim über Rüstungsexporte entschieden hatte, soll dazu weiterentwickelt werden. Viel mehr Details dazu, wie genau dieser aber arbeiten soll, gibt es nicht – abgesehen von dem Hinweis, dass man das Ressortprinzip beachten werde. Trotzdem dürfte damit eine Schwächung des Außenministeriums einhergehen – das zum ersten Mal seit gut 60 Jahren wieder an die CDU fällt. Stattdessen wird im Kanzleramt immer mehr außen- und sicherheitspolitische Kompetenz konzentriert.
Der Ukraine wird zugesagt, dass man die „militärische, zivile und politische Unterstützung“ substanziell stärken und fortsetzen will gemeinsam mit den Partnern. Zu diesen wird weiter Amerika gezählt: „Das transatlantische Bündnis und die enge Zusammenarbeit mit den USA bleiben für uns von zentraler Bedeutung.“ Kritischer sind die Töne gegenüber China: die „Elemente systemischer Rivalität durch Chinas Handlungen“ seien mittlerweile in den Vordergrund gerückt, die Strategie des De-Risking wird verfolgt. Die Sicherheit Israels wird weiter zur deutschen Staatsräson gezählt – aber entgegen den Wünschen der Union keine explizite Zusage gegeben mit Blick auf Rüstungslieferungen an das Land. Das Ziel bleibe eine Zweistaatenlösung. Von einer feministischen Außenpolitik, wie sie die bisherige Außenministerin verfolgt hatte, ist in dem Vertrag keine Rede mehr. (mawy.)
Arbeit und Soziales
In der Grundsicherung für Arbeitsuchende, bisher Bürgergeld, sollen wieder strengere Regeln gelten, die Leistungsbezieher stärker zu Arbeit anhalten. Wer Arbeit ablehnt oder Termine im Jobcenter ignoriert, soll schneller Sanktionen, also Kürzungen, spüren. Entschärft werden soll aber die Anrechnung von Arbeitslohn. Bisher wird eigener Mehrverdienst oft voll mit der Sozialleistung verrechnet, Arbeit lohnt sich dann kaum. Für Ruheständler planen Union und SPD indes eine Ausweitung von Leistungen der gesetzlichen Rente, was die Belastung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern durch Abgaben und Steuern erhöht. Die sogenannte Mütterrente wird erweitert, wie von der CSU verlangt. Laut Rentenversicherung kostet dies jährlich rund fünf Milliarden Euro. Sie sollen aus Steuern finanziert werden.
Zugleich wird der Nachhaltigkeitsfaktor in der Rentenformel ausgeschaltet, was den jährlichen Anstieg der Renten beschleunigt. Es soll aber, anders als von der SPD gefordert, nicht gleich dauerhaft gelten, sondern vorerst bis 2031. Auch dafür sieht der Koalitionsvertrag zusätzliche Steuerzuschüsse vor, es geht um insgesamt etwa 25 Milliarden Euro in den sechs Jahren. Geplant ist auch eine neue „Frühstartrente“, eine Anschubfinanzierung zu einer späteren privaten Altersvorsorge für junge Menschen. Für alle Schüler von sechs bis 18 Jahren soll der Staat dazu monatlich 10 Euro auf ein Vorsorgekonto einzahlen. Insgesamt dürfte sich dies auf rund eine Milliarde Euro jährlich summieren. (dc.)
Energie und Klima
Den Strompreis für Wirtschaft und Haushalte will man um mindestens fünf Cent je Kilowattstunde senken: durch die dauerhafte Reduktion der Stromsteuer auf das EU-Mindestmaß, die Ausweitung der Strompreiskompensation für CO2-Kosten, die Deckelung der Netzentgelten und Umlagen. Für sonst nicht zu entlastende Betriebe soll ein „Industriestrompreis“ kommen. Die Gasspeicherumlage entfällt, die konventionelle Gasförderung im Inland soll vorangetrieben werden, langfristige Gaslieferverträge mit dem Ausland werden zulässig. Bis 2030 sollen Gaskraftwerke mit 20 Gigawatt Leistung entstehen. Es bleibt bei einer einheitlichen Stromgebotszone. Die CO2-Abscheidung, Verpressung oder Nutzung (CCS und CCU) sollen für schwervermeidbare Emissionen sowie Gaskraftwerke nutzbar sein.
Im Klimaschutz bekennt man sich zum Pariser Abkommen sowie zu den europäischen und deutschen Klimazielen. Der im Unionsprogramm vorgesehene Klimabonus, mit dem CO2-Abgaben an Haushalte und Unternehmen zurückfließen sollten, hat es nicht in das Papier geschafft. Zur Unterstützung besonders belasteter Haushalte wird auf den EU-Klimasozialfonds verwiesen. Die Union wollte den Wiederbetrieb von Kernkraftwerken prüfen, dazu steht nun nichts im Papier. Bis zur Sommerpause plant man eine Bestandsaufnahme (Monitoring) zum Ausbau der Netze und der erneuerbaren Energien, zum erwartbaren Strombedarf, zur Versorgungssicherheit, zum Stand der Digitalisierung und zum Wasserstoffhochlauf.
Familie
Zu den strittigsten Themen der Familienpolitik gehörte das Selbstbestimmungsgesetz, das die Union in der jetzigen Form abschaffen wollte (so stand es auch noch in den Papieren zum Zwischenstand). Diese Forderung konnte die Union nicht halten, sondern es heißt jetzt nur noch: „Wir werden das Gesetz über die Selbstbestimmung im Bezug auf den Geschlechtseintrag bis spätestens 31. Juli 2026 evaluieren“. Neu für das Familienministerium ist der bildungspolitische Schwerpunkt, der im Koalitionsvertrag gesetzt wird.
Der Vertrag skizziert die Bildungsketten von Anfang an. Die Teilnahme einer flächendeckend mit den Ländern vereinbarte Sprachdiagnostik soll ebenso verpflichtend werden wie der Besuch an Fördermaßnahmen. Für die frühkindliche Bildung soll es ein Qualitätsentwicklungsgesetz geben, die Ganztagsbetreuung in der Grundschule soll unter Einbeziehung der Jugendhilfe ausgebaut werden. Der Fonds Sexueller Missbrauch und das damit verbundene Hilfesystem soll unter Beteiligung des Betroffenenrats fortgesetzt werden. Auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes soll weitergeführt werden. (oll.)
Landwirtschaft, Umwelt und Naturschutz
Agrardiesel soll weiterhin subventioniert werden. Die schrittweise Abschaffung der Steuerbegünstigung von Dieselkraftstoff in der Land- und Forstwirtschaft unter der Ampelkoalition, die zu großen Protestaktionen von Landwirten geführt hatte, wird vollständig zurückgenommen, versprechen Union und SPD. Alternative Kraftstoffe in der Land- und Forstwirtschaft werden von der Energiesteuer befreit. Auch beim Herdenschutz steuert die neue Regierung um: Der Wolf soll „umgehend“ ins Jagdrecht aufgenommen werden.
Neue und umgebaute Ställe für mehr Tierwohl sollen mindestens 20 Jahre lang Bestandsschutz erhalten. Die Tierhaltungskennzeichnung soll grundsätzlich reformiert werden. Beim Umwelt- und Naturschutz setzt die schwarz-rote Koalition auf wirtschaftliche Vereinbarkeit. Um Landwirten entgegenzukommen und Planungsprozesse und Bauvorhaben zu beschleunigen, sollen Vorgaben für Umwelt- und Naturschutz teilweise gelockert beziehungsweise gesenkt werden. Die neue Regierung bekennt sich aber zum Aktionsprogramm natürlicher Klimaschutz und die darin enthaltene Moorschutzstrategie. Beides soll verstetigt werden. (gel.)
Gesundheit und Pflege
In der Gesundheits- und Pflegepolitik bekennen sich die Partner zu einer langfristigen Stabilisierung der Beitragssätze und dazu, dass die Einnahmen durch ein höheres Beschäftigungsniveau gesteigert werden müssten. Um dazu bis zum Frühjahr 2027 Vorschläge zu unterbreiten, soll eine Expertenkommission unter Beteiligung der Sozialpartner entstehen. Eine der wichtigsten Neuerungen ist die Einführung eines Primärarztsystems: Künftig entscheiden Haus- und Kinderärzte sowie Fachleute unter der Servicetelefonnummer 116117 als verpflichtende erste Anlaufstellen, ob ein Facharzttermin nötig ist. Dafür soll es eine Termingarantie geben, die Kassenärztlichen Vereinigungen werden zur Vermittlung verpflichtet. Gelingt das nicht, können sich die Patienten in Kliniken ambulant behandeln lassen. Auch eine Ersteinschätzung per Telemedizin ist geplant. In unterversorgten Gebieten wird eine Entbudgetierung von Fachärzten geprüft. Dort soll es Zuschläge im Honorar geben, in überversorgten Regionen Abschläge. Das Packungsfixum für Apotheker wird von 8,35 auf 9,50 Euro erhöht.
Die 2024 beschlossene Krankenhausreform wollen Schwarz-Rot bis zum Sommer gesetzlich weiterentwickeln, um die Grund- und Notfallversorgung auf dem Land zu garantieren. Die Kosten für den Umbau wird ein Transformationsfonds bereitstellen. Für diesen sollen nicht mehr die Krankenkassen, sondern das Sondervermögen Infrastruktur 2,5 Milliarden Euro im Jahr bereitstellen. Nach 2027 sollen in zwei Schritten „Vorhaltepauschalen“ eingeführt werden. Angekündigt wird eine „große Pflegereform“. Die Grundlagen dafür soll eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe auf Ministerebene unter Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände noch 2025 erarbeiten. Dazu gehört auch die Frage nach einer Begrenzung der pflegerischen Eigenanteile. (itz.)
Forschung
Das künftige Ministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt, das die CSU für sich reklamiert, trägt Bildung nicht mehr in seinem Namen. Das ist Programm. Die Bildungspolitik wandert ins Familienministerium. Es soll eine Hightech Agenda unter Einbindung der Länder geben, aber auch technologieoffene Innovationsökosysteme und Forschungsfelder mit klaren Zielen unter Einschluss von außeruniversitären Akteuren. Die Forschungsförderung des Bundes soll mit Ausnahme der Ressortforschung gebündelt werden. „Forschung muss in der gesamten Bandbreite, von Grundlagen bis Anwendung gedacht werden“, heißt es im Vertrag.
Besonders gefördert werden sollen Schüsseltechnologien wie Künstliche Intelligenz, Quantentechnologien, Mikroelektronik (Chipdesign), Biotechnologie, klimaneutrale Energieerzeugung, sowie klimaneutrale Mobilität. Der Transfer in die Anwendung sollen gestärkt und beschleunigt werden, ein Innovationsfreiheitsgesetz soll kleinteilige Förderbürokratie überwinden. Wichtig ist auch die Festlegung auf 3,5 Prozent des BIP für Forschung und Entwicklung, sowie eine dynamisierte Fortschreibung des Pakts für Forschung und Innovation. (oll.)
Wohnen und Bauen
Mit einer Reform des Baugesetzbuchs in zwei Schritten wollen Union und SPD das Bauen günstiger machen und beschleunigen. So sollen Bauherren mit dem Gebäudetyp E rechtssicher auf teure DIN-Normen verzichten können. Dies hatte schon die Ampelkoalition geplant. Zeitlich befristet soll es wieder Fördermittel für Neubauten nach dem KfW-Standard Effizienzhaus 55 geben. Die SPD hat ihre Forderung einer „WG-Garantie“ erfolgreich in den Koalitionsvertrag verhandelt. Dazu soll das Förderprogramm „Junges Wohnen“ ausgebaut werden.
Mehr Geld soll es auch für den Bau von Sozialwohnungen geben. Die Mietpreisbremse für neue Mietverträge wird um vier Jahre verlängert. Verstöße sollen stärker geahndet werden. Wer eine Wohnung günstig vermietet, soll steuerlich belohnt werden. Eine strengere Begrenzung von Mieterhöhungen in bestehenden Verträgen durch eine Senkung der sogenannten Kappungsgrenze ist anders als von der SPD gefordert nicht geplant. (loe.)
Kultur und Medien
An der Bedeutung von Kunst und Kultur wollten Union und SPD offenbar keinen Zweifel lassen. „Unsere Kultur ist das Fundament unserer Freiheit“ heißt es. Sie zu fördern sei eine öffentliche Aufgabe, „die Bund, Länder und Kommunen auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten gemeinsam wahrnehmen müssen.“ Durch „rechtssichere Förderbedingungen, Sensibilisierung und Eigenverantwortung“ soll sichergestellt werden, dass keine Projekte bezuschusst werden, „die antisemitische, rassistische und andere menschenverachtende Ziele verfolgen.“ Ein Staatsziel Kultur taucht nicht auf. Die Provenienzforschung wollen SPD und Union „intensivieren“. Außerdem wollen die Parteien ein „wirksames Restitutionsgesetz“ schaffen. (mgt.)
Bürokratierückbau, Staatsmodernisierung, Digitales
An großen Zielen mangelt es in diesem Koalitionsvertrag nicht – auch wenn sie manchmal nur über sehr kleine Maßnahmen erreicht werden. „Die Faxgeräte müssen entsorgt werden“, verspricht SPD-Parteichef Lars Klingbeil und spielt damit auf den Lieblingskommunikationsweg der deutschen Verwaltung an. Für all das soll ein neues Ministerium für Digitales und Staatsmodernisierung sorgen, das sogleich die Bilanz des geplanten Bürokratieabbaus verhagelt – zumindest mit Blick auf die Ressortaufteilung. Statt weniger Ministerien schafft die schwarz-rote Koalition noch eins zusätzlich.
Weniger Zuständigkeiten soll es dagegen im Datenschutz geben. Bisher haben dort vor allem die 17 Landesdatenschutzbeauftragten die Deutungshoheit über die europäischen Regeln inne. Jetzt soll die Bundesdatenschutzbeauftragte zur zentralen Anlaufstelle werden. Auch darüber hinaus soll es grundlegende Strukturreformen geben, dafür soll noch in diesem Jahr eine „ambitionierte Modernisierungsagenda für Staat und Verwaltung“ erarbeitet werden. Vorschläge dafür liegen schon vor: Die „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“ hat bereits vorgearbeitet. Auch vor Altbekanntem schreckt Schwarz-Rot nicht zurück: Verwaltungsleistungen sollen digitalisiert werden, versprechen sie – wie schon 2017. Ganz konkret wird es auch: Nach der Geburt eines Kindes sollen Eltern automatisch einen Kindergeldbescheid erhalten – antraglos. (cbu.)
Verkehr
In den nächsten Jahren werden die Straßen-, Brücken- und Schienensanierungen zum Kraftakt. Der Finanzierungsbedarf ist angesichts maroder Infrastruktur enorm, deshalb wird ein großer Teil des neuen Sondervermögens in diesen Bereich fließen. Das bedeutet auch Reformen für die Deutsche Bahn und die bundeseigene Autobahn GmbH. Letztere soll mit den Einnahmen aus der Lkw-Maut endlich eigene Finanzmittel. Dadurch kann sie künftig eigene Kredite aufnehmen. Das sichert die Finanzierung der Straße auch über das Sondervermögen hinaus. Bei der Bahn soll die Tochtergesellschaft DB InfraGo, die das Schienennetz verwaltet, eigenständiger werden – allerdings innerhalb des DB-Konzerns. Den Wettbewerbern und der CDU war das eigentlich ein Dorn im Auge. Gut möglich, dass sich ein Neubeginn dann zumindest in einem veränderten Personaltableau niederschlägt: Vorstand und Aufsichtsrat sollen sowohl beim Konzern als auch bei der Netz-Sparte neu aufgestellt werden. An der umfangreichen Generalsanierung hält die Koalition fest und passt sie ständig an. (cbu.)
Arbeitsweise der Regierung
Der wichtigste Teil des Kapitels „Vertrauensvolle Zusammenarbeit, erfolgreiches Regieren“ ist die Verteilung der Ressorts auf die drei Koalitionspartner. Welche Personen die Parteien berufen, steht nicht im Koalitionsvertrag. Die CDU stellt neben dem Kanzleramt und dem Posten des Kanzleramtschefs sechs Ministerien. Die Sozialdemokraten werden sieben Ministerposten besetzen, die CSU drei. Erstmals seit 1969 übernimmt die Union wieder das Auswärtige Amt. Zudem wird sie das Ministerium für Wirtschaft und Energie führen, das Ressort für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, das um die Bildung erweitert wird, außerdem wird die CDU das Gesundheitsministerium übernehmen, dasjenige für Verkehr und ein neu zu schaffendes Ministerium für Digitalisierung und Staatsmodernisierung. Die Sozialdemokraten übernehmen das Finanzministerium, das Ministerium für Justiz und Verbraucherschutz, das Ressort Arbeit und Soziales, das Verteidigungsministerium, das Ressort für Umwelt und Klimaschutz, das Entwicklungsministerium sowie das Ressort Wohnen, Stadtentwicklung und Bauen. Die CSU wird den Innenminister stellen, das Ressort für Forschung, Technologie und Raumfahrt leiten sowie das Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Heimat.
Doch werden in dem Kapitel auch wichtige Fragen der Zusammenarbeit geregelt. So soll der Koalitionsausschuss grundsätzlich einmal monatlich zusammenkommen oder auf Wunsch eines Koalitionspartners. Im Bundestag wollen Union und SPD einheitlich abstimmen. „Wechselnde Mehrheiten sind ausgeschlossen“, heißt es im Koalitionsvertrag. Jede Zusammenarbeit mit „verfassungsfeindlichen, demokratiefeindlichen und rechtsextremen Parteien“ wird ausgeschlossen, heißt es. „Dies betrifft im Parlament unter anderem gemeinsame Anträge, Wahlabsprachen oder sonstige Formen der Zusammenarbeit.“ Das dürfte auf den Entschließungsantrag der Union zur Begrenzung der Migration zielen, den Merz vor einigen Wochen zwar nicht mit der AfD abgestimmt hatte, den er aber zur Abstimmung stellte in dem Wissen, dass er vermutlich nur mit den Stimmen der AfD eine Mehrheit bekommen würde. So kam es auch.
Zudem vereinbaren die künftigen Koalitionspartner, noch in diesem Jahr einen Vorschlag für eine Reform des Wahlrechts vorzulegen, der gewährleisten soll, dass jeder Bewerber, der im Wahlkreis eine Erststimmenmehrheit bekommt, auch in den Bundestag einzieht. Darüber hinaus will man europapolitische Entscheidungen eng abstimmen, damit Deutschland gegenüber den europäischen Partnern geschlossen auftritt. Die ursprüngliche Forderung von CDU und CSU, dass das Kanzleramt im Falle von Uneinigkeit der Koalitionspartner Verfahren an sich ziehen kann, findet sich nicht im Koalitionsvertrag wieder. (elo.)