Was Trump für die deutsche Regierung bedeutet

9

Ein paar Wochen wird es selbst im besten Fall noch dauern, bis Deutschland wieder auf Kurs ist. „Germany is back on track“, ließ der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz zwar verlauten, als er dieser Tage den Regierungspakt mit der SPD vorstellte. Aber das angekündigte Deutschlandtempo lässt noch ein wenig auf sich warten. Schließlich müssen die Parteimitglieder der Sozialdemokraten über das geplante Bündnis noch abstimmen, und außerdem stehen ein paar Wochen mit Feiertagen bevor. Für die Kanzlerwahl steht jetzt der 7. Mai zur Debatte. Da ist dann der Tag darauf nur in Berlin arbeitsfrei, der 80. Jahrestag des Kriegsendes. Auch das ließe sich als Symbol verstehen für eine Regierung, die vor allem verhindern will, dass die Gespenster der Vergangenheit zurückkehren.

Den Atem der Geschichte haben die 18 Unterhändler allerdings an den letzten Tagen ihres Ringens schon gespürt, und er hat beim Aufsetzen des Koalitionsvertrags womöglich über die letzten großen Konflikte hinweggeholfen. „Wir haben am Montag schon alle verstanden, was da in der letzten Woche passiert ist und dass wir jetzt schnell zu Ergebnissen kommen“, ließ Merz wissen. „Am Montag“, damit war der Kurssturz an den Aktienmärkten gemeint. Und „letzte Woche“, das waren die Zoll-Ankündigungen des US-Präsidenten, von denen einige der extremsten Auswüchse inzwischen zwar aufgeschoben, aber keineswegs aufgehoben sind.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.


Tatsächlich ändert die neue Weltlage die Arbeitsbedingungen der künftigen Regierung radikal – eine Weltlage, die sich freilich schon seit der US-Präsidentenwahl vor fünf Monaten absehen ließ, seit jenem 5. November 2024 also, dem tags darauf der Bruch der deutschen Ampelkoalition folgte. Es dauerte dann nach dem Abschluss der Koalitionsverhandlungen auch nur einen Tag, bis die führenden Wirtschaftsinstitute den Ernst der neuen Lage in Zahlen fassten. Von 0,8 auf 0,1 Prozent reduzierten sie ihre Wachstumsprognose für 2025. Deutschland verharrt also ein weiteres Jahr in der ökonomischen Stagnation. Von dem erhofften Stimmungsumschwung durch den bevorstehenden Regierungswechsel allein kann also kein Rede sein.

Trotzdem halten die künftigen Regierungsparteien an ihrem Wirtschaftsprogramm eisern fest, oder besser: Sie halten es jetzt für noch dringlicher. Stolze 80 Seiten widmen sie in ihrem gut 140 Seiten starken Koalitionsvertrag den Themen Wirtschaft und Finanzen, die selbstverständlich am Anfang stehen: Anreize für Mehrarbeit, geringere Strompreise, Steuervorteile für Unternehmen, weniger Bürokratie. Nicht alles, was sich die CDU im Wahlkampf gewünscht hat, kommt allerdings, zum Beispiel wird es kein Superministerium für Wirtschaft und Arbeit geben, auf das es CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann abgesehen hatte.

Fast schon wirkte es wie Absicht, dass bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags das Arrangement mit den vier Stehpulten ähnlich aussah wie die Inszenierung der Band Kraftwerk auf ihren Konzerten. Das hätte man mit Blick aufs Infrastruktur-Sondervermögen als Anspielung auf deren bekanntestes Album „Autobahn“ verstehen können, seinerseits ein ironischer Bezug auf die Träume der Wirtschaftswunderjahre, gefolgt von „Radio-Aktivität“, auch das nach dem Geschmack mancher Koalitions-Unterhändler.

Der Unterschied zwischen „werden“ und „wollen“

Dass das von Merz während des Wahlkampfs in Aussicht gestellte Wirtschaftswachstum von zwei Prozent kaum noch erreichbar sein wird, liegt allerdings nicht an ein paar Prozentpunkten Steuersenkungen, auf die der Kanzler in spe nicht bloß wegen der Sozialdemokraten, sondern auch wegen der Haushaltslage verzichten musste. Es liegt an der weltpolitischen Lage, vor allem an den Zollplänen des US-Präsidenten. Der Aufschub um 90 Tage bedeutete keine Entwarnung, im Gegenteil, das Hin und Her könnte die ökonomische Verunsicherung sogar noch verstärken, worauf auch der scheidende Finanzminister dieser Tage hinwies.

Merz selbst wischt die pessimistischen Prognosen mit dem Hinweis auf das Wirtschaftsprogramm der Koalition vom Tisch. „Aus meiner Sicht ist die wichtigste Antwort, dass wir jetzt sehr schnell die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes wiederherstellen“, sagt er auf die Frage, ob der versprochene Aufschwung durch den globalen Zollkonflikt nicht schon jetzt Makulatur ist. „Dann werden wir auch die Wachstumsprobleme beseitigen, die wir strukturell in den letzten Jahren aufgebaut haben.“

Für die Regierung ist das einerseits misslich, weil viele ihrer Pläne ohne das erhoffte Wachstum kaum finanzierbar sind. Wer im Koalitionsvertrag nach Vergünstigungen für die eigene Interessengruppe sucht, der wird sorgsam auf zwei Wörter achten müssen: „werden“ und „wollen“. Alles, was Union und SPD dem Wortlaut nach tun „werden“, genießt Vorrang auch bei bescheidener Haushaltslage. Wo sich die Unterhändler hingegen für die Vokabel „wollen“ entschieden haben, handelt es sich um eine bloße Absichtserklärung, die unter dem Vorbehalt der Bezahlbarkeit steht. Dass das Geld wirklich fließt, wird also mit jeder Volte Donald Trumps unwahrscheinlicher. Immerhin, die geplante Einkommensteuersenkung für kleine und mittlere Einkommen in der Mitte der Legislatur ist mit dem Wörtchen „werden“ versehen, sie soll also in jedem Fall kommen. Über den Umfang allerdings sagt der Vertrag wohlweislich nichts, auch nicht darüber, ob im Gegenzug auch der Spitzensteuersatz steigen kann.

Konflikte können zusammenschweißen

Umgekehrt kann die Weltlage für die Regierung allerdings auch eine Chance sein. Sie erspart es dem künftigen Kanzler womöglich, sich an den vollmundigen Aufschwungsversprechen aus dem Wahlkampf messen zu lassen. Wenn es zu den zwei Prozent Wachstum vorerst nicht kommt, wird unter den neuen Vorzeichen kaum jemand der neuen Koalition die Schuld geben. Es ist dann einfach zu offensichtlich, dass eine Exportnation in der Zeit von Handelskonflikten ihr ökonomisches Potential nicht ausspielen kann. Die meisten Leute werden Trump dafür verantwortlich machen und nicht einen zu zäh verlaufenden Bürokratieabbau im eigenen Land.

Ob das auch die Anhänger der AfD überzeugen wird, erscheint allerdings fraglich. Die Partei steht tapfer zu ihrem amerikanischen Gesinnungsgenossen Trump, und wenn es mit rationalen Dingen zuginge, müsste sie schon deshalb an Zustimmung einbüßen. Schließlich bestätigt das Agieren des US-Präsidenten samt den ökonomischen Turbulenzen, die daraus folgen, alle Warnungen der demokratischen Mitte und der Ökonomen vor den suizidalen Folgen einer Wirtschaftspolitik nach dem Geschmack der Rechtspopulisten. Den harten Kern der Anhängerschaft allerdings scheint das bislang weder in den Vereinigten Staaten noch in Deutschland zu beeindrucken.

Aber äußere Konflikte können die Regierung auch zusammenschweißen. Union und SPD stehen schon während der Regierungsbildung unter dem Eindruck eines weltpolitischen Schocks, wie ihn die Ampelkoalition erst zweieinhalb Monate nach Amtsantritt mit dem russischen Überfall auf die Ukraine erlebte. Der Rauswurf des ukrainischen Präsidenten aus dem Weißen Haus wenige Tage nach der Bundestagswahl beschleunigte die Beschlüsse über die neuen Sonderschulden. Trumps Zölle gaben den Koalitionsgesprächen in der Schlussphase noch mal einen Schub. Bisweilen wirkte sich das bis ins Kleinste aus: Weil deutsche Schweinezüchter wegen ihrer Abhängigkeit von amerikanischem Sojafutter in Panik sind, soll jetzt der Anbau heimischer Eiweißpflanzen gefördert werden.

CSU gibt sich sozial

Auch die alte Scholz-Regierung fand unter dem äußeren Druck eine Zeit lang zu bemerkenswerter Einigkeit. Der später vielfach geschmähte grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck gewann durch sein Agieren in der Energiekrise ungeahnte Popularität, seine Partei stieg in den Umfragen auf bis zu 26 Prozent, während die russlandfreundliche AfD bei gut zehn Prozent verharrte. Das Gefühl, in dieser Phase zu viele Zugeständnisse gemacht zu haben, legte allerdings den Keim für künftige Streitereien. Als das Verfassungsgericht mit dem Urteil zur Schuldenbremse der Regierung Ende 2023 das nötige Kleingeld entzog, war es endgültig vorbei.

Die Akteure der neuen Koalition sehen die Gefahr. Auf dem Weg zur Präsentation des Koalitionsvertrags wies ein führender Unions-Unterhändler vorigen Mittwoch darauf hin, dass vor gut drei Jahren die damaligen Koalitionäre von SPD, Grünen und FDP ebenfalls die schönste Harmonie zelebriert hätten. Das sollte heißen: Hoffen wir, dass es so bleibt. Dann verschwand er hinter der Glastür der Sicherheitsschleuse.

Ein paar Fliehkräfte lassen sich jetzt schon erkennen. Da wäre zunächst die CSU mit ihrem Vorsitzenden Markus Söder. Während Merz den Wirtschafts-Turbo beschwört, zieht der bayerische Ministerpräsident schon mal die Bremse. „Meine Partei ist die CSU“, äußerte er. „Das C steht nicht für Commerz, sondern Christlich, und das S für Sozial.“ Das zielte auf die Rentengarantie und mehr noch auf die Mütterrente. Der bayerische Sonderwunsch hat seinen Teil dazu beigetragen, dass schnellere Steuersenkungen nicht finanzierbar erschienen. Und künftige Sonderwünsche kündigte er recht unverhohlen an, mit dem Hinweis an die Koalitionspartner: „Freut euch drauf.“

Merz ist im Alltag der Kompromisssuche angekommen

Schwieriger noch könnte es werden, den Bundesländern die Koalitionspläne schmackhaft zu machen. Zwar haben Ländervertreter auch im Kernteam mitverhandelt, aber naturgemäß nur aus den künftigen Regierungsparteien Union und SPD. Deren Landesregierungen, an denen keine weiteren Parteien beteiligt sind, kommen allerdings nur auf 16 Stimmen im Bundesrat, für eine Mehrheit sind indes 35 Stimmen nötig. Die Grünen, die Merz zuletzt in Sachen Schuldenbremse hofierte, sind also wieder im Spiel. Beispielsweise um Steuersenkungen, die den Landesregierungen eigene Einnahmen entziehen, könnte es noch größere Debatten geben, um die Migrationspolitik sowieso.

Dass die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel dieser Tage im Radio ihr „Wohlgefallen“ über das Verhandlungsergebnis kundtat, durfte man vor diesem Hintergrund auch als Zeichen innerer Genugtuung verstehen: Jetzt ist auch Friedrich Merz im Alltag der Kompromisssuche angekommen. Das Schlechteste ist das allerdings nicht. Oft genug haben die Deutschen die Kompromisszwänge ihres politischen Systems beklagt, die sich aus Koalitionsregierungen und Föderalsystem ergeben, auch aus einem ungewöhnlich starken Verfassungsgericht. Aber wer in diesen Tagen in die Vereinigten Staaten schaut und dort sieht, wie schnell ein selbstherrlich agierender Präsident die eigentlich vorgesehenen „checks and balances“ beiseiteschiebt, der sollte für die hiesigen Beharrungskräfte dankbar sein. Und dafür, dass die von manchen gewünschte Disruption nicht kommt. Solides Regieren wäre auch schon ein Fortschritt.